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„Verschwörungstheorien beruhigen“

Der Psychologe John Cook erforscht Klimaleugner – und weiß deshalb auch, wie man Leuten begegnet, die Covid-19 für eine große Verschwörung halten

Coronaleugner

fluter.de: Dr. Cook, mit der Corona-Pandemie scheinen Verschwörungstheorien große Zustimmung zu erfahren. Ist das ein neues Phänomen?

John Cook: Überhaupt nicht. Wann immer wir im Laufe der Geschichte eine Pandemie erleben, tauchen Verschwörungstheorien auf. Schon während der Pest oder der Spanischen Grippe gab es alternative Theorien über den Ursprung der Seuchen, die sich meist gegen andere richteten: Juden, andere Länder oder Ethnien.

Warum?

Wenn Menschen nervös sind, besorgt oder sich bedroht fühlen, werden sie anfälliger für Verschwörungstheorien. Ganz einfach weil uns die Vorstellung der Zufälligkeit unangenehm ist: Menschen haben ein psychologisches Bedürfnis nach Sinn und Ordnung. Verschwörungen beruhigen. Hinter einem plötzlichen Virus wie Covid-19 ein Komplott zu vermuten würde bedeuten, dass irgendjemand einen Plan hat. Das beruhigt viele, selbst wenn dieser Plan böse ist.

Gleichzeitig gibt es echte Verschwörungen – oder zumindest Bündnisse und Komplotte wie die Täuschung von VW im Abgasskandal. Was raten Sie jemandem, der kritisch denken will, aber nicht konspirativ?

Das Instrument ist Skepsis. Wir sollten alle ein gesundes Maß an Skepsis ausprägen und pflegen. Verschwörungstheoretiker hingegen haben ein unermessliches Maß an Skepsis: Sie glauben nichts, was der vermeintliche Mainstream sagt, und bezweifeln alle Informationen, Beweise oder Daten, die die Darstellung des Mainstreams stützen. Das ist keine Skepsis, sondern Leugnung.

Dr. John Cook ist Assistenzprofessor am Center for Climate Change Communication der George Mason University in Washington, DC. Cook und sein Team wurden 2013 mit einer Studie bekannt, laut der 97 Prozent der wissenschaftlichen Literatur bestätigen, dass der Mensch zum Klimawandel beiträgt. Das Paper wurde 1,2 Mio. Mal heruntergeladen und wird immer noch oft zitiert.

Wie erforschen Sie, wann jemand zum Leugner wird?

Indem wir testen, ob es einen negativen Effekt gibt, wenn wir Menschen Fehlinformationen aussetzen. Wir fragen unsere Probanden zum Beispiel, wie bestimmt sie einer Falschaussage zustimmen, nachdem wir ihnen Fehlinformationen zu dieser Aussage gezeigt haben. So können wir den Effekt dieser Fehlinformation messen. Anschließend testen wir auch, ob man diesen negativen Effekt durch Klarstellung oder Sensibilisierung entfernen kann.

Mit welchem Ziel?

Wir wollen die öffentliche Widerstandsfähigkeit gegenüber Falschinformationen stärken. Indem wir die Fähigkeiten zum kritischen Denken verbessern. Unseren Ansatz nenne ich „logikbasierte Impfung“: Wir zeigen die rhetorischen Techniken und logischen Irrtümer der Fehlinformationen im F-L-I-C-C-Modell.

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Hygienedemo, Berlin, Corona
Alles Spinner, mag man denken. Nur können selbst Menschen, die gar nicht an Verschwörungstheorien glauben, unterbewusst durch sie beeinflußt werden …

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Hygienedemo, Berlin, Corona
… und so das Vertrauen in wissenschaftliche Institution verlieren. Das ergaben zumindest Dr. Cooks Untersuchungen – wenn man ihnen denn glauben will

Bisher haben Sie vor allem Argumentationen von Klimaleugnern analysiert. Mit der Verbreitung des Coronavirus sahen Sie, dass sich deren Strategien im Lager der „Corona-Skeptiker“ wiederfinden.

Ja. Ganz so, als hätte einfach jemand die Worte Klimawandel und Corona ausgetauscht. Und auch im Lager der Impfgegner wird ganz ähnlich argumentiert.

Bei Demonstrationen sieht man, dass diese Gruppen auffallend heterogen zusammengesetzt sind. Lässt Ihre Forschung Rückschlüsse darauf zu, welche Gemeinsamkeiten zu Verschwörungsnarrativen führen? Teilen diese Gruppen einen bestimmten sozialen oder ökonomischen Hintergrund?

Unsere Daten zeigen beispielsweise, dass die Neigung zu konspirativem Denken mit dem Grad des politischen Konservativismus zu steigen scheint. Das heißt nicht, dass jeder Konservative konspirativ denkt und kein Liberaler je den menschengemachten Klimawandel leugnet. Wir ermitteln nur Tendenzen in einem begrenzten Kreis von Personen.

Verraten Sie uns eine weitere Tendenz?

Zuletzt haben wir einen Zusammenhang zwischen Verschwörungsglauben und Individualismus beobachtet: Menschen, die allgemein befürchten, dass die Regierung ihre persönlichen Rechte und Freiheiten verletzt, fühlen sich natürlich nicht nur von den Maßnahmen gegen das Coronavirus bedroht, sondern auch von vermeintlichen Impfpflichten oder Auflagen zum Klimaschutz.

„Die Komplexität der Wissenschaft ist ein Grund, warum Verschwörungstheorien so attraktiv sind“

Liegt es daran, dass Arbeitsweise und Ergebnisse von Wissenschaft manchmal schwer verständlich sind?

Wissenschaftsleugnung nutzt die Anfälligkeit komplexer Wissenschaft aus. Der Klimawandel und der Einfluss des Menschen auf das Klima sind sehr komplex zu erklären. Klimawandel-Leugner nutzen diese Lage mit einfachen Antworten und Verweigerungen aus. Beim Coronavirus ist die Macht der selbst ernannten Skeptiker noch mal größer, weil sich die Corona-Forschung gerade erst aufstellt. Diese Komplexität ist einer der Gründe, warum Verschwörungstheorien attraktiv sind: Sie geben einfache Erklärungen.

Was ist daran gefährlich?

Sie untergraben das Vertrauen der Menschen in Institutionen, wissenschaftliche Daten und Fachwissen. Das kann unterschiedliche Auswirkungen haben: Wer Virologen und der Politik nicht traut, wird wahrscheinlich auch die Verhaltensempfehlungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie missachten. Und das bringt alle in Gefahr: Gegenseitige Rücksicht ist im Moment unser größter Schutz gegen das Coronavirus.

Hygienedemo, Berlin, Corona
Von Biedermann bis Reichsbürger: An eine Bewegung wollen Protestforscher*innen bei den Hygienedemos nicht so recht glauben. Die Anhängerschaft ist weder organisch gewachsen noch ideologisch gefestigt

Studien zeigen, dass die meisten Menschen hierzulande nicht an Verschwörungsmythen glauben. Nehmen wir Verschwörungstheoretiker wichtiger, als sie wirklich sind?

Das glaube ich nicht. Selbst wenn jemand nicht an eine Verschwörungstheorie glaubt, kann sie enormen Einfluss auf Einstellungen und Unterbewusstsein desjenigen haben. Es gibt auch Untersuchungen, die zeigen, dass Verschwörungstheorien das Vertrauen der Menschen in wissenschaftliche Institutionen verringern – ganz egal wie sie die Verschwörungstheorie persönlich einschätzen. 

Übrigens: Theorien sind wissenschaftlich begründet, Mythen erfunden. Deshalb sprechen viele Expert*innen mittlerweile eher von Verschwörungsmythen als von Verschwörungstheorien.

Die Konjunktur von Verschwörungen und Fake News wird seit Jahren vor allem Social-Media-Plattformen angelastet. Erschweren oder erleichtern sie den Umgang mit Falschinformationen?

Beides, würde ich sagen. Social Media ermöglicht jedem, sich einfach und radikal schnell zu desinformieren. Genauso einfach und schnell können wir aber auch unsere sensibilisierenden Botschaften verbreiten. Es ist aber ganz sicher die Pflicht der Plattformen, Fake News zu stoppen.

Werden die Plattformen dieser Verantwortung gerecht?

Die könnten das sicher viel besser machen. Man darf aber nicht vergessen, dass ihre Geschäftsmodelle auch auf Fehlinformationen aufbauen – sei es durch Werbeeinnahmen oder weil Fehlinformationen öfter viral gehen als korrekte Informationen. Eine großangelegte Offensive gegen Fehlinformationen kollidiert also mit dem Geschäftsmodell.

„Du überzeugst niemanden von deiner Meinung, indem du ihm sagst, wie dumm er ist“

Sie haben an einem Game mitgearbeitet, in dem man den spielerischen Umgang mit Falschinformationen üben kann. Sollte man jede Fehlinformation richtigstellen?

Einen Verschwörungstheoretiker umzustimmen ist äußerst schwierig. Unsere begrenzten Ressourcen sind deshalb besser eingesetzt, wenn wir die große Mehrheit der Öffentlichkeit für Verschwörungstheorien und ihre Motivationen sensibilisieren.

Und wenn einem doch mal ein Verschwörungstheoretiker gegenübersitzt, am Küchentisch oder in der Kneipe?

Du überzeugst niemanden von deiner Meinung, indem du ihm sagst, wie dumm er ist. Mein Tipp wäre: zuhören und den gemeinsamen Nenner suchen. Verschwörungstheoretiker sehen sich zum Beispiel oft als besonders kritische Denker, die im Gegensatz zur Mehrheit die „wahre Wahrheit“ erkennen. Aber können sie das auf ihre eigenen Theorien anwenden? Dann kann der Verschwörungstheoretiker vielleicht erklären, warum Regierungen ein Virus erfinden, das ihre Staaten in die Krise schlittern lässt. Oder warum sich das Coronavirus auch dort verbreitet, wo es das angeblich ursächliche 5G-Netz gar nicht gibt.

Für die Fotos auf dieser Seite waren Hahn&Hartung auf den Hygienedemos in Berlin unterwegs.

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