Jetzt ist es amtlich. Das Berliner Berghain ist nicht mehr nur metaphorisch das Bayreuth des Techno, als das es gerne beschrieben wird, um die weltweite Strahlkraft des Clubs auch den wenig verstrahlten Freunden der Hochkultur zu erklären. Es ist auch fiskalisch ein Ort der Hochkultur. Denn das Finanzgericht Berlin-Brandenburg hat entschieden, dass der weltberühmte Club nur noch 7 statt der 19 Prozent Mehrwertsteuer abführen muss, die bei Unterhaltungsveranstaltungen eigentlich üblich sind. Steuerlich spielt das Berghain damit in derselben Liga wie Theater, Museen und Opernhäuser.

Einerseits ist das konsequent, da der Club ja schon lange auch eine Spielstätte für klassische Hochkultur ist (etwa für das Staatsballett Berlin, wie auf dem Titelbild dieses Artikels zu sehen) und ein Kunstort (in den hohen Hallen hängen u.a. Werke von Wolfgang Tillmans und Norbert Bisky). Und sowieso lässt sich das, was da zwischen Dancefloor und Bar jedes Wochenende aufs Neue an Ausschweifungen abspielt, eigentlich nur mit Joseph Beuys adäquat beschreiben – als soziale Plastik.

Andererseits bedeutet das Urteil nicht nur, dass der DJ nun dem Dirigenten gleichgestellt ist, sondern dass der Berghain-DJ anders behandelt wird als seine Kollegen, die in anderen Clubs auflegen. Auch wenn das Gericht vorsorglich darauf aufmerksam machte, dass es sich bei dem Urteil um eine Einzelfallentscheidung handle, werden sich bald sicher auch andere Läden darauf beziehen. Schon weil viele der DJs, die im Berghain auftreten, auch regelmäßig anderswo auflegen.

Berghain-DJs haben ein laues Leben? Quatsch!

Eine „Schelle“ (altertümliches Wort für Ohrfeige) für Künstler*innen wie Dirigent*innen, Regisseur*innen oder Sänger*innen sei die Entscheidung, kommentierte in durchaus überraschender Heftigkeit der „Zeit Online“-Jugendableger „ze.tt“. Statt jahrzehntelang zu proben und sich durch die Institutionen des Kulturbetriebs zu boxen, könne man als Berghain-Resident-DJ ja bequem die Füße hochlegen, wenn man nur einmal im Monat ein paar Stunden an den Reglern drehe.

So museal dieser Kunstbegriff klingt (Kunst ist, wenn man fleißig übt?), ist das inhaltlich falsch. Kein Resident-DJ im Berghain kann von einem Gig im Monat leben, auch wenn das Berghain für Clubverhältnisse nach allem, was man hört, okay bezahlt. Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gibt es da auch nicht. Da ist der festangestellte Oboist in einem Orchester, der Schauspieler am Staatstheater schon deutlich besser dran. Und dass dieser Job einen extremen Originalitätsdruck bedeutet, das hat die BBC neulich in einem spannenden Feature über DJs mit Depressionen erzählt.

Apropos England: Ziemlich genau zur selben Zeit, als das Berghain per Gerichtsurteil zur Hochkultur erhoben wurde, schloss in London mit dem Fabric ein ebenfalls weltberühmter Club. Der Stadtrat entzog die Lizenz, nachdem es in letzter Zeit zu zwei Todesfällen durch Drogenmissbrauch gekommen war. Bis zuletzt hatte sich der Bürgermeister Sadiq Khan für den Club starkgemacht. In den letzten acht Jahren schlossen 50 Prozent der Clubs in London. Viele der DJs, Produzenten und Promoter kamen daraufhin übrigens – nach Berlin.

Unser Redakteur Felix Denk weiß, wovon er spricht. Gemeinsam mit Sven von Thülen hat er 2012 das Buch „Der Klang der Familie. Berlin, Techno und die Wende“ veröffentlicht, das auch die Grundlage für die Doku „Party auf dem Todesstreifen – Soundtrack der Wende“ lieferte.