Thema – Flucht

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„Ich will nur nach Hause. Wissen Sie vielleicht, wann das möglich sein wird?“

Kutupalong in Bangladesch ist eines der größten Flüchtlingslager der Welt. Hier leben rund 600.000 verfolgte Rohingya. Drei Berichte aus dem Camp

Kutupalong

August 2017: Mehr als 700.000 Rohingya, Angehörige einer ethnischen Minderheit in Myanmar, flüchten innerhalb weniger Wochen nach Bangladesch. Auslöser ist die flächendeckende Gewalt des myanmarischen Militärs, nachdem Extremisten Polizeiposten überfallen hatten. Soldaten brennen Dörfer nieder, sie morden und vergewaltigen willkürlich. Tausende Menschen sterben. Die Vereinten Nationen sprechen von „ethnischen Säuberungen“, es gebe klare Anzeichen eines „beabsichtigten Völkermords“. Damals, vor zwei Jahren, erlangten die Rohingya traurige Bekanntheit als eine der meistverfolgten Volksgruppen der Welt.

Die Rohingya sind eine vorwiegend muslimische Minderheit, die in Rakhine, im Westen Myanmars lebt. Der mehrheitlich buddhistische Staat erkennt sie jedoch nicht als Staatsbürger an: Sie seien „illegale Migranten aus Bangladesch“, obwohl die Rohingya mindestens seit der britischen Kolonialzeit im Land leben. Seit Jahrzehnten werden Angehörige der Rohingya diskriminiert: Gewalt gehöre zu ihren Alltagserfahrungen, sagt der Kulturanthropologe Nasir Uddin. Bereits ab dem Jahr 1978 kam es deshalb zu mehreren Massenfluchtbewegungen aus Birma.

Heute leben in der Region Cox’s Bazar in Südostbangladesch bis zu 1,3 Millionen Rohingya – mehr als in ihrer ursprünglichen Heimat. Allein im Flüchtlingslager Kutupalong sind rund 600.000 Menschen untergebracht. Sie sind abhängig von der Versorgung durch Hilfsorganisationen wie dem UN-Flüchtlingshilfswerk und der Internationalen Organisation für Migration. Wie leben sie? Und was denken sie über ihre Zukunft? 

Minara: 

„Bisher habe ich mit niemandem über mein Leben gesprochen. Was bringt es schon, Ihnen von mir zu erzählen?“ 

Ich bin ursprünglich aus Baghuna in Myanmar. Es ist eine flache, schöne Gegend, nur in der Ferne, weit von unserem Dorf entfernt, kann man Berge sehen. Meine Familie hatte rund vier Quadratkilometer Land. Wir bauten Reis an und hatten Büffel, Kühe, Ziegen und Hühner. Alles mussten wir zurücklassen, als uns das Militär und die Mogs, die ethnischen Buddhisten, attackierten. Sie haben meinem Onkel, einem meiner Brüder und einer meiner Schwestern die Kehle durchgeschnitten. Wir rannten ums Überleben – meine Eltern, mein Mann und meine Tochter, vier Geschwister und ich. Im nahe gelegenen Wald versteckten wir uns einen Tag, später sechs oder sieben Tage auf einer kleinen Insel im Naf, dem Grenzfluss. In Bangladesch angekommen, lebten wir zuerst in einem Dorf, aber nach ein paar Monaten erlaubte uns das die Regierung nicht mehr.

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Minara

Minara, 25 Jahre

Seitdem leben wir hier im Camp 18. Es ist wahnsinnig heiß, in unserem Dorf in Myanmar war das nicht so. Ich träume davon, eines Tages wieder in mein Land zurückzukönnen. Meine Tochter ist jetzt sieben Jahre alt, sie geht im Camp zur Schule. Sie erzählt mir jeden Tag, was sie erlebt hat. Wie sie Freunde trifft und Birmanisch lernt und Englisch und Mathematik. Ich hoffe, dass meine Tochter viel lernt, damit sie später eine Arbeit findet und für sich selbst sorgen kann. Ich selbst kann weder lesen noch schreiben. Ich bin von anderen abhängig. Mein Mann hat mich verlassen, er hat eine einheimische Frau geheiratet. Was die Menschen in Ihrem Land noch über mich wissen sollen? Ich weiß es nicht. Ich bin hoffnungslos. Bisher habe ich mit niemandem über mein Leben gesprochen. Was bringt es schon, Ihnen von mir zu erzählen?

Sharif Hossain: 

„Ich will wieder in meinem eigenen Land leben. Ich will, dass mein Sohn dort aufwächst.“ 

Ich komme aus der Gemeinde Maungdaw, aus dem Dorf Fakira Bazar. Wir Rohingya wurden nicht als Bürger Myanmars gesehen. Wir durften nicht reisen, nicht in die Schule gehen, nicht auf dem Markt einkaufen. In Krankenhäusern wurden wir nicht behandelt. Im August 2017 brannten Soldaten unsere Häuser nieder. Alle 60 Familien meines Dorfes sind geflohen. Ich habe die Gewalt mit eigenen Augen gesehen. Es war ein Albtraum. Vier oder fünf Tage haben wir uns im Wald versteckt, nur Bananen gegessen und die rohen Bananenblätter – es gab kein anderes Essen. Tagsüber haben wir uns im Dschungel versteckt. Richtung Bangladesch gingen wir nachts, um nicht entdeckt zu werden. Viele Tage lang.

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Sharif Hossain, 22 Jahre

Sharif Hossain, 22 Jahre

Meine Frau war während der Flucht schwanger. Mein Sohn, er heißt Mohammad Anos, ist hier im Camp geboren. Die Menschen hier haben mich zum „Maji“ ernannt, so nennen wir den Führer einer Gemeinschaft. Wer etwas braucht, kommt zu mir. Ich spreche dann mit der Campleitung und den Hilfsorganisationen. Manchmal gehe ich von Haus zu Haus, löse Konflikte und schaue nach, ob die Kinder in die Schule gehen.

Das Leben im Camp? Sehr frustrierend. Wir können es nicht verlassen, das erlauben uns die Behörden in Bangladesch nicht. Manchmal kann ich einer Hilfsorganisation bei Bauarbeiten helfen, dafür kriege ich ein wenig Geld. Aber hier in der Umgebung gibt es keinen Markt, wo ich einkaufen kann. Ich habe auch keinen Gaskocher. Wir müssen deshalb Feuerholz von weit her holen. Jeden Tag wache ich auf und schaue nach Osten. Ich sehe dann die Hügel meines Bundeslands Rakhine in Myanmar. Das macht mich traurig. Ich will wieder in meinem eigenen Land leben. Ich will, dass mein Sohn dort aufwächst.

Nurasha: 

„Egal, wie viel uns Hilfsorganisationen geben, das Leben hier wird nie vergleichbar sein mit dem Leben, das wir in Myanmar hatten.“ 

Unser Leben in Myanmar war sehr gut. Wir hatten so viel Land, bauten hauptsächlich Reis an, aber zur passenden Jahreszeit auch Kartoffeln oder Wassermelonen. Wir waren glücklich. Das ist jetzt ganz anders. Die Soldaten haben Menschen umgebracht und Häuser niedergebrannt. Wir hatten keine Wahl, wir mussten fliehen. Zwei Tage marschierten wir, um hierher nach Bangladesch zu kommen. Dabei hatten wir noch Glück. Andere brauchten 10 Tage, ja sogar 15 Tage, um über die Grenze zu kommen. Als wir ankamen, gab es nichts. Die Einheimischen unterstützten uns sehr, als noch keine Hilfsorganisation hier war. Mit dem Geld, das wir bei uns hatten, kauften wir Bambusrohre und Planen, um unsere Hütte zu errichten.

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Nurasha, 50 Jahre

Nurasha, 50 Jahre

Jetzt lebe ich hier, auf kleinem Raum, mit meinem Mann und sechs Kindern, das jüngste zehn Jahre alt. Wir können keine Landwirtschaft betreiben wie früher. Ich hole Nahrungsmittel vom Verteilungspunkt im Camp. Die Regenzeit hat jetzt angefangen, ein Erdrutsch hat bereits unsere Hütte erwischt. Das macht mir Sorgen. Ich würde die Hütte gerne verstärken, aber ich habe kein Geld für Materialien. Trotzdem bin ich optimistisch. Ich bete zu Gott. Aber egal, wie viel uns Hilfsorganisationen geben, das Leben hier wird nie vergleichbar sein mit dem Leben, das wir in Myanmar hatten. Ich will einfach nur zurück nach Hause. Wissen Sie vielleicht, wann das möglich sein wird?

* Die Gespräche wurden mithilfe eines burmesischen Übersetzers geführt und anschließend aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt.

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.