Thema – Integration

Suchen Newsletter ABO Mediathek

Sneakers wie Jay-Z

Mehr als nur Stoff: Geflüchtete Jugendliche erzählen, was die Kleidungsstücke für sie bedeuten, die sie sich in einer Pariser Kleiderkammer ausgesucht haben

Sneaker wie Jay-Z (Foto:  Ambroise Tézenas and Frédéric Delangle)

Als Zaman, ein junger Afghane, nach seiner 16-monatigen Flucht aus Kabul in Paris ankam, trug er Bermudashorts und Flipflops. Es war der Winter 2017. In der Garderobe des Flüchtlingszentrums an der Metrostation Porte de la Chapelle durfte er sich neue Kleidung aussuchen. Valérie Larrondo, eine 25-jährige Freiwillige der Organisation Emmaüs Solidarité erinnert sich noch gut an die Frage, die Zaman ihr beim Durchsuchen der Kleiderspenden stellte: Ob es in dem Haufen alter Turnschuhe auch ein paar nicht ganz so hässliche gäbe? Etwa solche, wie Jay-Z sie trägt? Larrondo tat sich daraufhin mit zwei Fotografen, einem Filmemacher und vier anderen Freiwilligen zusammen: „Wir wollten herausfinden, welche Rolle Kleidung für die Flüchtlinge spielt, die oft anderen Leuten gehört hatte. Was diese Kleidungsstücke für sie bedeuten.“ Jeder von ihnen suchte sich ein Outfit in der Garderobe aus und erklärte, warum er sich dafür entschieden hatte. „Warum diese Schuhe, warum diese Hose, warum die Jacke in dieser Farbe", erzählt Larrondo. „Und dann posierten sie.“

ahmad.jpg

Ahmad

„Ich habe mir dieses T-Shirt ausgesucht, weil es wirklich schön ist, und außerdem hat es meine Größe. Es sitzt, als wäre es mein eigenes. Es passt gut zu meinem Turban. In dem Teil des Sudans, aus dem ich stamme, tragen alle Männer einen Turban. In anderen Teilen des Landes ist das nicht immer der Fall. Meinen habe ich aus Istanbul. Ich kann Schwarz oder Blau tragen, Rot trage ich lieber nicht, das sieht hässlich aus.“ Ahmad, 19, aus dem Sudan

omar.jpg

Omar

„Entschuldigung, mein Englisch ist ein wenig eingerostet, ich habe gerade drei Monate auf der Straße gelebt. Bevor ich meine Familie verloren habe, habe ich mich bunt angezogen (strahlendes Rot, Blau …). Aber seit ich Libyen verlassen habe, trage ich nur noch Schwarz als ein Zeichen der Trauer. Aber etwas zu verändern steht ja auch für die Hoffnung auf ein neues Leben. Ich habe mir diese blaue Jacke ausgesucht, weil das die Farbe des Lebens ist. Und die Lieblingsfarbe meiner Mutter.“ Omar, 25, aus Libyen

abdallah.jpg

Abdallah

„Ich mag diese Weste. Sie hat so viele Taschen. Sie ist so ganz anders als das, was ich im Sudan gern getragen habe. Es ist schon komisch, mich so zu sehen. Ich sehe in ihr etwas mehr französisch aus, oder?“ Abdallah, 24, aus dem Sudan

mamadou.jpg

Mamadou

„Die Kleidung, die ich hier habe, ist elegant und warm, sie schützt mich vor der Kälte. Die macht uns müde. In Afrika tragen Stars und Schauspieler diese Art von Kleidung. Wir ziehen uns gerne an wie die Rapper Instinct Killer oder Banlieuz’Art. Auf jeden Fall weiß ich, dass meine Freunde diese Jacke lieben werden. Ich sag das, auch wenn ich hier gar keine Freunde habe. Wir sind alles Migranten.“ Mamadou, 25, aus Guinea

cherif.jpg

Cherif

„Ich habe mir diese Sachen ausgesucht, weil es draußen kalt ist. Und ich mag die Farbe Blau. Ich brauchte neue Kleidung, weil ich keine mehr hatte. Im Senegal habe ich mich anders angezogen. Da habe ich traditionelle Kleidung getragen, lange Tuniken aus bunten Stoffen, aber auch manchmal T-Shirts. Ich trage meine Outfits nicht, um Mädchen zu beeindrucken, sondern für mich selbst. Wenn meine Familie die Fotos sehen würde, würden sie sagen: Oh, du bist aber groß geworden. Ich habe mein Land schon zu lange hinter mir gelassen. Fünf Jahre sind es jetzt.“ Cherif, 24, aus dem Senegal

bachir.jpg

Bachir

„Ich mag diesen Look. Ich zieh mich gern an wie ein Amerikaner. In Somalia tragen wir nicht so enge Kleidung, sondern eher weit geschnittene Sachen. Meine Familie würde mich nicht gerne so sehen. Die fänden das zu eng am Körper anliegend. In Frankreich kann ich aber anziehen, was ich mag.“ Bachir, 20, aus Somalia

abdallah.jpg

Abdallah

„Ich mag dieses T-Shirt, weil ich Paris mag. Ich liebe Paris! Ich habe es immer geliebt und mir sogar schon im Jemen T-Shirts mit dem Eiffelturm drauf gekauft. Bevor ich überhaupt wusste, dass ich eines Tages mein Glück hier suchen würde. Meine Freunde kennen Paris auch. Sie waren zwar nie da, aber sie haben viel über die Stadt gehört. Und natürlich über den Eiffelturm. Es macht mir Spaß, mich schön anzuziehen. Damit gibt man ein gutes Bild ab. Wenn mich meine Freunde sehen könnten, würden sie bestimmt sagen, dass ich glücklich aussehe. Dabei bin ich beides gleichzeitig: glücklich und unglücklich.“ Abdallah, 30, aus dem Jemen

ibrahim.jpg

Ibrahim

„Ich habe mir diesen schwarzen Mantel ausgesucht, weil Schwarz mit allem geht. Und es symbolisiert auch meine Wurzeln. Ich bin Afrikaner. Ich habe schwarze Haut, und ich mag alles, was schwarz ist. Bei all den Gerüchten um die Immigration ist es wichtig, dass wir alle, Schwarze und Weiße, in Frankreich eine Familie sind. Als Flüchtling ist es wichtig, sich gut anzuziehen – wie ja schon das alte Sprichwort sagt: ‚Es ist besser, die Leute dazu zu bringen, dich zu mögen, als dich zu bedauern.‘“ Ibrahin, 23, von der Elfenbeinküste

ibrahim.jpg

Ibrahim

„Ich habe mir diesen schwarzen Pulli ausgesucht. Er soll an meine schwierige Reise erinnern. Ich habe in der Dunkelheit schlimme Sachen erlebt. Schwarz zu tragen ist für mich ein Zeichen des Sieges. Über die Dunkelheit und die Hitze. Wir haben die Wüste in Mali in Containern auf Lastern durchquert, immer in Angst vor bewaffneten Angriffen. Dieser dunkle Pulli ist etwas Positives.“ Ibrahin, 26, aus Guinea

najib.jpg

Najib

„Ich habe mir dieses blaue T-Shirt ausgesucht, weil da ‚Only the Brave‘ draufsteht. Na ja, ‚Brave‘ heißt ja stark, so wie Superman. Das steht da für mich drauf: ‚Nur für mich‘.“ Najib, 20, aus Afghanistan

mohammed.jpg

Mohammed

„Diese Jacke habe ich mir ausgesucht, weil es draußen kalt ist. Sie hat eine Kapuze zum Schutz. Und sie ist auch schön. Sie passt zu meiner Robe, wie Sie sehen. Meine Robe kommt aus meinem Land. Ich war zwei Jahre in Belgien, und meine Mutter gab sie einem Freund, den ich dort besuchte. Ich habe auch eine Jeans und eine andere Jacke, aber die sind gerade schmutzig. Ich habe nur zwei Outfits. Meine blaue Robe und meine europäische Jeans.“ Mohammed, 18, aus Afghanistan

ahmed.jpg

Ahmed

„Ich trage eine Pelzmütze, die ich in Russland bekommen habe. Ich liebe diesen Pulli und den Hip-Hop-Style. Wenn mich jemand fragt, was er gekostet hat, sage ich: War ein Geschenk. Ich liebe Paris. Die Leute sind nett – verglichen mit Stockholm, Berlin oder Warschau. Wenn ich Geld hätte, würde ich mir eine schwarze Jacke und Nike-Turnschuhe kaufen. Ich sehe gut in Schwarz aus, weil meine Haut einen Karamellton hat.“ Ahmed, 21, aus Syrien

safi.jpg

Safi

„Ich weiß nicht, wer der Mann auf dem T-Shirt ist, das ich mir ausgesucht habe, aber ich mag seinen Look. Er ist cool. Mit seinem Tattoo und seinen blonden Strähnen. Das ist toll. Ich hätte meine Haare auch gerne so. Ich selber habe keine Tattoos, nein. Aber ich trage immer diesen afghanischen Schal, weil das mein Land ist. Schau mal, so tragen wir ihn in meinem Land.“ Safi, 20, aus Afghanistan


 

aboubacar.jpg

Aboubacar

„Ich habe keine Kleidung mehr, weil die Polizei heute Morgen Gas in mein Zelt gesprüht und es dann zerstört hat. Ich bin geflohen. Als ich zurückkam, war nichts mehr da. Hier habe ich mir eine beige-khaki Hose ausgesucht, das ist meine Lieblingsfarbe. Eine einmalige Farbe. Style bedeutet, die Leute anzuziehen und ein gutes Bild von sich abzugeben. Die traditionelle Mode in Guinea ist sehr bunt und mit vielen Mustern. Hemden sind nicht Teil unserer Kultur. Es gibt Tuniken und Pumphosen. Aber das ist eher was für ältere Leute. Ich kann das nicht leugnen: Ich bin nicht so traditionell, wenn es um Kleidung geht. Manchmal muss ich das sein, etwa wenn ein Fest gefeiert wird. Dann muss man solche Kleidung halt tragen. Aber hier wollen wir sein wie alle anderen. Ich will niemanden vor den Kopf stoßen. Ich bin hierhergekommen, um mich einzufügen, ich will keinen Ärger.“ Aboubacar, 21, aus Guinea

Konzept: Valérie Larrondo / Projektleitung: Sabrina Ponti / Interviews: Marion Perin, Vanessa François, Sabrina Ponti und Valérie Larrondo, Protokolle aus dem Englischen übersetzt.

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.