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In einer anderen Liga

Die NBA-Playoffs stehen kurz vor dem Ende. Schon jetzt kann man sagen, dass die Spieler in dieser Saison mit ihren politischen Aktionen den US-Sport verändert haben

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„Black Lives Matter“, „Racial Justice“, „Say Their Names“: Ihre Trikots mit den politischen Slogans lagen schon bereit. Aber die Basketballer der Milwaukee Bucks dachten nicht an das kommende Spiel in den NBA-Play-offs – die wichtige Finalphase im Kampf um die Meisterschaft in einer der mächtigsten Sportligen der Welt, der „National Basketball Association“. Die Spieler saßen in ihrer Kabine und dachten an Jacob Blake. Daran, wie in Kenosha, keine Autostunde von Milwaukee im US-Bundesstaat Wisconsin entfernt, Polizisten dem Schwarzen Jacob Blake in den Rücken geschossen hatten, sieben Mal, obwohl er unbewaffnet war.

Drei Stunden blieben die Milwaukee Bucks in der Kabine. Sie redeten über Blake, über George Floyd, Eric Garner, Breonna Taylor, über all die schwarzen US-Amerikaner*innen, die Opfer rassistischer Polizeigewalt wurden. Dann verlasen sie ihr öffentliches Statement: „Trotz des überwältigenden Appells für Veränderung hat niemand etwas getan. So können wir uns nicht auf Basketball konzentrieren.“ Das Team boykottierte damit eines der wichtigsten Spiele der Saison.

Das maximale Statement für einen Betrieb, der keine Pausen kennt

Die Orlando Magic, Gegner der Bucks, schlossen sich dem Protest an. Genauso die anderen NBA-Teams, die an diesem Tag Ende August gespielt hätten. Es folgten boykottierte Spiele in der Profiliga der Basketballerinnen und der Baseball- und Fußballliga der Männer. In New York wurde ein großes Tennisturnier verlegt. Der Profisport in den USA setzte aus. Das maximale Statement für einen Betrieb, der keine Pausen kennt.

 

Der Boykott der Bucks war eine spontane Entscheidung. Dass es unter allen US-Sportlern Basketballer waren, die ihn initiierten, hat aber niemanden überrascht: Kein anderer Sport stellt sich so geschlossen an die Seite der Black-Lives-Matter-Bewegung. Die Zeiten, in denen ein Megastar und Nike-Werbeträger wie Michael Jordan sich politisch nicht klar positionieren wollte, weil „auch Republikaner Sneaker kaufen“, sind lange vorbei. In Orlando, wo weitgehend abgeschottet von der Außenwelt auf dem Disney-World-Gelände die Meisterschaft unter Corona-Hygienemaßnahmen ausgespielt wird, stehen antirassistische Botschaften auf dem Hallenboden und den Trikots.

Läuft vor den Spielen die US-Hymne, knien die Spieler: eine Hommage an Colin Kaepernick, den Footballer, der 2016 während der Hymne in die Knie ging, von Donald Trump „Hurensohn“ genannt wurde und keinen neuen Vertrag bekam. Die Teams schienen in diesem Jahr bereit, nicht nur Lippenbekenntnisse abzugeben, sondern notfalls die ganze Saison abzusagen. Damit hätten sie für ihre Sache wahrlich etwas riskiert: Fans, die die Black-Lives-Matter-Bewegung nicht unterstützen, Werbegelder, gewaltige TV-Einnahmen und die Meisterschaft.

Dass eine Liga geschlossen politisch agiert, ist ein Novum in den USA

Letztlich wurden die Play-offs fortgesetzt. Viele Basketballer hatten in der Play-off-Bubble von Orlando weiter protestieren, andere sich lieber in ihren Heimatstädten gegen Rassismus einsetzen wollen. Nach einer langen Diskussion blieben sie und spielten weiter. Bis spätestens Mitte Oktober der Meister feststeht, behalten sich die Spieler aber neuerliche Boykotte vor – und haben mit der Liga ausgehandelt, dass sie 300 Millionen Dollar an Antirassismus-Initiativen spendet. Ein paar Teams sagten zu, ihre Arenen im November zu Wahlkabinen zu machen, weil man dort leichter auf Abstand gehen kann als etwa in Schulen oder Gemeindezentren.

Die Basketballligen der Frauen und Männer unterstützen den Protest ihrer Spieler*innen mittlerweile offen. Dass eine Liga geschlossen politisch agiert, ist ein Novum in dem Land, in dem bislang vor allem Einzelsportler politisch von sich reden machten: Kaepernick, den die Chefs und Stars der konservativen Footballliga offen anfeindeten, die Sprinter John Carlos und Tommie Smith, die auf dem Olympiapodest 1968 die schwarz behandschuhte Faust reckten, oder der damalige Boxweltmeister Muhammad Ali, der den Kriegsdienst in Vietnam verweigerte.

Jetzt kann die NBA vielleicht gar nicht anders, als ihre Protagonisten zu unterstützen. Die Spieler kämpfen gemeinsam. Die große Mehrheit von ihnen ist Schwarz, viele zählen zu den besten Basketballprofis der Welt. Sie solidarisieren sich wohl auch, weil sie zum Teil selbst Rassismus erfahren. Einer der Bucks-Spieler, die den Boykott begründeten, ist Sterling Brown. Er wurde 2018 von Polizisten mit einem Taser niedergestreckt, nachdem er sein Auto falsch geparkt hatte. Mit LeBron James ist der beste Spieler der Liga seit Jahren Wortführer der Black-Lives Matter-Bewegung. James hat gut 72 Millionen Instagram-Follower, fast dreimal so viele wie alle drei Teams, für die er bislang spielte, zusammen. Er nutzt diese Reichweite nicht nur für Werbung und lustige Videos aus der Kabine.

Selbst die sehr weiße Eishockeyliga setzte ihre Play-offs aus

Die Vehemenz der Basketballer*innen hat viele angesteckt, sogar in Ligen, die nicht im Verdacht standen, das Wort für Minderheiten zu ergreifen: die Footballer der NFL, die Baseballspieler der MLB, selbst die sehr weiße Eishockeyliga NHL setzte ihre Play-offs zwischenzeitlich aus. Zu einigen Tennisspielen der US Open stand in jeder Ecke der Arena groß und breit der Schriftzug „Black Lives Matter“. Die Siegerin Naomi Osaka trug vor jedem ihrer sieben Spiele eine Maske mit einem Namen getöteter schwarzer US-Amerikaner*innen.

Der Protest gehört nun zum US-Sport. Wenn die Sportler*innen das Gefühl haben, ihr Sport lenke von den großen gesellschaftlichen Problemen ab oder entwickle aus der Disney-World-Bubble von Orlando nicht genug Strahlkraft, sind weitere Boykotts jederzeit möglich. The games must not go on.

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.