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Weil ich dich liebe

Jede dritte Frau weltweit hat sexuelle oder psychische Beziehungsgewalt erlebt. Diese Fotostrecke zeigt Russinnen, die ihr Schweigen darüber brechen

Häusliche Gewalt

Gewalt erfahren Menschen besonders oft durch den eigenen Partner oder Ex-Partner – vorwiegend sind Frauen betroffen. Für Russland bestätigte das Ende letzten Jahres eine vom russischen Parlament, der Duma, in Auftrag gegebene Studie: Sie fand heraus, dass bis zu 91 Prozent aller verheirateten Frauen Gewalt in der Ehe erleben.

Russland ist eins von zwei Ländern im Europarat, das die Istanbul-Konvention nicht unterschrieben hat. Alle anderen verpflichteten sich durch ihre Unterschrift, Gewalt gegen Frauen und im häuslichen Umfeld zu bekämpfen und zu verfolgen, wobei die Umsetzung in der Praxis zu sehr ungleichen Ergebnissne führt. 2017 hat die Duma allerdings ein Gesetz verabschiedet, das manche Formen häuslicher Gewalt von einer Straftat zu einer Ordnungswidrigkeit herabstuft, also Strafen mildert: Schlägt ein Mann zum ersten Mal seine Frau, ohne dass Knochen brechen, so kommt er mit maximal 15 Tagen Gefängnis oder einem Bußgeld von maximal 470 Euro davon; zuvor waren es bis zu zwei Jahre Gefängnis. Die drohen nun nur noch Wiederholungstätern. Seitdem zeigen noch weniger Frauen Gewalttaten bei der Polizei an.

38 Prozent aller Morde an Frauen werden von einem männlichen (Ex-) Partner begangen

Dutzende Versuche von Menschenrechtler*innen, häusliche Gewalt wieder als Straftat zu definieren sind seitdem gescheitert, zuletzt im Herbst 2019. Beobachter gehen davon aus, dass der Staat den Stimmen konservativer und christlich-orthodoxer Gruppen nachgibt: Sie engagieren sich gegen ein solches Gesetz, da es für sie einen ungewollten Eingriff in die Intimität der Familie darstellt.

Die 26-jährige Fotografin Mary Gelman hat russische Frauen vor die Kamera gebeten, die von ihren Partnern geschlagen wurden – und bereit sind, ihr Schweigen darüber zu brechen. Die erlebte Grausamkeit, Ohnmacht und Gewalt, die in dem preisgekrönten Projekt „You are Mine“ thematisiert werden, sind allerdings kein russisches Problem: Weltweit hat eine von drei Frauen sexuelle oder physische Gewalt durch ihren Partner oder Ex-Partner erlebt; 38 Prozent aller Morde an Frauen werden von einem männlichen Partner oder Ex begangen.

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Lisa, 25, Saint Petersburg

Lisa, 25: „Er hatte sich immer gut um mich gekümmert und nach drei Wochen angeboten, zusammenzuziehen. Ich habe eingewilligt, und die Beziehung wurde unerträglich. Er wollte detaillierte Berichte darüber, wo ich mit wem hinging, genaue Ankunfts- und Abfahrtszeiten – selbst wenn ich nur in den Laden gegangen bin, um Milch zu kaufen. Er hat Briefe an meine Mutter gelesen und mir den Kontakt zu Freunden verboten – Gespräche mit neuen Bekannten hat er nur in seiner Anwesenheit erlaubt. Einverständnis beim Sex brauchte er nicht: mich ihm zu verweigern stand nicht zur Debatte. Ohne meine Freunde hätte ich es nicht geschafft, aus dieser Beziehung rauszukommen.“

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Sasha

Sasha, 20: „Ich habe einen Transgender gedatet, eine biologische Frau, die ein Mann werden wollte. Er hat immerzu versucht zu zeigen, dass er ein echter Mann ist – zumindest was er darunter verstanden hat. Oft hat er bezahlt, zum Beispiel für Getränke, und dann gesagt: ‚Ich drücke meine Liebe in Geld aus, und du sei so lieb und bezahl mit Sex.‘ Er wollte eine gemeinsame Wohnung mieten, damit ich den ganzen Tag zu Hause auf ihn warten könnte. Natürlich habe ich abgelehnt. Also hat er mich ‚bestraft‘ und mich sechs Tage lang in ein Zimmer gesperrt, ohne Essen und Wasser, damit ich ‚noch mal drüber nachdenke‘. Ich habe gedacht, ich werde verrückt. Er hat mir gesagt, dass mich außer ihm niemand beschütze und niemand mich jemals lieben werde. Ich habe mir selbst die Schuld gegeben und dachte, dass etwas mit mir nicht stimmt.“

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Tatyana, 26

Tatyana, 26: „Ich weiß noch, wie er mich das erste Mal geschlagen hat: Ich habe in der Küche das Abendessen vorbereitet und seine Anrufe überhört. Als er abends nach Hause gekommen ist, hat er seine Schlüssel nach meinem Gesicht geschmissen und geschrien: ‚Warum bist du nicht rangegangen? Ich hab mir Sorgen gemacht!‘ Danach hat er mich immer wieder geschlagen. Für alles hatte er eine Rechtfertigung, und am Ende war ich diejenige, die sich entschuldigen musste: für meine schlechte Laune, mein schlechtes Aussehen und dafür, dass ich ihn provoziert hätte. Mir war gar nicht klar, dass man auch anders leben kann. Jetzt bin ich verheiratet und habe realisiert, dass Liebe nicht gleich Leidenschaft ist und es nicht romantisch ist zu sagen: ‚Ich kann nicht ohne dich leben‘ oder ‚Du gehörst zu mir‘.“

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Nastya, 20

Nastya, 20: „Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob das eigentlich Gewalt war: Ich wurde ja weder geschlagen noch direkt beleidigt. Mit dem Mann, um den es geht, hatte ich mein erstes Mal. Ich habe ihm gesagt, dass ich keinen Sex haben will, aber er hat einfach weitergemacht. Wie eine Tote habe ich unter ihm gelegen. Er hat mich gefragt: ‚Warum machst du so ein Gesicht? Jeder weiß, dass es Frauen beim ersten Mal wehtut, du musst mich nicht daran erinnern!‘ Er hat sich geweigert, ein Kondom zu benutzen. Erst habe ich mir selbst gesagt, dass das alles nicht so schlimm sei. Aber als er morgens meinte: ‚Alle Frauen haben so schrecklich dumme Gesichter‘, hat mich das sehr verletzt. Es hat wehgetan, weil ich in ihn verliebt war.“

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Zhanna, 28

Zhanna, 28: „Sie hat mich so unterdrückt und manipuliert, dass ich aufgehört habe, meine Freunde zu treffen. Wenn ich zum Beispiel zu einem Treffen gehen wollte, hat sie plötzlich einen willkürlichen Streit angezettelt, sodass meine Laune so schlecht geworden ist, dass ich nirgends mehr hin bin. Wenn ich über unsere Beziehung reden wollte, hat sie aggressiv reagiert und erwidert: ‚Du bildest dir das ein‘ oder ‚So bin ich halt, da kann man nichts machen.‘ Mittlerweile habe ich gelernt, Manipulation zu erkennen und eigene Grenzen klarer zu setzen.“

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Anna, 18

Anna, 18: „Er hat mich verprügelt und seine Zigaretten an mir ausgedrückt – ich habe zwölf Narben und Verbrennungen. Er hat blaue Flecken auf meinem Hals und meinen Handgelenken hinterlassen, damit ich keine freizügige Kleidung mehr anziehen konnte. Er hat alles kontrolliert und nannte es ‚sich um mich kümmern‘. Ich wollte ihn verlassen, aber er hat mich erpresst: Er hat gedroht, eine Freundin zu verpfeifen, die im Konflikt mit dem Gesetz stand. Jeden Samstagabend bin ich in seine Wohnung gegangen, dann hat er mich geschlagen und auf sadistische Weise vergewaltigt. Seine Begründung für diesen Albtraum war, dass er mich liebt. Einmal hat er mich so hart geschlagen, dass ich mit einem Schädel-Hirn-Trauma ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Jetzt fürchte ich mich vor jeglicher ernsthaften Beziehung.“

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.