Aus dem Aufzug in den vierten Stock, durch einen langen Gang über pflegeleichten Boden in beleuchtete Spaceship-Atmosphäre. Immer geradeaus zwischen weißen Wänden. Links und rechts kleine Büros, offene Türen. "Guten Morgen" von links, "guten Morgen" nach rechts, ritualisiert, freundlich. Der Mann, der vorangeht, schreitet in einen Konferenzraum. Sein Name darf nicht genannt werden. Die Firma auch nicht. Das ist ihm wichtig. Händler wie er reden nicht gern. Müssen sie ja auch nicht, sie haben ja keine Marken, für die sie beim Endkunden werben müssen. Sie müssen einfach nur da sein und verdienen.

Die Firma ist eine Firma zwischendrin. Sie ist groß, erfolgreich, sie macht laut Geschäftsbericht etwa 200 Millionen Euro Gewinn im Jahr. Aber sie produziert nichts, sie entwickelt nichts, sie verkauft nichts in Läden. Sie ist nur ein Händler.

Der Mann legt eine laminierte, zeichenblockgroße Infografik auf den Konferenztisch. Sie hat viele waagerechte rote und blaue Balken. Die roten kommen von rechts, die blauen von links. Irgendwo treffen sich die beiden Farben. Mit dieser sogenannten "Incoterms-Übersicht" wird er gleich die Geschäfte des Unternehmens, das weltweit Chemikalien einkauft und an andere Firmen verkauft, erklären.

Beeindruckende Geschäfte sind das: Knapp zehn Milliarden Euro betrug der Umsatz im vergangenen Jahr. In einer Liste der umsatzstärksten deutschen Familienunternehmen rangiert man recht weit vorn – neben Firmen, die ähnlich viel Umsatz machen, aber wesentlich mehr Mitarbeiter haben.

Große Summen, aber wenig Mitarbeiter, das ist typisch für Handelsfirmen (siehe Kasten) und zeigt: Mit Handel wird oft mehr verdient als mit der personalintensiven Produktion. Die Firmen müssen sich nicht mal ein Image aufbauen, sie müssen nicht um Käufer werben. Bei unserer Beispielfirma in dem großen weißen Bürogebäude schmälern keine Kosten für Werbung den Gewinn.

Die Firma gehört einem Kaufmann. Im Geschäftsbericht steht er als alleiniger Aktionär. Den muss es geben, weil die Firma eine Aktiengesellschaft ist und ihre Zahlen veröffentlichen muss. Obwohl das, wenn alle Aktien einem Mann gehören, etwas eigenartig wirkt. Sein Vater hat die Firma übernommen und groß gemacht.

In den weißen Bürogebäuden wird mit Chemikalien, die andere herstellen, gehandelt: Düngemittel, Pflanzenschutzmittel, Arzneimittel, Lebensmittelzusatzstoffe, sogenannte Vorprodukte, also Grundstoffe, die andere weiterverarbeiten. Zum Beispiel Melamin, das in Trinidad und Tobago eingekauft und an Firmen, die Küchenarbeitsplatten, Teppiche, Polstermöbel oder feuerfeste Kleidung herstellen, weiterverkauft wird.

Der Mann, der darauf besteht, dass sein Name und der der Firma nicht genannt werden (sonst wird er das lukrative Geschäft zwischendrin nicht erklären), antwortet nun auf die sich wie von allein stellende Frage: Warum verkaufen Konzerne wie DuPont, Dow Chemical, Bayer oder BASF ihre Produkte nicht einfach selber? Sie würden doch ohne Zwischenhändler mehr verdienen. "Je später ein Hersteller verkauft, desto mehr verdient er. Aber dann hat er auch ein größeres Risiko und höhere Kosten. Wenn Sie auch noch am Amazonas im hintersten Dorf eine einzelne Flasche verkaufen wollen, wird die Flasche sehr teuer." Manche Konzerne haben Fabriken, die immer ausspucken, die man nicht einfach abstellen kann. Sie benötigen Händler, die kaufen, lagern, Risiken tragen. Im Gegenzug verzichten sie auf die letzten 20 Prozent.

Wenn der Produzent das, was er hergestellt hat, selbst verschickt, versichert, es auf ein eigenes Schiff lädt, es wieder auslädt, es mit Lkw transportiert, wieder lagert und weiterliefert bis zum Kunden – dann hat er auch höhere Kosten und Risiken. Es kann sich also für ihn lohnen, einiges davon an den Zwischenhändler abzugeben.

Und jetzt schnell ein Blick auf die Incoterms-Grafik: Der blaue Balken kommt von links, vom Produzenten. Blau heißt, der Hersteller trägt die Kosten und das Risiko. Rechts wird der Balken rot. Das heißt: Risiko und Kosten liegen beim Käufer. Aber eben nur auf einer ganz kleinen Strecke, knapp einem Zehntel des Balkens.

"Zwischenhändler sein ist eine Rechenaufgabe, eine firmenpolitische Entscheidung", sagt der Mann ohne Namen. "Wir haben uns hier in den 80er-Jahren gefragt: Mensch, wo bleiben wir denn, wenn die Firmen das jetzt alles selber machen wollen?" Die Angst ist aber nur kurz aufgekommen. Denn wer rechnet, kommt schnell darauf, dass es sich lohnt, wenn er nicht alle Schritte bis zum Kunden übernimmt, sondern manches abgibt. Es ist für einen Hersteller mühsam, auch noch die letzten 20 Prozent zu verdienen.

Womit kann man Geld verdienen? Der Zwischenhändler zählt eine Liste auf: Transport, Verpacken, Veredeln von Halbfertigfabrikaten, Versicherung von Waren und Transport, Finanzierung mithilfe der Banken oder: Lagern, Qualitätskontrolle, Packlisten, Frachtbriefe, Verzollen. Und jetzt kommt der große Trick: Der Händler lagert gar nicht wirklich, transportiert nicht, verpackt nicht, inspiziert nicht, veredelt nicht. Das machen Dienstleister für ihn. Der Händler hat ja keine Tanks in den Häfen, die mietet er. Schiffe hat er auch nicht, dafür gibt es Reedereien. Zoll ist auch anstrengend, da heuert der Händler jemanden an, der sich kümmert. Und so weiter: Er ist der Koordinator, der alles überblickt. Seine Fachleute wissen, wer welchen Job übernehmen kann. In vielen Abteilungen der großen Firma arbeiten heute mehr Wissenschaftler, Biologen, Apotheker, Ernährungswissenschaftler als Kaufleute.

Wieder durch den langen hellen Gang. Noch einmal fasst der Zwischenhändler zusammen: "Güter beschaffen, wo sie verfügbar sind, und dahin bringen, wo sie gebraucht werden. Es geht um das Bewegen von Gütern und Dienstleistungen." Und dann plötzlich kommt etwas, das dem bisher Erklärten widerspricht, das etwas völlig Neues ist: "Wir sind im Kopf Händler, keine Produzenten, aber wir beteiligen uns inzwischen an Produktionsanlagen, damit wir immer Zugriff auf Produkte haben. Aber nur mit Minderheitenbeteiligungen."

Der Aufzug kommt. "Früher war es einfacher", sagt er noch. Aber früher hat die Firma ein paar Milliarden weniger im Jahr umgesetzt. Wenn der Produzent selbst verschickt, ein- und auslädt und die Ware auch noch versichert, kann das ziemlich teuer werden.