fluter: In deutschen Medien kommt der riesige Kontinent Afrika eher klein vor und wenn, dann konzentriert sich die Berichterstattung auf Katastrophen. Ist das als Korrespondent nicht frustrierend?

Bartholomäus Grill: Schon ein wenig. Gerade jetzt sind die Chancen für afrikanische Themen gering. Sie konkurrieren mit der Flüchtlingskrise, mit den Kriegen in der Ukraine und Syrien oder mit dem Wahlkampf in den USA. Da muss man schon mit einer großen Katastrophe aufwarten.

 

Eine Katastrophe wie die unglaubliche Explosion der Kriminalität in Südafrika, wo Sie wohnen. Sie selbst haben neulich über den Mord an einem Ihrer Freunde geschrieben. Was ist los in dem Land, das vor über 20 Jahren erfolgreich die Apartheid abgeschüttelt hat? Selbst der ehemalige ANC-Führer und Präsident Jacob Zuma steht unter Korruptionsverdacht.

Ein Kollege hat neulich in der Tageszeitung Sowetan geschrieben, dass man Zuma dankbar sein müsse, weil er Südafrika nun richtig afrikanisiert habe – mit einem korrupten Regime, das die Verfassung missachtet und an den Grundpfeilern der Demokratie sägt. Die Generation nach Mandela hat ihren moralischen Kompass verloren und den unglaublichen Niedergang Südafrikas eingeleitet. Ihr Motto heißt: Wir haben nicht gekämpft, um arm zu bleiben, it ́s our time to eat. Die neue Machtelite langt kräftig zu, und zwar nicht nur ganz oben an der Staatsspitze, sondern bis hinunter in die kleinsten Gemeinden. Ein politisches Amt ist der schnellste Weg, um reich zu werden. Man wird Bürgermeister, fährt ein fettes Auto, trägt teure Anzüge und plündert die Staatskasse. Deswegen fordern die protestierenden Studenten an den Universitäten eine zweite Dekolonialisierung: die Befreiung von der schwarzen räuberischen Elite.

Eine zünftige Katastrophe

Security-Mann näher sich einem Hauseingang

In Südafrika hat die Kriminalität in den letzten Jahren stark zugenommen. Kritiker sagen, dass auch die Regierung des Landes ihren moralischen Kompass verloren hat

Vom gefeierten Freiheitshelden zum Diktator und Ausbeuter des eigenen Volks: Das gilt auch für Robert Mugabe in Simbabwe. Warum wiederholt sich dieses Narrativ so oft?

Mit Mugabe verbinde ich einen meiner größten Irrtümer. Ich habe ihn bewundert, er führte den  Widerstand gegen das Apartheidregime in Südafrika an. Als Präsident predigte er zunächst Versöhnung zwischen Schwarzen und Weißen und entwickelte ein vorbildliches Bildungssystem. Simbabwe hatte alle Voraussetzungen für eine bessere Zukunft. Dann aber kam der grenzenlose Machthunger und die Habgier der Eliten. Heute ist die Regierung nur noch eine Räuberbande, und ihr Hauptmann heißt Mugabe.

 

„Erst mal kümmern wir uns um Wohlstand, dann können wir über Menschenrechte reden“

Noch vor zehn Jahren hieß es, der Aufstieg Afrikas sei unaufhaltsam. Die Wirtschaft und der Wohlstand wachse. Was ist dazwischen gekommen?

Die afrikanischen Löwen wollten es den asiatischen Tigern nachmachen: Africa rising. Aber diese Erzählung war von Anfang an mit viel Wunschdenken verbunden. Zur Jahrtausendwende explodierten zwar die Rohstoffpreise, aber das wirtschaftliche Wachstum war nicht nachhaltig. Mittlerweile sind die Weltmarktpreise für Erdöl, Kupfer und andere Bodenschätze eingebrochen, und in den Staatshaushalten klaffen große Lücken. Allerdings sollten wir Afrika nichtals monolithische Masse betrachten, es ist ein vielfältiger Kontinent, und von Land zu Land sind die Entwicklungen ganz unterschiedlich.  Äthiopien hat zum Beispiel ein jährliches Wirtschaftswachstum von bis zu zehn Prozent und erlebt gerade einen unglaublichen Modernisierungsschub. In der Hauptstadt Addis Abeba wachsen zahllose Hochhäuser, sogar eine moderne Stadtbahn wurde gebaut. An der Peripherie entstehen Industriezonen, in der Leder- und Textilproduktion ist man gerade dabei, Bangladesch als Billigstlohnland abzulösen. Auch ein rohstoffarmes Land wie Ruanda hat erstaunliche Erfolge aufzuweisen – es ist wie Äthiopien eine sogenannte Entwicklungsdiktatur nach dem Vorbild Chinas oder Singapurs. Die autoritären Regime setzen auf Wirtschaftswachstum und schränken die Grundrechte massiv ein. Devise: Erst mal kümmern wir uns um Wohlstand, später können wir über Menschenrechte reden.

Eine zünftige Katastrophe

Der Staatschef von Simbabwe, Robert Mugabe

Das Ende eines Hoffnungsträgers: Früher stand Simbabwes Präsident Robert Mugabe mal für den Widerstand gegen die Apartheid der Kolonialherren, predigte Versöhnung und förderte die Bildung. Dann kam die Gier der Eliten

Insofern klingt es recht logisch, dass China derzeit überall in Afrika investiert und zum bevorzugten Partner in viele afrikanischen Ländern geworden ist.

Die politischen Eliten begrüßen diesen neuen Partner sehr, weil sie sich durch die ehemaligen Kolonialmächte vernachlässigt und oft geschurigelt fühlen. Da ist es toll, einen neuen Verbündeten zu haben, der ihnen nicht vorschreibt, was sie zu tun haben. Und der keine Bedingungen an seine Hilfe und die Vergabe von Krediten knüpft. Das gibt vielen Regierungen Afrikas  neuen Spielraum. Allerdings bekommen sie mancherorts auch die Gegenreaktionen zu spüren, denn chinesische Unternehmen missachten oft Umweltauflagen und das Arbeitsrecht und beuten afrikanische Mitarbeiter aus. Es gab zum Beispiel gewalttätige Proteste in den Kupferminen von Sambia, dort reden die Leute schon von den „gelben Kolonialherren“, die sich nicht besser aufführen würden als einst die weißen. Peking spricht dennoch von einer „Partnerschaft auf Augenhöhe“ – das ist reine Propaganda.

Viele Länder Afrika sind extrem arm, obwohl sie reich an Rohstoffen sind. Wir groß ist die Mitschuld internationaler Konzerne und westlicher Regierungen?

Im Grunde hat sich an den ungleichen Verhältnissen auch nach der Kolonialzeit wenig geändert: Afrika bleibt der ewige Lieferant von Rohstoffen und Agrargütern, die Wertschöpfung findet woanders statt. Die Ungleichheit wird neuerdings durch die sogenannten Economic Partnership Aggrements der EU verstärkt. Das ist, als würden uns die Engländer die Cricket- Regeln erklären und dann gegen uns spielen. Wer würde da wohl gewinnen?

„Im Grunde hat sich an den ungleichen Verhältnissen auch nach der Kolonialzeit wenig geändert“

Manchmal hat man den Eindruck, dass viel der Entwicklungshilfe oder einige der Kriseninterventionen nichts gebracht haben.

Es lässt sich schwer ermessen, was Entwicklungshilfe tatsächlich bewirkt hat, aber ich glaube nicht, dass sie sinnlos ist. Wir wissen nicht, wie Afrika ohne die jahrzehntelange Hilfe  aussähe. Ich kenne jede Menge guter Projekte in der Bereichen Landwirtschaft, Gesundheit und Bildung. Dass vieles nicht klappt, liegt an den naiven Helfern und an verantwortungslosen afrikanischen Eliten. Wenn die Regierungen keinen Willen haben, ihre Länder zu selbst entwickeln, ist die Hilfe kontraproduktiv. Sie macht abhängig und lähmt die Eigeninitiative. Am Ende wird nur korrupten Eliten geholfen, die riesige Summen veruntreuen. 

Eine zünftige Katastrophe

Chinesische Ingenieure auf einer Baustelle in Afrika

China engagiert sich auf dem afrikanischen Kontinent mit vielen Großprojekten. Das bringt manche Regionen ziemlich voran, wird aber auch kritisch gesehen: China sichert sich den Zugriff auf Rohstoffe, überschwemmt Afrika mit Billigwaren und schert sich nicht groß um Demokratie und Menschenrechte

 

Eins der größten Probleme in Afrika, wo Christen und Moslems in vielen Ländern friedlich zusammenleben, ist der islamistische Terror. Steht der Kontinent vor einem Religionskrieg?

Nein, das ist Unsinn. Der Terror ist in der Regel in verarmten Region entstanden, die von den Zentralregierungen seit Jahrzehnten vernachlässigt werden. Dort kämpfen die Menschen um  knappe Ressourcen, um Wasser, Weideland, Zukunftschancen. Ihre Konflikte werden durch ethnische und religiöse Komponenten radikalisiert. Das Anwachsen der islamistischen Terrormiliz Boko Haram, die zur Jahrtausendwende in Nordnigeria entstand, lässt sich auf ein kolossales Versagen der nigerianischen Regierung zurückführen. Sie hat sich einfach nicht um den Norden des Landes gekümmert, von den Ölmilliarden kam dort nichts an.

Die nächste Fluchtbewegung steht mit der Klimaveränderung vor der Tür. Unter der vor allem von Industrieländern wie Deutschland verursachten Erderwärmung leiden afrikanische Ländern am meisten. Ihre Länder versteppen, Ernte fallen aus. Müsste es nicht einen Ausgleich geben für Afrika?

Ja, natürlich, aber weil die Auswirkungen des Klimawandels in Europa noch nicht so drastisch sind, interessiert sich niemand dafür. Man beschäftigt sich erst mit Afrika, wenn der Kontinent als Bedrohung wahrgenommen wird, wenn man sich wie in diesen Tagen vor den armen Massen fürchtet, die sich in Afrika in Bewegung setzen könnten.

„Man beschäftigt sich erst mit Afrika, wenn der Kontinent als Bedrohung wahrgenommen wird“

Wäre für einen Neunanfang in den Beziehungen zwischen Europa und Afrika nicht eine Entschuldigung vonnöten – für die ganzen Gräuel der Kolonialzeit, deren Folgen weiterhin auf dem Kontinent lasten?

Das Gräueltaten der Belgier im Kongo, die Vernichtungskriege der Briten, die Konzentrationslager und die Kriegsverbrechen der Deutschen in Namibia, das Wüten der Franzosen in Algerien – das alles sind Menschheitsverbrechen, die nie aufgearbeitet oder geahndet wurden. Ebensowenig wie die Aktivitäten von CIA, KGB oder der Stasi, die den Geheimdienst des äthiopischen Terrorherrschers Mengistu aufgebaut haben. Es waren  Stellvertreterkriege des Osten und des Westens im Kalten Krieg, die auf afrikanischem Boden ausgetragen wurden. Eins der schlimmsten Kapitel wurde gerade in Dakar vor einem Sondertribunal verhandelt. Es verurteilte den Despoten Hissène Habré, der von Ronald Reagan und den CIA im Tschad regelrecht installiert worden war und Zehntausende von Menschen umbringen ließ. 

Schon 1993 ging Bartholomäus Grill als Korrespondent nach Südafrika und seitdem hat er den Kontinent nur selten verlassen. Jahrelang erschienen seine Berichte in der Zeit, seit Neustem ist er für den Spiegel in Kapstadt. Seine Geschichten zeigen einen Kontinent voller Widersprüche, oft roh und gewalttätig, dann wieder heiter und gelassen. Spannend ist auch sein Buch „Ach, Afrika“ (erschienen bei Goldmann)

Fotos: Mustafah Abdulaziz/OSTKREUZ; Le Figaro Magazine; Per-Anders Pettersson; Jean Claude MOSCHETTI/REA/laif; Ullsteinbild