Sie hat es schon einmal erlebt: den unaufhaltsamen Abstieg, den Anblick von Menschen, die über einem Stück Alufolie dichten Rauch einatmen, ihr kurzer euphorischer Blick, auf den eine tiefe Erloschenheit folgt – Zug um Zug ein Abschied aus dem normalen Leben. Damals waren es ihre vier jüngeren Brüder, ihre Neffen, deren Freunde. In dem Dorf im Norden Thailands, wo Sinkan herkommt, hat ihre gesamte Familie zu den Pillen gegriffen. „Es gab damals wahnsinnig viele Drogen. Und sie waren sehr billig: Eine Pille hat damals zwischen 50 und 100 Baht, umgerechnet zwischen 1,25 Euro und 2,50 Euro gekostet.“

Man kommt nicht gleich darauf, dass man diese kleinen, meist hellrot gefärbten Pillen nicht schluckt, sondern raucht. Man legt sie auf einen Streifen Alufolie, erhitzt sie mit einem Feuerzeug und inhaliert durch ein zusammengerolltes Stück Papier die Dämpfe, die stark metallisch riechen. Yaba enthält einen Mix aus Koffein und Methamphetamin, das ursprünglich als Psychostimulans entwickelt und im militärischen Bereich zur Leistungssteigerung eingesetzt worden ist. Es ist eine Art Volksdroge geworden in Thailand.

Sinkan wohnt nun in Bangkok, neben einem jungen Paar, An und Bum. Zusammen haben sie sich für umgerechnet 20 Euro im Monat ein etwa zehn Quadratmeter großes Zimmer in einem zweistöckigen, einfachen Holzhaus gemietet. An ist 25 Jahre alt, er hat kurze, zur Seite gekämmte schwarze Haare. Er trägt frische Bermuda-Shorts, ein T-Shirt, darüber einen Sportsweater – und dazu tiefrot unterlaufene Augen. „Vor drei Jahren habe ich zum ersten Mal Yaba geraucht“, sagt er, und: „Yaba macht gute Laune. Danach kann man gut ausgehen, es macht Spaß. Wenn ich wollte, könnte ich damit aufhören.“

Yaba-Nutzer beschreiben die unmittelbare Wirkung als stark euphorisierend: Die Droge bringt das Gehirn dazu, riesige Mengen an Dopamin, also Glückshormonen, auszustoßen. Doch auf jeden Höhenflug folgt ein schwerer Absturz. Die Droge richtet Schäden im Gehirn an, viele Konsumenten bekommen Aggressionsschübe und entwickeln Wahnvorstellungen, die manchmal nie wieder weggehen. Und alle leiden nach dem Abklingen des Rauschs unter – zum Teil schweren – Depressionen.

Dabei kommen die Konsumenten von Yaba aus der Mitte von Thailands Gesellschaft, denn für die Ärmsten sind selbst drei Euro zu viel. Es sind Lehrer, Fabrikarbeiter, Soldaten, Leute, die kleine Geschäfte haben. Die Pillen, die sie nehmen, kommen bereits seit den 1970er Jahren aus dem benachbarten Birma (dem heutigen Myanmar) nach Thailand. Einige Rebellengruppen in Nord- und Ostbirma stellten die Droge millionenfach in Drogenlabors her und finanzieren damit bis heute ihren Krieg gegen die dortige Militärdiktatur – aber auch von Myanmars Junta unterstützte Milizen sind in dieses Geschäft eingestiegen. Für Thailands Gesellschaft, wo sich viele Menschen bis heute mit schlecht bezahlten Jobs durchschlagen müssen und permanent von Existenzängsten gequält werden, war Yaba genau die richtige Droge, um dem tristen Alltag zu entfliehen. Auch An und Bum, die beide aus dem Norden des Landes nach Bangkok gekommen sind, müssen ständig zusehen, wie sie die Miete und ihr Essen verdienen. Zurzeit helfen sie Ans Mutter dabei, „süßes Schweinefleisch“ herzustellen. Sie kochen es morgens in einer kleinen Garküche im Haus und verkaufen es an Händler auf einem nahe gelegenen Markt.

„Ich merke, dass mein Gesicht einfällt“, sagt An

Bum ist nicht sehr überzeugt davon, dass ihr Freund seinen Drogenkonsum im Griff hat. „Also mich macht er schon oft sauer, wenn er sein Zeug geraucht hat“, sagt sie. „Denn auf der Droge ist er schon manchmal anders. Manchmal brüllt er mich ohne Grund an.“ Beide kennen Menschen, deren ganzes Leben sich nur noch um die Droge dreht. „Manche haben auch Frauen und Kinder. Einige kümmern sich noch um die, aber andere kümmern sich um gar nichts mehr. Und legen auch auf ihr Äußeres keinen Wert mehr.“ Manche landen auch für Jahre im Gefäng- nis – je nachdem, wie viele Pillen in ihren Taschen gefunden wurden. „Wenn die dich mit dem Zeug erwischen und du kannst denen nicht an Ort und Stelle 250 Euro oder mehr geben, dann nehmen sie dich fest“, sagt An, der schon die meiste Zeit daran denkt, dass er gerne die nächste Pille rauchen würde. „Wenn ich mehr Geld hätte, dann würde ich jeden Tag rauchen, obwohl ich manchmal das Gefühl habe, dass ich mich nicht an Sachen erinnern kann. Und dass mein Gesicht einfällt.“

Ans persönlicher Abstieg vollzieht sich in dem südostasiatischen Land Millionen Male, Anfang des Jahrtausends drohte die Billigdroge das Land regelrecht zu destabilisieren. Daher rief der damalige Premierminister Thaksin Shinawatra 2003 den Antidrogenkrieg aus. Überall im Land begannen Todesschwadrone von Polizei und Armee Jagd auf vermeintliche Drogendealer zu machen. Binnen weniger Monate wurden Zigtausende von ihnen festgenommen, geschätzte 2.500 starben. Menschenrechtsgruppen kritisieren bis heute die schweren Menschenrechtsverstöße aus dieser Zeit, in der viele Unbeteiligte getötet worden sind. Auf dem Drogenmarkt zeigte diese Radikallösung jedoch Wirkung. „Nach dem Drogenkrieg hat es in unserer Gegend drei Jahre lang praktisch gar keine Yaba-Pillen mehr gegeben“, erzählt Sinkan. Bis heute seien sie schwieriger zu beschaffen und kosten zudem erheblich mehr. 200 Euro verdienen An und Bum im Monat, ein Drittel davon gibt An für Yaba aus. Daher wird es schwer für die beiden, sich ihren Traum zu erfüllen – ein kleines Haus im Norden des Landes, fern der Hektik von Bangkok. „Da möchte ich eigentlich hin“, sagt An. „Aber dafür wäre es eigentlich besser, ich hätte nie damit angefangen, Yaba zu rauchen.“