Wenn das Männermagazin „GQ“ einmal im Jahr die „Men of the Year“ prämiert, kann es gar nicht glamourös genug zugehen – schließlich sieht sich das Magazin als Leib- und Magenblatt der Prominenz. So werden die Gewinner regelmäßig im ehrwürdigen Londoner Royal Opera House vor großem Publikum geehrt, 2013 waren das unter anderem die Arctic Monkeys und der englische Schauspieler und Komiker Russell Brand. Der allerdings mühte sich nach Kräften, zumindest die Stimmung beim Hauptsponsor Hugo Boss zu verderben. Anstatt sich artig zu bedanken, erinnerte Brand daran, dass die deutsche Modefirma einst mit den Nationalsozialisten Geschäfte machte. „Wer sich mit der Geschichte und Mode etwas auskennt“, so Brand, „wird wissen, dass Boss die Uniformen für die Nazis gemacht hat. Die Nazis hatten ihre Mängel, aber sie sahen verdammt gut aus, während sie Menschen wegen ihrer Religion und Sexualität getötet haben.“

Tatsächlich war der Firmengründer Hugo Ferdinand Boss recht früh in die NSDAP eingetreten (am 1.4.1931) und hatte mit der Produktion von Uniformen für die HJ, SS und SA den Konkurs seiner Firma abgewendet und seinen persönlichen Wohlstand gesteigert – auch mit dem Einsatz von 140 Zwangsarbeitern, meist Frauen, und 40 französischen Kriegsgefangenen. Dabei wurden die Zwangsarbeiter zum Teil von einem eigens nach Polen gereisten Mitarbeiter ausgesucht und anschließend mit Hilfe der Gestapo nach Metzingen gebracht.In der Firmenzentrale von Boss im schwäbischen Metzingen wird man solche Vorwürfe nicht gern gehört haben – neu sind sie freilich nicht. Schon seit Jahren berichten vor allem englischsprachige Medien immer mal wieder über das düsterste Kapitel der Firmengeschichte, was dem Image des global operierenden Konzerns natürlich nicht zuträglich ist.

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Familie Gisterek bei der Beerdigung (Foto: www.metzingen-zwangsarbeit.de)

Familie Gisterek bei der Beerdigung

(Foto: www.metzingen-zwangsarbeit.de)

Dort wartete auf sie laut Zeugenaussagen ein zwölfstündiger Arbeitstag bei niedrigster Bezahlung, karger Kost und den Schmähungen leitender Angestellter der Textilfirma, die ihnen unter anderem mit dem KZ drohten und sie als „Polenschweine“ titulierten, wie Zeitzeugen dem Metzinger Autor Henning Kober berichteten. Die Polin Josefa Gisterek, die nach der Erkrankung ihrer Mutter unerlaubterweise zu ihrem Vater gereist war und über die Konzentrationslager Auschwitz und Buchenwald zurück nach Metzingen verschleppt wurde, nahm sich schließlich vor lauter Verzweiflung das Leben.

Der Konzern ließ 1997 eine Historikerin zur Geschichte von Boss forschen

Bereits 1997, nachdem in der Schweiz ein bis dato unbekanntes Konto von Hugo Boss aufgetaucht war, hatte der Modekonzern die Historikerin Elisabeth Timm beauftragt, die Geschichte des Konzerns zu erforschen. Nach jahrelanger Recherche in etlichen Archiven gab Timm ihre Studie 1999 schließlich in der Konzernzentrale ab – der Öffentlichkeit wurde sie freilich nicht vorgestellt. Dadurch entstand der Eindruck, dass der Konzern die Studie geheim halte oder unterdrücke, was man bei Boss damals von sich wies. Es fehle „die Einordnung in den historischen Kontext“, hieß es dazu von Unternehmensseite.

Ob das stimmt, davon kann sich jeder selbst ein Bild machen, denn Elisabeth Timm hat ihre Studie schon vor langer Zeit online gestellt. Darin porträtierte sie Hugo Boss als einen kühl kalkulierenden Nutznießer, der im Krieg die Gunst der Stunde erkannte: Durch seine NSDAP-Mitgliedschaft machte er aus einer kleinen Klitsche für Windjacken und Arbeitskleidung einen prosperierenden Zulieferer der sogenannten „Reichszeugmeisterei“. Insgesamt, so der Tenor der Studie, sei Hugo Ferdinand Boss eben einer jener typischen Mittelstandsprofiteure gewesen, von denen viele frühzeitig um die Gunst der Nazis buhlten, weil sie sich positive Effekte auf die deutsche Wirtschaft im Allgemeinen und ihre Umsätze im Besonderen ausrechneten.

Zu einem ganz ähnlichen Schluss kommt eine weitere Studie des Münchener Historikers Roman Köster, die Boss später in Auftrag gab und die man auf der Unternehmens-Website einsehen kann. In seiner Arbeit finden sich aber auch recht salomonische Passagen über den Firmengründer. Dort heißt es etwa, dass Boss sehr früh Braunhemden für die NSDAP geschneidert habe, es aber „unwahrscheinlich ist, dass Hugo F. Boss von dem Verwendungszweck dieser Hemden damals gewusst hat.“ Das ist eine zumindest erstaunliche Aussage, wenn man weiß, dass sich Boss Mitte der 1930er-Jahre in Werbeanzeigen als „Parteiausrüster bereits seit 1924“ anpries.

Der Firmengründer wurde nach dem Krieg als "Mitläufer" eingestuft

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cms-image-000046517.jpg (www.metzingen-zwangsarbeit.de)
(www.metzingen-zwangsarbeit.de)

Nach dem Krieg wurde Hugo Ferdinand Boss im Rahmen der Entnazifizierung zunächst als Belasteter zu Geldstrafen und Aberkennung des Wahlrechts verurteilt, nach einer von ihm angestrengten Revision aber lediglich als Mitläufer eingestuft. Die Gründe für die erstinstanzliche Verurteilung waren seine frühe Mitgliedschaft in der NSDAP gewesen und seine Freundschaft zum NSDAP-Ortsgruppenleiter in Metzingen, Georg Rath. Noch vor Zahlung der verhängten 25.000 Reichsmark Geldstrafe starb Boss schließlich am 9.8.1948 an einem vereiterten Zahn. Als Firmenchef beerbte ihn sein Schwiegersohn Eugen Holy, dessen Söhne Uwe und Jochen Holy das Textilunternehmen in den 70er-Jahren zu dem machten, was es heute noch ist: eine der bekanntesten Modemarken der Welt.

Die Studien

Die Studie der Historikerin Elisabeth Timm und ihre gesammelten Aussagen von ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern bei Boss sind zu finden unter: www.metzingen-zwangsarbeit.de

Die Unternehmensstudie „Hugo Boss, 1924–1945. Eine Kleiderfabrik zwischen Weimarer Republik und ‚Drittem Reich‘“ von Roman Köster ist über Boss erhältlich. Unter history@hugoboss.com kann man sie bestellen.

Fotos: Stadtarchiv Metzingen, www.metzingen-zwangsarbeit.de