So heftig hatte er sich das nicht vorgestellt, als er damals seinen Sohn mitnahm. Der ist öfter dabei, wenn sein Vater Spielplätze eröffnet oder Reden hält. Damit er sieht, was Papa so macht als Leiter des Bezirksamts Hamburg-Eimsbüttel und wie Politik ge,macht wird. Es war dann hoch hergegangen bei der Versammlung im April vor einem Jahr: Über 300 Menschen waren gekommen, um über die neue Flüchtlingsunterkunft zu diskutieren. Stattdessen beschimpfen sie einander und lieferten sich heftige Wortgefechte. Ein „Horrorhaus“ werde das sein, hieß es.

Hinterher wunderte sich der 15-Jährige. Warum es die ganze Zeit um „die Ausländer“ ging – da brauchten Leute Wohnungen, und dort gab es schließlich welche. „Wo ist eigentlich das Problem?“, fragte er seinen Vater Torsten Sevecke. Der schimpfte über die „Bierzeltstimmung“. Kurz danach schrieben alle Zeitungen darüber. „Asyl trifft auf Luxus“ oder „Flüchtlinge im Millionärs-Viertel“ – das waren so die Schlagzeilen.

Torsten Sevecke mag seinen Job. Der 52-Jährige, kurze graue Haare, das Hemd in der Jeans, tritt selbstsicher auf, manchmal etwas forsch. Oft sagt er Sätze wie: „Der Staat muss handlungsfähig bleiben“ und klingt dabei, als würde er von sich selbst in der dritten Person sprechen. Doch momentan hat er ein Problem: Platz. Die Flüchtlingszahlen sind wie im ganzen Land rasant gestiegen. In diesem Jahr wird die Stadt schätzungsweise mehr als 5.000 Flüchtlinge zusätzlich unterbringen müssen.„Flüchtlinge passen hier nicht hin“, sagt der Inhaber ein Bar im Viertel. Er wohnt seit über 40 Jahren hier. Die Unterschiede seien zu groß, und überhaupt, „mindestens 70 Prozent von denen klauen“. Wenige argumentieren so direkt wie er. Meistens heißt es, es werde zu sozialen Spannungen kommen, Arm und reich so dicht nebeneinander. Die Flüchtlinge würden sich hier nicht wohlfühlen. Ihre Kinder hätten in der Schule Probleme neben den wohlhabenden Klassenkameraden. Und ein Argument, das in der Presse oft wiederholt wurde: Die Einkaufsmöglichkeiten seien für Flüchtlinge viel zu teuer.Ein Thema, wie gemacht für die Medien: In Harvestehude, einem Hamburger Nobelstadtteil an der Alster, sollen 220 Flüchtlinge untergebracht werden – zumindest wenn es nach Bezirksamtsleiter Sevecke geht. Der will die Unterkunft durchsetzen, um jeden Preis. Auch wenn das gerade schwierig scheint. Das Gebäude an der Sophienterrasse 1a gehörte früher der Bundeswehr, es ist ein richtiger Behördenbau mit vielen eng nebeneinanderliegenden Fenstern. 23 Wohnungen sollen hier entstehen, in einer von Hamburgs besten Lagen, wo die Quadratmeterpreise schon mal fünfstellig sein können und der Weg zur Außenalster kurz ist. Er führt vorbei an Gründerzeitvillen und neuen Apartments mit viel Glas, gepflegten Vorgärten und einem ehemaligen NS Gebäudekomplex, der nun zu Luxuseigentumswohnungen und schönen Stadtvillen ausgebaut wird.

Keine leichte Aufgabe in einer Metropole, in der Wohnraum knapp ist und selbst Gutverdienende oft monatelang nach einer Wohnung suchen. Und umso schwieriger im reichen Bezirk Eimsbüttel, wo es kaum mehr freie Flächen oder Gebäude gibt. „Wo immer sich eine Möglichkeit ergibt, nutzen wir die“, sagt Sevecke, „wurscht, was in der Umgebung passiert.“ Die Umgebung klagt. Drei Anwohner haben gegen die Unterkunft an der Sophienterrasse Beschwerde eingelegt. Und das Verwaltungsgericht Hamburg hat ihnen recht gegeben. Grund dafür ist ein Baustufenplan aus dem Jahr 1955, in dem es um „besonders geschütztes Wohngebiet“ geht.

Ein Baustopp wurde verhängt, und seit Ende Januar stehen die Umbauarbeiten still. Noch knapp vier Monate sollte es dauern, dann hätten die ersten Familien einziehen können – eigentlich war schon für April die Eröffnung geplant. Jetzt liegt das Gebäude verlassen da, und hinter dem Bauzaun, der das Gelände abriegelt, wuchert der Löwenzahn.

In Harvestehude klagen sie gern, sagt Sevecke. Hier wohnen Menschen, die sich einen Anwalt leisten wie andere einen Cappuccino. Die drei Kläger, wahrscheinlich direkte Anwohner, wollen nicht mit der Presse sprechen. Ihr Anwalt sagt, man wolle nicht „Öl ins Feuer gießen“. Und abwarten, wie das Oberverwaltungsgericht, die nächste Instanz, entscheide.

Er finde den Baustopp schade, sagt Peter Wettergren, 52, der in der Sophienterrasse wohnt. „Ich wüsste nicht, warum es zu Problemen kommen sollte“, sagte er, seine Nachbarn sähen das ähnlich. „Es ist eine wohltuende Provokation für die Anwohner, weil die meisten viel Geld bezahlt haben“, sagt Uwe Gutowksi, 57, der mit seiner Frau hier oft entlangspaziert. Sie meint, gegen gebildete Syrer habe sie nichts, „aber Zigeuner und Kriminelle, das wäre nicht schön“. „Ich schäme mich!“, sagt Cordula Prinz, die mit ihrer Familie im angrenzendenStadtteil Eppendorf wohnt: „Diese Leute haben nur Angst um ihren eigenen Wohlstand.“

„Die meisten hier sehen das Asylbewerberheim positiv“, sagt Heidrun Petersen-Römer, 62, eine Schauspielerin, die den Verein „Flüchtlingshilfe Harvestehude“ mitgegründet hat. Sie wollten etwas tun, wie damals während des Jugoslawienkrieges, als die Bosnier kamen. Dafür sorgen, dass die Flüchtlinge sich wohlfühlen. Mittlerweile hat der Verein 110 Mitglieder, dazu kommen über 200 Unterstützer. Sie treffen sich regelmäßig in der Aula des Wilhelm-Gymnasiums, nur eine Querstraße von der Sophienterrasse entfernt. Nebenan probt das Schulorchester, an den Wänden hängen die nachgemalten Werke alter Meister, und vor der kleinen Bühne steht ein Flügel.

Die Stuhlreihen füllen sich, elegante Mäntel und Goldohrringe, eine gutbürgerliche Versammlung. Die meisten Teilnehmer sind älter. Auch Bezirksamtsleiter Sevecke ist gekommen, um den aktuellen Stand der Dinge zu erklären. Gegen die Entscheidung des Gerichts hatte das Bezirksamt Berufung eingelegt. „Sie sehen hier einen Staat unter Druck“, sagt Sevecke. Er tritt routiniert auf, doch dieses Publikum macht es ihm nicht leicht. Viele kritisieren das Vorgehen des Bezirksamts, es sei ein Fehler gewesen, die Unterkunft ursprünglich als „soziale Einrichtung“ zu deklarieren, und warum man das Gelände nicht einfach umwidme.

Als ein älterer Mann fragt, „ob man nicht noch einmal mit den Antragstellern reden könne“, bekommt er einen kleinen Szenenapplaus. Die Kläger sind hier nicht unbekannt, und es scheint, als wolle man das Ganze gerne unter sich klären, ohne großes Aufsehen. Im Verein haben sich mittlerweile viele Arbeitsgemeinschaften gegründet, zum Deutschlernen, für Freizeitangebote oder Kinderbetreuung. Nur Flüchtlinge, die gibt es noch nicht. „Wenn es einen Bereich in Hamburg gibt, der richtig hohe Integrationsleistungen erbringen kann, dann ist das der Bezirk Eimsbüttel“, sagt Sevecke. „Hier ist der geballte Mittelstand.“ Es gäbe so viele Menschen, die sich engagieren wollen, dass das Bezirksamt mittlerweile eine eigene Mitarbeiterin nur für die Koordination der Flüchtlingsinitiativen eingestellt habe.

Aber können sich in Harvestehude Flüchtlinge wohlfühlen, in dieser elitären Umgebung? „Wahrscheinlich brauchen diese Menschen am meisten das Gefühl von Sicherheit“, sagt Heidrun Petersen-Römer. „Und dieses Gefühl können wir ihnen geben.“ Für Torsten Sevecke ist klar, es geht bei dem Konflikt nicht um soziale Spannungen – es geht um Geld. Die Immobilienpreise sind in den letzten Jahren stark gestiegen, und die Kläger hätten Sorge, dass eine Flüchtlingsunterkunft den Wert ihrer Häuser mindere.

Bei den Versammlungen sei das auch deutlich so gesagt worden. Doch die Flüchtlingsunterkunft werde es geben, „so sicher wie das Amen in der Kirche“. Nur wann, bleibt unklar. Um den Plan durchzusetzen, will der Senat jetzt den Bebauungsplan ändern. Das kann allerdings noch ein Jahr dauern. Der Mietvertrag, den der städtische Träger der Unterkünfte mit dem Landesbetrieb Immobilienmanagement geschlossen hat, läuft indes weiter, billiger wird das Vorhaben dadurch nicht.

Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, auf die alle monatelang gewartet haben, fiel Ende Mai: Die Beschwerde des Bezirksamts gegen den Baustopp wurde zurückgewiesen. Bei der Flüchtlingsunterkunft handele es sich um keine Wohnnutzung, „weil es an der Eigengestaltung und Freiwilligkeit des Aufenthalts fehlt“, heißt es in der Begründung. Das bedeutet, im noblen Harvestehude werden so schnell keine Flüchtlinge wohnen. Um den Plan durchzusetzen, will der Senat jetzt das Baurecht ändern. Das allerdings kann noch dauern.Es sind vor allem die Jüngeren im Viertel, die sich für die Flüchtlinge stark machen – wie der 15-jährige Merlin Hosak, der in Eimsbüttel wohnt und glaubt, wenn die Flüchtlinge erst mal da sind, werde es keine Probleme geben. „Wenn wir, die Jugendlichen aus dem Stadtteil, auf die zugehen und sagen ,Hey, willkommen!', dann bezweifle ich, dass es zu Spannungen kommen wird.“ Wenn die Flüchtlinge erstmal da sind, wollen Merlin und seine Freunde ein „Urban Gardening“-Projekt mit ihnen starten. „Ich bin auch dafür“, sagt der zwölfjährige Ben-Luis, der mit seinen Eltern im angrenzenden Stadtteil Eppendorf wohnt. „Wenn man die hier auch noch vertreibt, wo sollen die denn dann hin?“ Die Antwort auf seine Frage heißt: In die Gewerbegebiete. Nach Billstedt etwa, an den Rand der Stadt, wo es genug Flächen gibt, zunehmend Flüchtlingsunterkünfte und sozialen Sprengstoff.

Fotos: Lars Berg/Imago, picture alliance/dpa