Herr Kinzig, darf man in Deutschland foltern?

Aus meiner Sicht: nein. Das verbietet Artikel 104 Grundgesetz, in dem es heißt „Festgehaltene Personen dürfen weder seelisch noch körperlich misshandelt werden.“ Und speziell für den Strafprozess gibt es auch eine Vorschrift – Paragraf 136a StPO, der Folter im Strafverfahren verbietet.

Ist es woanders erlaubt?

Die internationale Völkergemeinschaft ist sich inzwischen einig, dass Folter verboten sein sollte,und hat das festgelegt.Zum Beispiel in Artikel 5 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948, in Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention, in Artikel 1 des UN-Übereinkommens gegen Folter von 1984. Das Folterverbot war auch Bestandteil des Entwurfs für eine europäische Verfassung. In den internationalen Bestimmungen ist neben Folter meistens von „grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe“ die Rede. Wo Folter beginnt und wo sie aufhört, kann man nicht immer sagen. Sicher ist:Wenn ich jemandem körperliche Schmerzen zufüge, zum Beispiel um von ihm eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, dann ist das Folter.

Der stellvertretende Frankfurter Polizeipräsident Wolfgang Daschner hat im September 2002 dem damals mutmaßlichen Entführer des Bankierssohns Jakob von Metzler Folter androhen lassen, um zu erfahren,wo Jakob versteckt war. War das auch schon Folter?

Meiner Ansicht nach schon. Und wenn es nicht Folter ist, dann ist es zumindest eine „unmenschliche Behandlung“ und damit auch verboten.

Gibt es in den angesprochenen Konventionen oder im Grundgesetz irgendwelche Lücken oder Unklarheiten, die im Fall der Folter vielleicht einen Handlungsspielraum lassen?

Nein. Nach Artikel 15 der Europäischen Menschenrechtskonvention ist das Folterverbot sogar „notstandsfest“. Das heißt,davon darf in keinem Fall abgewichen werden.Dort steht explizit: „Selbst wenn das Leben einer Nation durch Krieg oder einen anderen öffentlichen Notstand bedroht wird, ist Folter ausgeschlossen.“


In der Folterdebatte wird oft das „ticking bomb scenario“ angeführt: Eine Bombe ist versteckt, man hat einen Terroristen und nur er weiß,wo sie explodieren wird. Wenn man ihn nicht foltert, um die Bombe zu finden – wird dann nicht das Recht des Täters über das Recht der potenziellen Opfer auf Leben gestellt?

Diese Argumentation ist schon im Ansatz problematisch. Sie sprechen vom Recht des Täters. In diesen Fällen handelt es sich aber um Verdächtige. Ich würde schon bestreiten, dass man sicher sein kann, wer der Täter ist. Das ist wie die Argumentation bei der Todesstrafe, da sagt man auch: Wir wissen ganz sicher, dass er der Täter ist. Aber Beispiele aus den USA zeigen, dass es eine Vielzahl von Leuten gab, die unschuldig hingerichtet wurden. Als potenziellem Anschlagsopfer hilft mir das nicht weiter. Ich hätte da lieber, dass alles unternommen wird, um die Bombe zu finden. Das ist eine so genannte „tragic choice situation“: eine Situation, in der man Schuld auf sich lädt, möglicherweise Unrecht tut, ganz egal, wie man handelt. Das ist einfach eine schwierige Situation, die man nicht so einfach rechtlich auflösen kann.

Aber den Rettungsschuss gibt es doch auch, da wird das Opfer auch geschützt.

Beim finalen Rettungsschuss sehe ich im Idealfall den Bankräuber, der die Pistole hat und an den Kopf der Geisel hält. Aber gerade die vorhin besprochenen „ticking bomb“- Szenarien oder auch der Daschner-Fall sind dadurch gekennzeichnet, dass die Gefahr nicht präsent ist. Ich kann die Gefahr nicht sofort sehen und mit der Folter beseitigen, sondern bin immer auf die Mitwirkung des Gefolterten angewiesen.Wenn man das einmal durchdenkt, wie die Folter rechtlich auszugestalten wäre, dann kommt man ohnehin in große Schwierigkeiten.

Nämlich?

Dann müsste man rechtlich regeln:Wie soll gefoltert werden? Ganz langsam oder doch schnell? Nur ein bisschen oder dann auch bis zum Tod? Sind Ärzte dabei? Wie sicher muss man sein, um foltern zu dürfen? Im Frankfurter Fall hatten sie zunächst auch einen anderen Tatverdächtigen – genügt denn eigentlich schon eine „überwiegende Sicherheit“ für die Folter? Oder muss es eine „große Wahrscheinlichkeit“ sein?

Der Staat darf also nicht foltern. Darf der Privatmann foltern, in Notwehr vielleicht?

Notwehrrechte habe ich. Wenn ich bedroht werde, kann ich dem anderen auf die Nase hauen. Wenn mein Kind verschleppt ist und ich kriege den Entführer, dann stehen mir so genannte Nothilferechte zu. Und da wird es sehr schwierig, da gibt es keine eindeutigen Antworten. Bei der Nothilfediskussion gibt es eine Einschränkung:Die Abwehr muss geboten sein. Und da würde ich sagen, aber das ist meine private Ansicht: Geboten wäre, dass sich die Polizei anrufe, wenn ich den Entführer habe. Ich darf nicht selbst anfangen, dem Verdächtigen im Keller die Daumenschrauben anzulegen.

Als Privatmann: Könnten Sie einen Vater verstehen, der den mutmaßlichen Entführer seines Sohnes gefoltert sehen will, um das Versteck zu erfahren?

Ich kann mich da nicht hinstellen und sagen, ich hätte dafür nicht irgendwie Verständnis. Aber darauf können wir nicht unsere Rechtsordnung aufbauen.