fluter.de: Herr Ito, warum haben Sie das Internet als Medium gewählt, um Menschen mit Selbstmordgedanken zu helfen?

Jiro Ito: Als 1993 ein Buch über Suizidmethoden auf den japanischen Markt kam, wurde das noch zum Verkaufserfolg. Aber junge Leute von heute lesen auf Websites und in Foren. Zwischen 130.000 und 240.000 Mal pro Monat wird über Google in Japan allein die Anfrage „shinitai“ (dt.: ich will sterben) gestellt. Das Internet ist vermutlich der beste Anknüpfungspunkt, den es gibt, um junge Menschen zu erreichen. Und als oberer Hit auf Google sind wir ein Gatekeeper im Netz.

Wie lässt sich der Erfolg der Anzeigen messen?

In Japan nehmen sich immer mehr Jugendliche das Leben. Wie erklärt sich dieser traurige Trend?

Ungefähr vier Prozent der User, die den Suchwert angeben, besuchen unsere Seite und kontaktieren uns. Das ist ein kleiner Anteil, aber in der Anzeigenbranche ist man allgemein schon mit ein bis zwei Prozent zufrieden. Wir sind also relativ erfolgreich. Außerdem ist der Anzeigenpreis bei Google deutlich gestiegen. Letztes Jahr, als ich die Anzeige für die zwei Suchbegriffe „shinitai“ und „jisatsu houhou“ (dt.: Selbstmordmethoden) kaufte, kostete uns das noch 5 Yen (knapp 4 Cent) pro Klick auf unsere Anzeige. Mittlerweile sind es 50 Yen. Das liegt daran, dass die Nachfrage nach diesen Anzeigen gestiegen ist. Viele andere NGOs in anderen Teilen Japans machen es uns mittlerweile nach.

Wenn jemand Kontakt zu Ihnen aufnimmt, was passiert dann?

Unser Büro ist immer besetzt, E-Mails beantworten wir in kurzer Zeit. Wir erklären als Erstes, dass wir einen Namen wissen wollen, mit dem die Person angesprochen werden möchte. Das kann ein Spitzname sein. Und dann hören wir vor allem zu und fragen nach, um die Logik zu erkennen, die zum Selbstmordgedanken führt. Die meisten Personen wollen eigentlich nicht sterben, aber wissen aus ihren Problemen keinen Ausweg. Da versuchen wir, Vorschläge zu machen.

 „Die meisten Personen wollen eigentlich nicht sterben, aber wissen aus ihren Problemen keinen Ausweg. Da versuchen wir, Vorschläge zu machen“

Ist das Problem denn zu lösen, wenn das Leben im sozialen Umfeld unverändert bleibt? Junge Leute gehen ja weiterhin zur Schule oder zur selben Arbeitsstelle.

Meistens bleibt ihnen keine andere Wahl, als im aktuellen Umfeld weiterzumachen, das stimmt. Aber das ist nicht unbedingt das größte Problem. Die Sichtweise auf Situationen kann sich verändern. Wir arbeiten auch mit Schulen im Westen Tokios zusammen, um vor Ort über das Problem Selbsttötung und unsere Arbeit zu sprechen. Meistens ist es so: Sobald wir Kontakt zu jungen Menschen aufbauen, verläuft dieser positiv. Aber wir wissen auch, dass wir noch immer nicht die zahlenmäßig wichtigste Gruppe erreichen. Jungen nehmen sich deutlich häufiger das Leben als Mädchen, gleichzeitig kommen 70 Prozent unserer Kontaktanfragen von Mädchen. Jungen sind leider seltener bereit, nach Hilfe zu suchen. 

Jiro Ito ist ausgebildeter Sozialpsychologe und gründete 2013 die NGO OVA in Tokio, um zur Prävention von Selbsttötung junger Menschen beizutragen.

Wenn es dir nicht gut geht oder du gar daran denkst, dir das Leben zu nehmen, versuche, mit Freunden oder Verwandten darüber zu sprechen. Es gibt auch sehr viele Hilfsangebote, bei denen du dich rund um die Uhr melden kannst.

Die Telefonseelsorge ist anonym, kostenlos und jederzeit erreichbar. Die Telefonnummern sind 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222. Wenn du lieber chattest oder E-Mails schreibst, kannst du unter www.telefonseelsorge.de unkompliziert schriftlich Kontakt aufnehmen.

Titelbild:  Q. Sakamaki/Redux/laif