Ob die Entscheidung der Bundeskanzlerin in der Sache Böhmermann eine gute war, ist inzwischen reichlich kommentiert und diskutiert worden. Ebenso die Frage, ob Böhmermanns Erdoğan-Verse überhaupt Satire waren – und wenn ja, ob die sowas darf. Aber mal ganz einfach gefragt: Was immer es auch war, hat es etwas gebracht, oder eher geschadet? Auch da sind unsere beiden Autoren ganz unterschiedlicher Auffassung:

Ziemlich clevere Kunstfigur

Was rassistisch klingt, entlarvt nur Erdoğans Minderwertigkeitskomplex und die schlechte Satire von Extra3, sagt Arne. 

Zur Causa Böhmermann ist zwar schon alles gesagt worden, aber noch nicht von mir. Daher nur ganz kurz: Aussagen ohne ihren Kontext zu bewerten ist immer ziemlich unsinnig, ob es sich dabei nun um Gedichte in einer Satiresendung handelt oder um Koranverse. 

Kaum einer der Satire-Kommentatoren hat bisher auf den vollständigen Kontext der Quatsch-Sendung hingewiesen. Böhmermann hat nämlich im Zusammenhang mit dem Gedicht vorausgesagt, dass seine Aussagen vermutlich instrumentalisiert und aus der Mediathek gelöscht werden und er seinen Anwalt Christian Schertz wegen Verleumdungsklagen wird engagieren müssen. Warum ist darauf keiner eingegangen? Weil kaum jemand die ganze Sendung gesehen hat. Das ZDF hat sie schließlich in einer ziemlich dämlichen Form der vorauseilenden Zensur aus der Mediathek gelöscht.

„Böhmermanns Rassismen waren in diesem Zusammenhang eine ziemlich clevere Kunstfigur.“

Wer sich die ganze Sendung aus dem Internet heruntergeladen hat und ansieht, erkennt: Böhmermann wollte sich nicht nur über Erdoğans Minderwertigkeitskomplex lustig machen, sondern sich auch gleichzeitig von der handwerklich schwachen „extra3“-Satire und wohlfeilem Applaus aus dem AfD-Umfeld distanzieren – demselben Umfeld, das für die Meinungsfreiheit kämpft, wenn es gegen Türken geht, aber auf Tortenwürfe gegen ihre Führer mit Gewaltandrohungen reagiert und ihre Anwälte ruft, wenn die Gruppe Frei.Wild eine „Drecksband“ genannt wird.

Böhmermanns Rassismen waren in diesem Kontext eine ziemlich clevere Kunstfigur. Und, wie ich finde, auch ganz schön lustig. Ich habe das Video ein paar Freunden aus Istanbul gezeigt, die gerade zu Besuch sind. Die fanden das Gedicht nicht so lustig. Es war ihnen eigentlich ziemlich egal. Aber ich glaube, das liegt vor allem an den türkischen Untertiteln, die die schwungvollen Verse nicht ganz transportieren können. Ich habe dann noch ein bisschen versucht, ihnen den großartigen Reim „Und selbst abends heißt’s statt schlafen/Fellatio mit hundert Schafen“ zu erklären, war damit aber letztlich nicht erfolgreich.

„Natürlich gibt es in der Türkei aber gerade andere Probleme, zum Beispiel den Bürgerkrieg im eigenen Land und den Bürgerkrieg im Nachbarland.“

Etwas lustiger fanden sie das plastische „Titanic“-Cover aus den 1980ern, das ich ihnen dann ergoogelte, um die glorreiche Satiretradition von Böhmermann zu zeigen. Das Heft zeigt den damaligen Papst Johannes Paul II. – immerhin auch ein autoritärer Herrscher mit religiösem Anstrich – in Anspielung auf seinen nahenden Deutschlandbesuch beim Sex mit einem Schaf. Er ruft dabei „Ich komme“.

Natürlich gibt es in der Türkei aber gerade andere Probleme, zum Beispiel den Bürgerkrieg im eigenen Land und den Bürgerkrieg im Nachbarland. Dass Erdoğan dabei noch die Zeit findet, beleidigt zu sein, ist bemerkenswert. Fast 2.000 Journalisten sind wegen Präsidentenbeleidigung angeklagt.

Übrigens: Ob Böhmermann Erdoğan einen Ziegenficker nennt oder nur eine Ziege, eine Klage hätte er sich auch im zweiten Fall einhandeln können. Erdoğan verklagte nämlich bereits die türkische Satirezeitschrift „Penguen“, weil die ihn im Heft als Katze dargestellt hatte. In der darauffolgenden Ausgabe zeigte die Zeitschrift Erdoğan als Elefanten, Schlange, Kamel und Affe. Die Reaktion finde ich auch ganz schön lustig. Ich bezweifle aber, dass die „Penguen“, eines der letzten verbliebenen oppositionellen Magazine in der Türkei, noch lange dem Druck von Erdoğan standhalten wird.

Deswegen ist es auch ein Zeichen von (natürlich ziemlich hilfloser) Solidarität, Erdoğan zumindest von außerhalb zu kritisieren. Ob der dann den Kontext der Kritik versteht, ist eigentlich ziemlich egal.

Arne Semsrott arbeitet in Berlin für die Organisation „Frag den Staat“ und schreibt nebenbei als freier Journalist. Er hat ein Jahr in Istanbul gelebt und vor allem den Osten der Türkei ausgiebig bereist. Seither pflegt er viele Kontakte zu Oppositionellen im Land. 

Die Aussage bleibt rassistisch

Egal was genau die Absichten Böhmermanns waren, seine Wortwahl öffnet eine Pandorabüchse, findet Merve Gül. 

Ich hab lange nicht verstanden, weshalb viele Menschen mit Migrationshintergrund die Aussage des alten deutschen Opis „Du kannst aber gut Deutsch!“ als rassistisch empfunden haben. Nach der Causa Böhmermann verstehe ich das Ganze deutlich besser. Die Art der Absicht eines Menschen verrät mir, ob jemand ein Rassist ist oder nicht. Die Aussage an sich bleibt aber rassistisch. Deshalb sind weder Böhmermann noch der alte deutsche Opi Rassisten.

 

Aber viele von uns spucken im Alltag Töne, die rassistisch sind, aus uns allen aber noch lange keinen Rassisten machen. Oft passiert das unüberlegt. Ein kleinlaut beigegebenes „Das war ja gar nicht so gemeint!“ macht die Sache an sich nicht besser. Verletzt ist das Gegenüber trotzdem. Solche Aussagen treiben Keile zwischen Menschen und schaden dem gesellschaftlichen Zusammenleben. Deshalb geht es mir persönlich nicht um die juristischen Grenzen der Meinungsfreiheit. Sicherlich wird das Gedicht im Kontext betrachtet noch von der Meinungsfreiheit abgedeckt sein. Mir geht es um die Pandorabüchse, die geöffnet wird und Rassismus noch salonfähiger macht, als er sowieso schon ist.

„Aber dass Satire nicht global funktioniert und kulturell geprägt ist, hat spätestens jetzt auch Böhmermann verstanden.“

Dass Satire scheiße sein kann und wehtut, ist nichts Neues. Dass die lauteren Absichten Böhmermanns im Gerichtsprozess umfassend berücksichtigt und angemessen gewürdigt werden, ist die Aufgabe unseres Rechtsstaats. Aber dass Satire nicht global funktioniert und kulturell geprägt ist, hat spätestens jetzt auch Böhmermann verstanden. Vermutlich hätte er die Anzeige auch am Hals, wenn er gedichtet hätte, dass Erdoğan eine Ziege ist statt ein Ziegenficker. Aber die Debatte um den Rassismus wäre ihm erspart geblieben.

„Er hat doch Erdoğan beleidigt und nicht dich.“ Ich bin verletzt, weil der Name „Erdoğan“ in Böhmermanns Gedicht gegen die Bezeichnung „Migrant“ ausgetauscht werden kann und sich die Schmähkritik dann anhört, wie ’ne Pegida-Parole oder ein AfDler-Kommentar im Netz. Ob er Erdoğan beleidigt hat oder beleidigen wollte, ist Erdoğans Problem und nicht meines. Erdoğan hat im Laufe seines „Werdegangs“ genug Steilvorlagen geliefert, um im Rahmen einer Schmähkritik selbst beleidigt zu werden. Wenn Böhmermann nicht weiß, wie das funktioniert, sollte er sich dringend mit Bushido in Verbindung setzen. Für die, die es nicht raffen: Flüchtlinge und Migranten aus dem Morgenland werden häufig als Esel- oder Ziegenficker im Netz beschimpft. Hinzukommen Aussagen wie Pädobär, Kopftuchschlampe, Knoblauch-Türke und Judenhasser.

„Ich bin enttäuscht von Böhmermann, weil er als intelligenter Mensch sich ausgerechnet bei diesen Parolen bedient.“

Ich bin enttäuscht von Böhmermann, weil er als intelligenter Mensch sich ausgerechnet bei diesen Parolen bedient. Der Arbeitsvorgang sah wohl so aus: 1. Erdoğan ist Türke. 2. Was regt Türken auf? 3. Pädobär und Ziegenficker werden wohl ausreichen. Hätte er sich ernsthaft mit der Frage auseinandergesetzt „Was kotzt Erdoğan an?“, dann wäre er zu einem anderen Ergebnis gelangt und mein Beitrag würde nicht existieren. Da ist man es sich für einen Geniestreich viel zu pauschal an die Sache heran gegangen und hat es sich zu einfach gemacht.

Welche Auswirkungen hat jetzt das Gedicht in unserer Gesellschaft? Neben der notwendigen Diskussion über die Kunstfreiheit nur bittere. Wenn die Führer der AfD plötzlich zu Verfechtern der „Lügenpresse“ werden und intellektuelle Aktivisten im Kampf für die Meinungs- und Kunstfreiheit Ziegenmasken und Kopftücher auf Berliner Straßen vor der türkischen Botschaft tragen wollen, dann hat Böhmermann, der eigentlich wirklich ein Genie ist, sich gewaltig vertan und dem Rassismus, gegen den er selbst ankämpft, das Tor in unserer Gesellschaft weiter geöffnet. Nachdem das Gericht Böhmermann sicherlich aufgrund seiner lauteren Absichten freisprechen wird, können wir uns alle im selben Zusammenhang noch einmal auf eine Ladung Ziegenficker-Fantasien gefasst machen. Durch die Absehbarkeit des Ergebnisses und im Wahn der Machtdemonstration hat der türkische Staatspräsident nur bewiesen, dass ihm drei Millionen türkischstämmige Bürger in Deutschland eigentlich egal sind. Lange Rede, kurzer Sinn; irgendwie versteht außer Merkel keiner, welche Verantwortung er trägt.

Merve Gül wurde am 8. Januar 1992 in Stuttgart geboren. Ihre Eltern stammen aus der Türkei. Sie studiert Jura an der Universität in Mannheim und ist Stipendiatin der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Deutschland Stiftung Integration. Als Bloggerin beschäftigt sie sich viel mit der türkischen Community in Deutschland.

Illustration: Renke Brandt