Für die „Staatsanwaltschaft“ beim so genannten Monsanto-Tribunal in Den Haag ist es keine Frage: Das Unternehmen muss sich für Menschenrechtsverletzungen, Umweltschäden und sogar Kriegsverbrechen verantworten. Diese Vorwürfe kommen allerdings nicht von echten Staatsanwälten – das Ganze ist eine Inszenierung von politischen Aktivisten. Das „Urteil“ soll im April 2017 gesprochen werden und es wird natürlich nicht rechtskräftig sein. Aber die Meinung vieler Menschen steht ohnehin fest: Das Biotech- und Saatgutunternehmen Monsanto ist durch und durch schlecht. Doch stimmt das? Holt sich der deutsche Chemiekonzern Bayer mit dem Kauf von Monsanto tatsächlich „das Böse“ ins Haus? Unsere Autoren sind da mal wieder unterschiedlicher Meinung. 

PRO: Gemeingefährlicher Blödsinn

Das Unternehmen Monsanto verspricht die Rettung der Hungernden und des Klimas. Was das Saatgut-Schwergewicht macht, verhindert aber genau das, findet Susanne Schwarz

Vorwarnung: Diesen Text muss – nein, soll – nicht jeder lesen. Wer es zum Beispiel nicht weiter schlimm fand, dass manche Unternehmen ihren Mitarbeitern Löhne von nur gut drei Euro die Stunde gezahlt haben, bevor es den gesetzlichen Mindestlohn gab, der klappt den Notebook-Deckel lieber gleich runter. Dieser Text geht nämlich davon aus, dass Unternehmen soziale und ökologische Verantwortung haben.

Auch der berüchtigte US-amerikanische Gentechnik-Saatgut-Pflanzengift-Bösewicht Monsanto, den sich das deutsche Chemieunternehmen Bayer gerade – vorbehaltlich der Zustimmung der Monsanto-Aktionäre und der zuständigen Kartellbehörden – für 66 Milliarden US-Dollar ins Haus geholt hat, müsste sich seiner Verantwortung stellen – tut es aber nicht.

Unternehmen haben eine Verantwortung – Menschen und der Umwelt gegenüber

Halten wir fest: Monsanto hält sich natürlich brav an die Rechtslage, die von Land zu Land unterschiedlich ist. In Deutschland etwa verkauft das Unternehmen keine genmanipulierten Samen, denn deren Anbau ist hier bisher verboten.

Auf den ersten Blick erscheint Monsanto auch gar nicht so böse. Der Konzern wirbt damit, den Welthunger besiegen zu wollen, auch in Zeiten des menschengemachten Klimawandels. Es gehe darum, Pflanzen durch Gentechnik so zu manipulieren, dass sie unter extremen Wetterbedingungen überleben und mehr Erträge abwerfen.

Doch selbst wenn man alle denkbaren Risiken von grüner Gentechnik mal außen vor lässt und auf deren innovative Kraft hofft, so ist Monsanto meines Erachtens nur an Profit orientiert – und bremst durch seine Gier die eigentlich notwendige sozial-ökologische Revolution der Landwirtschaft aus.

Monsanto bremst die notwendige sozial-ökologische Revolution der Landwirtschaft

Indiz A: Mitnichten verkauft der Konzern nur Saatgut, das ganz einfach zu üppigen Pflanzen heranwächst, dem Wassermangel, der Hitze, den Stürmen zum Trotz. Einen beträchtlichen Teil des Geschäfts machen Samen aus, die vor allem gegen das hauseigene Pflanzengift resistent sind. Roundup heißt das Mittel. Hauptwirkstoff ist das umstrittene, möglicherweise krebserregende Glyphosat. Seit Monsantos Patente darauf ausgelaufen sind, verkaufen auch andere Hersteller das Totalherbizid. Kaum jemand hat daraus aber ein so ausgefeiltes Geschäftsmodell gemacht wie Monsanto.

Passend zu Roundup sollen die Bauern gleich das genmanipulierte Saatgut kaufen, das Monsanto praktischerweise als Roundup Ready anbietet. Wird das Gift versprüht, sterben durch die Chemiekeule alle bis auf die aus der genveränderten Saat gezogenen resistenten Pflanzen – etwa sogenannte Unkräuter, die dem gewünschten Soja oder Mais Nährstoffe entziehen könnten. Und fertig ist die Monokultur.

Hybrid-Saatgut + Glyphosat = Monokultur

Wäre ich Monsantos Pressesprecherin, würde ich jetzt wahrscheinlich argumentieren, dass die gesamte konventionelle Landwirtschaft sowieso auf Monokulturen hinausläuft. Ohne Roundup würde man halt pflügen und dadurch ebenfalls so gut wie alles Unkraut auf dem Acker platt- und der Artenvielfalt den Garaus machen. Obendrein entweicht aus stark gepflügtem Boden haufenweise CO2 und auch Lachgas, ein Treibhausgas, das etwa 300-mal so klimaschädlich wie Kohlendioxid ist.

Aber es ist ja nicht so, als hätten wir nur Übel zur Wahl, von denen das geringere eine Gifttinktur in Kombination mit Gengemüse ist. Die wahre Alternative ist für mich der Ökolandbau und alles, was ihn voranbringt. Wenn überhaupt Genmanipulation, dann doch bitte so, dass Pflanzen dabei herauskommen, die ohne Stickstoffdünger, Pflanzengift und Co. auskommen und bei denen negative Wirkungen auf das Ökosystem ausgeschlossen sind. Wohlgemerkt ist Letzteres Zukunftsmusik, von der noch keiner weiß, ob wir sie jemals wirklich hören werden. Bisher bringt Monsanto trotz Weltretter-Inszenierung auf jeden Fall nicht die grüne Erlösung.

Für Kleinbauern sind Knebel-Verträge die Spirale ins Unglück

Indiz B: Bei Monsanto ist der Kunde bestenfalls ein geknebelter König. Der Konzern verstrickt die Landwirte in komplexe Vertragswerke. Diese enthalten beispielsweise die Pflicht, Monsanto nach dem Kauf der Samen auch noch Lizenzgebühren auf die Ernte zu zahlen – aber als Saatgut fürs nächste Jahr dürfen die Bauern sie trotzdem nicht verwenden. Dieses Konstrukt drängt sie in eine enorme Abhängigkeit und ist zudem ein teures Missvergnügen. Jedes Jahr müssen die Landwirte zwangsläufig neues Saatgut kaufen. Für finanzstarke US-amerikanische Farmer mag das in Ordnung sein, für viele afrikanische oder asiatische Kleinbauern sieht so die Spirale ins Unglück aus.

Damit Bauern sich dem nicht heimlich widersetzen, beschäftigt Monsanto Privatdetektive und Anwälte. Die einen schnüffeln auf Höfen und Feldern herum und verlangen Einsicht in Geschäftsunterlagen. Die anderen schicken bei Auffälligkeiten die Klage hinterher. Die Maschinerie läuft sogar auf den Nachbarfeldern von Monsanto-Kunden. Es sind Fälle bekannt, in denen Monsanto gegen Bauern vorging, auf deren Ackerflächen sich Monsanto-Pflanzen wahrscheinlich durch Wind verbreitet hatten – vollkommen absurd.

Die Politik muss den gemeingefährlichen Blödsinn stoppen

Fazit: Klar ist es Aufgabe der Parlamente dieser Welt, solch gemeingefährlichem Blödsinn durch Gesetze Einhalt zu gebieten, einen gerechten Welthandel aufzubauen, die sozial-ökologische Revolution anzuleiern. Wie wäre es zum Beispiel, wenn Forschung an grüner Gentechnik ausschließlich in öffentlicher Hand abliefe – ohne Patente auf Lebewesen, ohne Spekulation? Was Monsanto macht, darf man zurzeit so machen. Es ist halt nur kacke.

Susanne Schwarz lebt in Berlin und arbeitet als freie Journalistin im KJB KlimaJournalistenBüro (u.a. klimaretter.info). Die Mitbewohnerin einer Pflanzenbiologin hat ihre radikale Gegnerschaft gegenüber grüner Gentechnik mittlerweile zugunsten einer ausgeprägten Skepsis aufgegeben. Was die Spatzen von den Dächern brüllen, ist vielleicht nicht immer richtig – im Falle von Monsanto trifft es die kollektive Erzählung vom ausbeuterischen Bösewicht ihrer Meinung nach aber ziemlich gut.

CONTRA: So funktioniert eben Wirtschaft

Aber wer das auszusprechen wagt, gerät schnell in Verdacht, ein von der Gen-Lobby geschmierter Opportunist zu sein. Oder ein Hardcore-Zyniker. Viel zu pauschal, meint Andreas Resch

Wer wissen möchte, wie desaströs es um das Image von Monsanto bestellt ist, dem sei eine kurze Netzrecherche ans Herz gelegt. So kursieren seit einiger Zeit die wildesten Gerüchte, Monsanto sei in irgendwelchen Geheimlabors gerade dabei, transgenes Cannabis zu züchten. Und auf der eigenen Website sieht sich das Unternehmen dazu genötigt, darauf hinzuweisen, dass es keinen Zusammenhang zwischen seinen Produkten und dem Zika-Virus gibt. Offenbar gibt es Menschen, die Monsanto alles zutrauen.

Ihre Logik ist simpel: Ein so dominanter Konzern, der Bauern in Drittweltländern die Konditionen beim Kauf von Saatgut quasi diktieren kann und der ihnen dann das passende (potenziell schädliche) Pflanzenschutzmittel gleich mitverkauft; ein Konzern, der sich sein durch „Genetic Engineering“ gewonnenes Saatgut patentieren lässt und der darüber hinaus in seiner Geschichte in dermaßen viele Skandale (Stichwort: Agent Orange) verwickelt gewesen ist, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen soll – der kann doch nur böse sein! Aber ganz so einfach ist es dann eben doch nicht.

Zunächst einmal: Wenn man sich, wie ich, weigert, Monsanto als „böse“ zu bezeichnen, heißt das im Gegenschluss nicht, dass Monsanto stattdessen „gut“ wäre. Unternehmen sind nämlich selten einfach nur gut oder böse – außer vielleicht, sie begehen systematische und gezielt vertuschte Verstöße gegen geltendes Gesetz, in die eine Vielzahl von Mitarbeitern auf unterschiedlichen Hierarchieebenen verwickelt sind. Hierfür jedoch, so lehrt uns die jüngere Geschichte, sind andere Unternehmen zuständig (Stichwort: Abgasskandal).

So einfach ist das alles nicht

Monsanto hingegen versucht lediglich, innerhalb geltenden Rechts ein Maximum an Profit zu erzielen. Dass diese Profitmaximierung partiell anhand von in der Öffentlichkeit scharf kritisierten Methoden geschieht – wie etwa jener, Landwirte dazu zu verpflichten, Saatgut Jahr für Jahr aufs Neue von Monsanto zu erwerben, anstatt es aus der eigenen Ernte zu gewinnen –, ist nur bei oberflächlicher Betrachtung unmoralisch. Schließlich gibt, wie Niklas Luhmann schreibt, „die Gewährleistung des Ausgeben-Könnens eine abstrakte, in ‚Warenform‘ allein gar nicht mögliche Zukunftssicherheit“. Mit anderen Worten: Natürlich wäre es den Bauern lieber, nicht immer wieder für ihr Saatgut bezahlen zu müssen. Gleichzeitig profitieren sie anscheinend dann aber in den meisten Fällen doch so sehr von der von Monsanto gewährleisteten Erntestabilität, dass sie sich auf diesen Deal einlassen.

Sicherlich gibt es auch Grenzfälle. Wenn beispielsweise, wie 2003 geschehen, Monsanto mit afrikanischen Staaten wie Burkina Faso Verträge über die Abnahme von gentechnisch modifiziertem Baumwoll-Saatgut abschließt, denen sich auch die Kleinbauern des Landes fügen müssen, ist das, gelinde gesagt, unglücklich. Andererseits stellt sich in diesem Zusammenhang schon auch die Frage, warum sich die Regierung von Burkina Faso überhaupt auf den Deal eingelassen hat. Und außerdem, auch wenn das jetzt vielleicht zynisch klingen mag: So funktioniert Wirtschaft.

Liegt nicht eher ein Versagen der Behörden vor?

Und dass Monsanto ein überaus erfolgreich operierendes Wirtschaftsunternehmen ist, äußert sich schon im Aktienkurs: Ein Anleger, der im Jahr 2003, also zum Amtsantritt des aktuellen Chefs Hugh Grant (kein Witz), 100 Euro in Monsanto investiert hätte, würde heute Aktien im Wert von mehr als 1.000 Euro halten. Eine Verzehnfachung also. Natürlich spiegelt in den Augen der Monsanto-Gegner gerade dieser ökonomische Erfolg ein zutiefst skrupelloses Verhalten am Markt wider.

Anderen Konzernen, denen es über die Jahre gelungen ist, ein deutlich besseres Image zu pflegen, verzeiht man ihren wirtschaftlichen Erfolg hingegen bereitwillig. Wer will auch schon auf sein iPhone verzichten, nur weil es Apple einigermaßen wurscht ist, ob Zulieferer wie Foxconn oder Pegatron ihre Mitarbeiter ausbeuten? Wer möchte den praktischen Nutzen kostenfreier Internetdienste wie Google oder Facebook missen, bloß weil man weiß, dass die dahinterstehenden Konzerne dabei sind, eine gläserne Gesellschaft zu errichten?

Wer Monsanto verteufelt, der möge doch bitte, um nicht vollends in Bigotterie zu verfallen, auch davon absehen, an Tankstellen von BP oder Esso zu tanken, der sollte kein Fahrzeug aus dem Volkswagen-Konzern („Dieselgate“) fahren und aufgrund der schlimmen Arbeitsbedingungen weder bei Amazon bestellen noch in Bangladesch hergestellte Kleidung von H&M tragen.

Monsanto hält sich an geltendes Recht

Monsanto-Gegner führen gerne ins Feld, die gentechnische Veränderung von Saatgut sei unethisch, gefährlich oder zumindest in ihren Folgen unkalkulierbar. Doch unabhängig davon, ob dem nun so ist oder nicht: Kann man hierfür tatsächlich Monsanto einen Vorwurf machen? Schließlich obliegt es Staaten (beziehungsweise Staatengemeinschaften wie der EU), bestimmte Technologien zu erlauben oder eben nicht.

Zugleich verfügen Staaten über Zulassungsbehörden – in Deutschland etwa das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL), das mit den Bewertungsbehörden Bundesinstitut für Risikobewertung, Julius Kühn-Institut und Umweltbundesamt zusammenarbeitet , die nach (hoffentlich) sorgfältiger Prüfung darüber entscheiden, ob ein Pflanzenschutzmittel zugelassen werden darf oder nicht. Und wenn die EU-Lebensmittelsicherheits-Behörde EFSA die Zulassung von glyphosathaltigen Unkrautvernichtern trotz unter anderem von einer Teilbehörde der WHO in den Raum gestellten Krebsverdachts verlängert und Monsanto mit seinem Unkrautvernichtungsmittel Roundup davon profitiert: Äußert sich hierin nicht vielmehr ein Versagen der durch Lobbyismus zersetzten Behörden als ein tatsächliches Fehlverhalten Monsantos?

Last, but not least lässt sich zwar trefflich über Gentechnologie streiten, doch führt sie im Fall von Monsanto beispielsweise auch dazu, dass genmodifiziertes Saatgut des Unternehmens mit deutlich weniger Wasser gedeihen kann als gentechnisch unverändertes. Und Wasser gilt nun einmal als die Ressource der Zukunft. In Zeiten des Klimawandels, in dessen Folge es vermutlich zu immer weiter wachsenden Dürreregionen, gerade in Afrika, kommen wird, könnte dies im Kampf gegen den Hunger ein nicht zu unterschätzender Faktor sein. Zudem lässt genetische Modifikation die Verwendung von Insektengift bei bestimmten Pflanzen, etwa Baumwolle, weitgehend überflüssig werden – weil die Pflanze selbst jenes Schädlingsgift produziert, das ihr zuvor mühevoll aufgesprüht werden musste. Darüber hinaus hat es sich Monsanto im „Sustainability Report 2015“ unter anderem zum Ziel gesetzt, die jährlichen Treibhausgas-Emissionen bis 2020 um 22 Prozent zu senken (Vergleichsjahr: 2010).

Nicht zuletzt ein Image-Problem

Insofern: Nein, Monsanto ist nicht böse, sondern ein ziemlich normales global operierendes Unternehmen mit zugegebenermaßen unrühmlicher Vergangenheit und einem verheerenden Image. Doch damit muss sich vermutlich bald Bayer herumschlagen.

Andreas Resch, der in Berlin als Drehbuchautor und Journalist arbeitet, hielt selbst lange am Bild des ach so bösen Monsanto-Konzerns fest. Den Job, das Unternehmen an dieser Stelle zu verteidigen, übernahm er eigentlich aus einer sophistischen Anwandlung heraus. Nach kurzer, intensiver Recherche kristallisierte sich für ihn jedoch heraus: Das Vorurteil gegenüber Monsanto resultiert – wie so oft – aus diffusem Halbwissen und äußerem Meinungsdruck. Monsanto-Aktien würde sich Andreas dennoch nie kaufen.

Illustration: Renke Brandt