Dies ist eine Tragödie. Eine griechische sogar. Sie ruht auf den drei Säulen, auf denen jede griechische Tragödie ruhen muss: der Liebe, dem Schmerz und dem Tod. Es ist die Geschichte einer unendlichen Liebe. Und die ihres Endes. Dies ist die Geschichte von Angeliki und Luigi.

Der allwissende Chor tritt auf in Gestalt einer 30-jährigen Fernsehreporterin, Nansi Pavlopoulou. Für den Privatsender Skai rast sie mit ihrem Wagen im Fahrstil einer Götterbotin durch Patras, eine Hafenstadt auf der Peloponnes, etwa zweihundert Kilometer westlich von Athen. Durch jene Straßen, in denen der junge Luigi die Liebe fand. Eine Ewigkeit ist das her, doch verloren hat er seine Liebe erst jetzt.

Die Liebe beginnt in den Jahren des Zweiten Weltkriegs. Mussolinis Heere wurden von den Griechen erst zu-rückgeschlagen, doch im Schatten der übermächtigen deutschen Truppen marschieren im Juni 1941 schließlich auch die Italiener als Besatzer ein. Unter ihnen Luigi Suracco aus Reggio di Calabria, ein einfacher Soldat, 23 Jahre alt, ein großer, schöner Mann mit Clark-Gable-Schnurrbart. Stationiert wird er in Patras.

Es wäre leicht zu erzählen, wie der Soldat Luigi hier das Waisenkind Angeliki trifft, schnell gesagt, dass er sich beim ersten Blick in ihre Augen, in Kiki verliebte. Für immer verliebte. Doch der allwissende Chor stockt. Die redegewohnte Reporterin erzählt leise. Sie nimmt Anteil. Schließlich ist sie durch ihr Handeln selbst Teil der Tragödie geworden. 

Die schöne Kiki sieht hungrig aus, wie sie da durch die Straßen läuft. Ihre Kleider sind kaum mehr als Lumpen, der Stoff ist schon zu abgewetzt, als dass er sich noch flicken ließe. Seit dem frühen Tod ihrer Eltern lebt die 23-Jährige bei ihrer Tante. Kiki war schon arm, bevor der Krieg begann und faschistische Armeen Griechenland besetzten. Die Zeiten sind schlecht. 

Luigi hält ihr den Laib Brot hin, den er gerade gekauft hat. Aus einem Impuls heraus, einfach so, sie hat ihn nicht darum gebeten, ihn nicht einmal angesehen. "Sie sah einfach aus, als würde sie ihn nötiger brauchen als ich", sagt er später, Jahrzehnte später. Sie blickt ihn an mit ihren dunklen Augen, erst überrascht, dann dankbar. Als sie sich abwendet und in den Gassen der Stadt verschwindet, verliert Luigi sein Herz an die unbekannte Schöne. In diesem Augenblick beginnt die unmögliche Liebesgeschichte zwischen dem Besatzer aus Italien und dem Waisenmädchen aus Griechenland.

Von nun an lungert Luigi im Viertel herum. Tagtäglich sucht er nach der jungen Frau, die ihm nicht mehr aus dem Kopf gehen will. Nach einigen Tagen entdeckt er sie, folgt ihr und steht nun Tag für Tag vor dem Haus der Tante. Und wirklich: Angeliki verliebt sich in den italienischen Soldaten. Plötzlich steht sie ihm gegenüber, blickt ihm in die Augen und fällt ihm in die Arme. Es ist der Sommer 1941. Für ihre Liebe bleiben ihnen jetzt noch vier Monate, dann noch einmal zehn Tage - und ein Wettlauf gegen die Endlichkeit.

Die Verliebten gehen spazieren. Luigi mietet ein Zimmer in ihrer Straße, damit sie sich nah sein können. Sie reden nicht viel, denn Luigi spricht kein Griechisch und auch Kikis Italienisch beschränkt sich auf das Lied, das sie gemeinsam singen: Parla mi d'amore - Erzähl mir von der Liebe, so als wären nicht sie es, die der Welt von ihrer Leidenschaft berichten könnten. "Wenn wir keine Worte wussten, haben wir mit den Augen gesprochen", sagt Luigi und der mitfühlende Chor weint. Manchmal küssen die beiden sich vorsichtig. Nach jenen vier Monaten wird Luigi abkommandiert, Italien will den Russlandfeldzug der Deutschen unterstützen. Die Liebenden versprechen sich, einander zu heiraten, sofort nach Kriegsende. Luigi geht.

"Dies ist mein letzter Brief", steht in dem Schreiben, das der allwissende Chor in Händen hält. Es ist nicht der letzte, die junge Reporterin weiß das. Denn dieser letzte Brief, adressiert an das Rathaus der Stadt Patras, abgeschickt im Dezember 1997, macht erst den Anfang. "Damen und Herren", steht darin, "ich bitte zum wiederholten Male um Ihre Hilfe. Ich bin auf der Suche nach meiner Verlobten." Auf 15 Zeilen erzählt Luigi Suracco aus Reggio di Calabria, wie er im Sommer vor 56 Jahren in den Straßen von Patras einen Laib Brot herschenkte und sein Herz dazu, wie er nach Russland gehen musste, verwundet wurde, beinahe jeden Tag aus dem Sanatorium an Kiki schrieb, ohne dass je ein Brief beantwortet wurde. Er erzählt, dass er sieben Jahre schrieb. Und dann aufgab.

Im Dezember 1997 bittet er die Beamten ein letztes Mal. "Sie haben mir mehrfach die Adresse geschickt, unter der Angeliki Stratigou gemeldet ist. Diese Adresse stimmt nicht mehr. Ich bin verzweifelt", schreibt Luigi, der pensionierte Capitano der Stadtpolizei von Reggio di Calabria, zu der Zeit achtzig Jahre alt. "Bitte helfen Sie mir, Frau Stratigou zu finden. Sollte sie ledig sein, möchte ich kommen und mein Versprechen wahr machen. Ich möchte sie heiraten."

Ungefähr zehn dieser Briefe hatte er in den letzten Jahren geschrieben. Jedes Mal hatten die Beamten Kikis alte Adresse herausgesucht und sie nach Italien geschickt. Jetzt aber geriet der Brief an eine junge Journalistin, die halbtags im Pressebüro der Stadt arbeitet. Luigis Schreiben gelangte in die Hände von Nansi Pavlopoulou. 

Fünf Tage lang klappert die Reporterin Kikis alte Nachbarschaft ab, klopft an jede Tür, fragt, erklärt. Dann endlich findet sie einen alten Mann, der sich erinnert. "Ja, hier hat eine Angeliki gewohnt, vor langer Zeit. Sie ist ausgezogen. Ich habe sie einmal auf einem Platz am anderen Ende der Stadt gesehen." Nansi zieht weiter und fragt sich durch die Kafenions und Ouzerien der Stadt. Weitere vier Tage, dann wird sie fündig, bekommt eine Adresse, eine Beschreibung. Bewaffnet mit Luigis Brief und einem Blumenstrauß, einen Kameramann im Schlepptau, steht sie vor einem kleinen braunen Haus in einer Nebenstraße und klopft zitternd an die Tür.

"Wer ist da?" Die alte Frau klingt grimmig. Sie ist keinen Besuch gewöhnt. "Sie kennen mich nicht, Frau Stratigou", antwortet Nansi, "ich komme, um Sie zu fragen, ob Ihnen der Name Luigi etwas sagt." Die Tür fliegt auf. Eine kleine Frau steht da, achtzig Jahre alt, in einem Kittel. Sie hat nicht mehr viele Zähne. "Luigi?", fragt sie misstrauisch. "Das ist ein italienischer Name.- Nansi hält ihr den Brief hin. "Ein Luigi Suracco hat...- Die Alte hebt die Hände gen Himmel. Ein Strahlen geht über ihr Gesicht. Plötzlich sind da nur noch Augen, große, leuchtende Augen. "Luigi!", sie kreischt es, "Luigi! Ich habe fünfzig Jahre auf ihn gewartet! Mein Luigi!"

Es ist der 18. Januar 1998. Nach beinahe 57 Jahren telefonieren Kiki und Luigi miteinander. "Liebling!", schreit er in gebrochenem Griechisch immer wieder, "mein Liebling!" - "Wann kommst du, Luigi? Ich warte schon so lange", antwortet sie, "wann kommst du endlich zu mir?" Er erzählt ihr, dass er verheiratet war, fünfzig Jahre lang, mit einer Frau, die ihn an sie erinnert hat. Sie ist vor einigen Jahren gestorben. Er hat einen Sohn, Enzo, dem er vor fünfzig Jahren zum ersten Mal gesagt hat, dass er Enzos Mutter sehr mag, sein Herz aber einer Frau in Griechenland gehört.

Kiki erzählt, dass sie allein geblieben ist, keinen anderen Mann haben konnte, da sie doch gewartet hat auf ihren Luigi. Als er sie fragt, warum sie seine Briefe nie beantwortet hat, erzählt sie, dass sie nie einen bekommen hat. Kikis Tante hat sie wohl alle weggeworfen. Vielleicht weil Kontakte zu Besatzern verboten waren. Vielleicht weil sie einfach nicht wollte, dass ihre Kiki sich mit einem Faschistensoldaten einlässt. 

Eine Nachbarin muss das Gespräch für die Verliebten dolmetschen. Luigi hat nach dem Krieg versucht, Griechisch zu lernen. Doch er hatte das falsche Buch, lernte Altgriechisch und ist für Kiki nun nicht zu verstehen. Schließlich, am Ende des Gespräches, singen sie gemeinsam. Parla mi d'amore, mit dünnen, alten Stimmen, aber mit der Kraft einer unsterblichen Liebe. Es bleiben ihnen zehn Tage, doch das weiß nicht einmal der Chor. 

Luigi Suracco schickt Blumen. Unmengen an Blumen. Briefe, Karten, jeden Tag. Die Blumen kommen immer donnerstags. Die beiden telefonieren. Luigi bereitet seine Reise vor, aber Reisen ist nicht einfach, wenn man achtzig Jahre alt ist, einen kaputten Magen hat und kaum laufen kann. Einige Wochen wird es dauern. Luigi beschließt, dass es nur einen Tag geben kann, um zu kommen: den Tag des heiligen Valentin, jenes Priesters im Alten Rom, der hingerichtet wurde, weil er Liebende ungeachtet ihrer Konfession traute. Luigi wählt den 14. Februar 1998 zum Tag des Wiedersehens. 

Ganz Griechenland versammelt sich am Abend, um auf Skai TV dem Chor zu lauschen, der von der "megalos erotas" erzählt, der großen Liebe. Nansi Pavlopoulou erzählt dem Publikum zur Hauptsendezeit die größte Liebesgeschichte, die das Land je gehört hat. 

Kiki war ihr Leben lang arm. Sie hat Tischdecken mit Folkloremotiven bestickt, in einem Haus ohne Telefon gewohnt und hatte kein Bankkonto. Sie war verschwunden, bis der allwissende Chor sie wiederfand. Jetzt ist sie zurück im Leben. Sie geht zum Friseur, kauft sich Kleider und Make-up. Mit ihr bereitet sich das ganze Land auf die Ankunft des großen Liebhabers vor. Ein Athener Hotel macht eine Suite für das Paar frei, ein Autosammler stiftet eine Limousine aus der Zeit ihres ersten Treffens. Am Valentinstag stehen vierhundert Leute am Flughafen von Athen und warten auf das Happyend. Die Hauptnachrichten von Skai TV werden am späten Abend die höchsten Einschaltquoten ihrer Geschichte haben. 

Luigi ist immer noch groß. Natürlich. Und er hat seinen Schnurrbart noch. Er hebt kurz den rechten Arm und winkt in die wartende Menge, ohne hinzusehen, denn sein Blick liegt auf Kiki. Er muss sich weit hinunterbeugen, um sie zu küssen, ganz langsam, denn die beiden sind alt. Trotzdem sieht jeder hier, dass kein Tag vergangen sein kann, seit sie sich zuletzt in den Armen hielten. 

"Cara Kiki", nennt er sie, "liebe Kiki", wie damals, und alles ist wie damals, nichts hat sich geändert, von den Körpern abgesehen, die doch keine Rolle spielen können bei dieser Liebe. Am nächsten Tag versprechen sie sich in der Kirche auf dem Lykabettos-Hügel noch einmal die Ehe, noch in diesem Jahr. Ein Pope segnet die beiden Alten. 

All die Orte von früher besuchen sie, gehen spazieren, langsam natürlich, denn die Beine machen nicht mehr so richtig mit. Immer wieder streichelt er ihr die Wange, den Kopf erhoben, ganz der stolze Italiener, der er immer war. "Mein Blumengarten", nennt er sie, "Stern von Patras! Meine schöne, cara Kiki!" Omnibusse halten, weil die Fahrgäste ihnen zujubeln wollen. Tausende Hände müssen sie schütteln. Sie sind berühmt geworden durch die Geschichte ihrer Liebe. Nach zehn Tagen fährt Luigi zurück. Er bereitet seinen Umzug vor. Er wird nach Griechenland kommen. Zu seiner Frau. 

Die Hochzeit wird für Weihnachten geplant, wenn die ganze Familie dabei sein kann. Luigi löst seinen Haushalt auf. Alles dauert so lange, wenn man alt ist. "Komm, Luigi, komm zu mir!", fleht sie am Telefon. "Gedulde dich noch ein bisschen", antwortet er, "ich werde bald bei dir sein." Er schreibt jeden zweiten Tag. Blumen am Donnerstag, in Weidenkörben, die bald ihre ganze Nachbarschaft zieren. Endlich Dezember. Doch kurz vor der Reise muss Luigi wegen des Magens ins Krankenhaus. 

Nansi Pavlopoulou, die Reporterin, der Chor der Tragödie, beginnt wieder zu weinen, wenn sie erzählt, wie die Zeit den beiden davonlief. Wenn sie erzählt, wie Kiki Stratigou ihr weißes Brautkleid auf dem Bett bereitlegt. Wie sie jedem von Luigi erzählt, ihrem Mann, auch den Schwestern im Krankenhaus, als sie am 6. Januar mit einem leichten Hirnschlag eingeliefert wird. Jeder muss sich die Geschichte des schönen Italieners anhören, der nach 57 Jahren zurückgekommen ist. Langsam geht es Luigi besser. "Ich werde entlassen", schreibt er ihr, "ich komme. Ein paar Tage noch, dann werde ich dich in die Arme schließen. Du wirst meine Frau sein." Der Brief erreicht Patras am 9. Januar. Kiki Stratigou liest ihn nicht. Sie ist am Morgen nicht mehr aufgewacht. 

"Mein Blumengarten", steht in dem Brief, den der Chor in Luigis Auftrag auf ihr Grab gelegt hat. "Meine geliebte Kiki. Mein Herz, meine Liebe, mein Leben haben aufgehört zu sein, an dem Tag, an dem du gegangen bist."

Er kam nicht zur Beerdigung. Er hat ihn nicht angeführt, den Zug der Tausende, die hinter ihrem Sarg liefen, um die Frau zu ehren, die mit der Macht ihres Herzens das ganze Land bewegt hat. Er wollte später an ihr Grab gehen, dann, wenn er es ertragen könnte. Die Ärzte entdeckten ein Herzproblem. Immer wieder musste er wochenweise ins Hospital. Plötzlich war sein altes Herz krank geworden. "Gebrochen", sagen die, die um ihn waren.

Luigi Suracco wurde nicht wieder gesund. Er starb wenige Monate nach Kiki, in den letzten Septembertagen. Seine Familie bestattete ihn dort, wo er gelebt hatte, in Italien. "Warum nur", hatte Angeliki immer wieder gefragt, "hat das Schicksal uns nicht früher wieder zusammengeführt?" - "Cara Kiki", hatte er geantwortet, "das Schicksal hat uns wieder zusammengeführt. Nur das ist wichtig."