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Kommt nicht in die Speichen

Viele Menschen mit Behinderung können keine Kleidung von der Stange kaufen. Bei diesen Modelabels schon

  • 4 Min.
Barrierefreie Mode

Wer „Mode für Hunde” googelt, erhält 68 Millionen Treffer; wer nach „Mode Menschen Behinderung?” sucht, 15 Millionen. Für Hunde hat H&M Pullover mit Pompons und reflektierende Steppjacken im Sortiment, für Menschen mit körperlichen Einschränkungen: nichts. Zumindest nichts, das auch so beworben würde.

Modefirmen orientieren sich für ihre Kollektionen am „Norm-Menschen“ (und seinem „Norm-Haustier“). Viele Menschen mit körperlichen Behinderungen müssen sich daher oft mit Kleidung abfinden, die nicht richtig sitzt, oder viel Geld für Maßanfertigungen ausgeben. Aber es tut sich etwas im Bereich modischer Barrierefreiheit.

Vergangenes Jahr gab es in Hamburg eine „Diversity Fashion Show“, auf der die Veranstalterin verkündete: „Ich möchte nicht mehr von Mut sprechen, wenn wir Menschen jenseits der Konfektionsgröße 38 auf dem Laufsteg sehen. Ich möchte vom Leben sprechen, von Normalität, von Realität. Ich möchte Menschen aller Hautfarben und sexueller Orientierungen auf den Laufstegen sehen, Menschen jeden Alters, Menschen mit Handicap oder ohne.“

Auf der Fashion Show präsentierten sich dann allerdings fast ausschließlich Plus-Size-Modelabels. Dabei ist körperliche Diversität viel umfassender. Welche Ansprüche haben Menschen mit Rollstuhl, Kleinwüchsigkeit oder Sehschwäche an ihre Kleidung? Und wer bietet Lösungen jenseits der funktionalen Rehamode in Seniorenoptik?

Mode für kleinwüchsige Menschen

Kleinwüchsige Menschen haben mit ihrer Körpergröße und -form die Wahl: teure Maßschneiderei oder Konfektionskleidung aus der Kinderabteilung. Das Problem: Kinderkleidung passt in der Breite meistens nicht. Ihr Kauf ist daher mit aufwendigen Änderungen verbunden. „Kann doch nicht sein!“, dachte sich die Designerin Sema Gedik (deren Cousine kleinwüchsig ist) und entwickelte in umfangreichen Messungen, Berechnungen und Entwürfen Konfektionsgrößen für kleinwüchsige Menschen. Ihr Berliner Label heißt Auf Augenhöhe und bietet Kleidung „ready to wear“ in vielen Größenvarianten – schließlich ist auch kleinwüchsig nicht gleich kleinwüchsig.

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Barrierefreie Mode, Strumpfhosen für Kleinwüchsige, Auf Augenhöhe (Foto: Malte Vogt)
Da zwickelt nichts mehr: Die Strumpfhosen von Auf Augenhöhe passen bis zu einem Hüftumfang von 130cm (Foto: Malte Vogt)

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Barrierefreie Mode, Mode für Kleinwüchsige, Auf Augenhöhe (Foto: Anna Spindelndreier)
Diese Blusen für Kleinwüchsige haben extraschmale Manschetten und verkürzte Ärmel (Foto: Anna Spindelndreier)

Mode für Rollstuhlnutzer*innen

Menschen im Rollstuhl haben häufig das Problem, dass gängig geschnittene Hosen und Oberteile im Sitzen rutschen. Um dies zu verhindern, sollte die Kleidung am Rücken höher bzw. länger sein. Das hat nicht nur einen praktischen Nutzen, sondern auch einen ästhetischen: Sind Shirts vorne lang, sehen sie schnell aus wie Nachthemden. Auch konventionelle Jacketts und Blusen können unpraktisch sein, da sie kaum Armfreiheit zum Bewegen des Rollstuhls lassen. Ein weiter Schnitt im Schulterbereich schenkt mehr Bewegungsfreiheit.

Die Ärmel hingegen sollten kürzer oder enger geschnitten sein, da sie sonst ständig in Kontakt mit den Rollstuhlrädern geraten und schnell abnutzen. Ein weiteres Problem sind seitliche Hosentaschen, im Sitzen rutschen Smartphone oder Portemonnaie leicht heraus. In mittig angebrachte Taschen auf den Oberschenkeln kann man hingegen leichter Hineinfassen – und schwerer Dinge verlieren, weil sie nicht herausfallen.

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Barrierefreie Mode, MOB (Foto: MOB Industries)

Hier rutscht auch im Sitzen nichts: Hose mit Oberschenkeltaschen

(Foto: MOB Industries)

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Barrierefreie Mode, MOB (Foto: MOB Industries)

Jacken mit Magnetverschluss lassen sich auch einhändig schnell öffnen

(Foto: MOB Industries)

Ein Wiener Label denkt auch ans An- und Auskleiden: Mode ohne Barrieren (MOB) verwendet Magnetverschlüsse, damit Menschen dabei weniger oder überhaupt keine Hilfe brauchen. Noch sportlicher ausgerichtet ist Kinetic Balance, das seine Kleidung selbstbewusst mit „People stare, make it worth it“ bewirbt. Lisa Schmidt, die mit ihrem Rollstuhl in Halfpipes und Bowls skatet und in dieser Disziplin international Erfolg hat, ist Markenbotschafterin für das Label aus Den Haag. Elegantere Kleidung wie Abendkleider bietet die Engländerin Samanta Bullock mit ihrem gleichnamigen Label an, die als Rollstuhlfahrerin die typischen Bekleidungsprobleme und als Model den Fashion-Markt gut kennt. Sie weiß, dass Abendkleider einen ganz anderen Schnitt brauchen, um nicht in die Speichen zu geraten.

Mode für Prothesenträger*innen

Auch Prothesenträger*innen profitieren von Klett- und Reißverschlüssen oder Magnetknöpfen: Konventionelle Knöpfe bedeuten bei eingeschränkter Motorik einen erhöhten körperlichen Einsatz und mentalen Stress. Die einhändige Bedienbarkeit fördert dagegen die Selbstständigkeit. Für Fußprothesen sind weite Hosenbeinöffnungen wichtig. All dies berücksichtigt sogar ein großes Label: Tommy Hilfiger. Die Linie Adaptive Fashion ist nicht teurer als andere Kollektionen und wird genauso professionell beworben – natürlich von Models mit körperlicher Behinderung.

Tommy Hilfiger Adaptive | Spring 2019 | TOMMY HILFIGER

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Mode für blinde Menschen

Menschen, die blind oder stark sehbehindert sind, stehen schon mal vor dem Problem, dass sie die Größe und Pflegehinweise von Kleidungsstücken nicht lesen können. Dafür hat Anna Sophia Flemmer aus Hannover eine Lösung: Ihre Kollektion SAME:SAME macht die Hinweise in Brailleschrift lesbar oder stanzt sie in Korketiketten. Für ihre Stoffe sind der Designerin nicht nur Farbe, sondern Haptik, Struktur und Klang wichtig. Vorne und hinten sind bei den Pullovern übrigens keine Kategorie: Sie sind beliebig wendbar.

Titelbild: MOB Industries

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.