Das Heft – Nr. 78

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Neue Blüte

Warum in die Welt reisen, wenn es botanische Gärten gibt?

Botanischer Garten

Wenn Lara Weiser über Pflanzen spricht, strahlt sie übers ganze Gesicht. Die Kinder, mit denen sie an diesem Tag im Botanischen Garten in Bonn unterwegs ist, lassen sich schnell von ihrer Begeisterung anstecken. Sie dürfen die Pflanzen heute nicht nur anschauen, sondern auch anfassen, fühlen und schmecken. Das mit den Pflanzen war für Weiser aber Liebe auf den zweiten Blick.

Während ihres naturwissenschaftlichen Studiums beschäftigte sie sich lieber mit Tieren. Die Leidenschaft erwachte, als sie sich intensiver mit dem Botanischen Garten in Bonn befasste. „In botanischen Gärten kann man direkt in Diversität eintauchen“, sagt sie. So kann man in Bonn fleischfressende Pflanzen beim Verdauen beobachten, vom Aussterben bedrohte Schlangenbäume bestaunen sowie anhand eines elf Millionen Jahre alten Baumstamms etwas über den rheinischen Braunkohleabbau lernen. Trotzdem seien Pflanzen für viele unspektakulär, so Weiser, und würden gar nicht als Lebewesen gesehen. „Die meisten Menschen nehmen botanische Gärten als Parks wahr, nicht als Museen“, glaubt sie.

Kaum ein Land in Europa hat so viele und so unterschiedliche botanische Gärten wie Deutschland

Während einige Zoos Millionen Besucher im Jahr anlocken, müssen sich botanische Gärten oft was einfallen lassen, um Menschen in ihren Bann zu ziehen. So veranstaltet der Botanische Garten in Berlin, mit rund 20.000 Pflanzenarten international einer der artenreichsten, seit einigen Jahren Konzerte. In Bonn versucht man sich alljährlich an einer Halloween-Feier.

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Botanischer Garten (Foto: Samuel Zeller)
Kuppeldach des Botanischen Gartens in Bonn (Foto: Samuel Zeller)

Kaum ein Land in Europa hat so viele und so unterschiedliche botanische Gärten wie Deutschland. Viele sind Teil einer Universität, andere werden kommunal geführt. Die wichtigste Aufgabe von botanischen Gärten ist – neben der Naherholung – die Erforschung, Sammlung und Erhaltung von Pflanzenarten. Gerade in Zeiten schwindender Artenvielfalt gewinnen sie dadurch an Bedeutung. Trotzdem musste 2016 der Garten in Saarbrücken schließen, auch um die in Berlin und Hamburg stand es zwischenzeitlich schlecht. An eine akute Gefährdung glaubt Maximilian Weigend, Präsident des Verbands Botanischer Gärten, dennoch nicht: „Die Bevölkerung steht hinter den Gärten – und für die Politik wird es immer peinlicher, an so was zu sparen.“ Die 97 Mitglieder des Verbands dokumentieren Pflanzen und tauschen sie untereinander, aber auch mit botanischen Gärten weltweit.

Botanische Gärten gibt es schon seit Jahrhunderten. Der älteste wurde 1545 im italienischen Padua gegründet, um Arzneipflanzen und Heilkräuter zu erforschen und zu kultivieren. Später zeigten die Gärten auch regionale Nutzpflanzen wie Tomaten oder tropische wie Ananas und boten Biotope für Moore, Gräser und Wälder. Was zu Beginn nur für Menschen mit medizinischem oder botanischem Interesse von Bedeutung war, wurde schnell zu einem gesellschaftlichen Ereignis – durch botanische Gärten konnten Menschen die (Pflanzen-)Welt bereisen, ohne ihr Heimatland zu verlassen.

Neben dem Bau des heutigen Berliner Botanischen Gartens wurde Ende des 19. Jahrhunderts auch die „Botanische Zentralstelle für die deutschen Kolonien“ eingerichtet. Denn ein großer Teil der Pflanzen gelangte während der Kolonialzeit nach Europa. Vor allem das Vereinigte Königreich, dessen Royal Botanic Gardens Kew im Südwesten Londons mit über 50.000 Pflanzen bis heute zu den größten weltweit zählt, schickte Forscher nach Südamerika, Asien und Afrika. Die dort entdeckten Pflanzen fanden ihren Weg zum Teil auf fragwürdige Art und Weise nach Europa: So schmuggelte
der Brite Henry Wickham 1876, staatlich subventioniert, 70.000 Samen des Kautschukbaums aus dem brasilianischen Amazonas nach London. In ihren kolonialen Gebieten in Südostasien bauten die Briten damit eine Plantagenwirtschaft auf und zerstörten das brasilianische Monopol. Botanische Gärten koordinierten solche Pflanzentransfers, entsandten entweder selbst Botaniker oder standen diesen in beratender Funktion bei.

„Nirgendwo sonst kann man die Gefährdung, die für Pflanzen vom Klimawandel ausgeht, so visualisieren“

Als Folge wurden erste botanische Gärten außerhalb Europas gegründet. Viele der überführten Pflanzen erhielten lateinische Namen, so etwa die Welwitschia, benannt nach dem österreichischen Botaniker Friedrich Welwitsch, die in ihrem natürlichen Lebensraum Namibia oder Angola unter dem Namen n’tumbo oder onyanga bekannt ist. Indigene Namen sowie das dazugehörige indigene Wissen gingen oft verloren.

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Botanischer Garten (Foto: ZUMA Wire/IMAGO)
Da, schau: ein riesige Titanenwurz (Foto: ZUMA Wire/IMAGO)

Nicht alle botanischen Gärten klären über diese Geschichte oder geschichtliche Verwicklungen auf. Ihre bildungspolitische Verantwortung nehmen sowohl Lara Weiser als auch Maximilian Weigend trotzdem ernst. „Wir haben einen wichtigen Bildungsauftrag, um Menschen zu vermitteln, wie wichtig Naturschutz ist, um Pflanzenarten zu erhalten“, sagt Weigend. Dies gelinge, indem Bewusstsein für die Artenvielfalt geschaffen werde. Dafür gibt es inzwischen an viele botanische Gärten angekoppelte Grüne Schulen, die Vorträge und Führungen rund um den Garten anbieten, speziell auch für Kinder und Jugendliche. Lara Weiser, die die Grüne Schule in Bonn seit 2019 leitet, ist sich sicher: „Nur etwas, das mir bewusst ist, das ich schätze, vielleicht sogar liebe, bin ich bereit zu schützen.“

Wenn eine Pflanze vom Aussterben bedroht ist, können botanische Gärten die Retter in der Not sein, indem sie die Pflanze kultivieren und Ableger davon ziehen. Dafür gibt es internationale Samenbanken. Der Global Seed Vault, der größte Saatguttresor weltweit, gelegen im norwegischen Spitzbergen, lagert über eine Million Samenproben von Nutzpflanzen, um deren Vielfalt zu bewahren. Idealerweise werden bedrohte Arten wieder in ihr natürliches Habitat zurückgebracht. In Bonn beteiligt man sich an zahlreichen Arterhaltungs- und Wiederansiedlungsprojekten: Etwas Besonderes war die Wiedereinführung des bis dahin als ausgestorben geltenden Toromirobaums, der einzigen einheimischen Baumart der Osterinsel, in den 1990er-Jahren.

Nicht immer gelingt das, denn ist der Lebensraum durch äußere Umstände wie den Klimawandel nachhaltig geschädigt, können sich Pflanzen dort nicht wieder ansiedeln. „Wir können aber auf diese Zusammenhänge aufmerksam machen und dafür sensibilisieren“, sagt Lara Weiser.

Dass Pflanzen akut vom Klimawandel bedroht sind, kann man in Bonn ebenfalls beobachten. Wo vor einigen Jahren noch Alpinpflanzen wie das Edelweiß wuchsen, haben heute Wollmispel, Oliven, Kiwis und Kakis ihr Zuhause gefunden. Maximilian Weigend verfolgt diese Entwicklung genau. Und sieht es als wichtige Aufgabe der Gärten, diese offenzulegen: „Nirgendwo sonst kann man die Gefährdung, die für Pflanzen vom Klimawandel ausgeht, so visualisieren.“ Das Bildungspotenzial hat auch die UNESCO erkannt und den Botanischen Garten in Padua, die Singapore Botanic Gardens sowie die Royal Botanic Gardens Kew zum Weltkulturerbe erklärt. Lara Weiser hofft indes, dass sich die Menschen künftig mehr mit Pflanzen beschäftigen – und erkennen, dass sich trotz des zunächst unscheinbaren Äußeren ein zweiter Blick lohnt.

Titelbild: Michael Sieber

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.