Thema – Generationen

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Alles easy – oder?

Wir können reisen, studieren, machen was wir wollen, sagt man. Aber haben wir es wirklich leichter als unsere Eltern? Soziologe Oliver Nachtwey erklärt, warum zumindest der berufliche Aufstieg für die junge Generation schwerer ist

Illustration: Bureau Chateau, Jannis Pätzold

Fluter: Herr Nachtwey, Sie schreiben, dass wir uns in einer Abstiegsgesellschaft befinden. Der jüngeren Generation müsste es also schlechter gehen als ihrer Eltern- und Großelterngeneration. Stimmt das?

Oliver Nachtwey: Für die junge Generation ist die Situation gegenüber ihrer Elterngeneration nicht ganz eindeutig. Sie hat deutlich mehr Wahlmöglichkeiten in ihrer Lebensführung und Berufswahl. Kinder aus Arbeiterhaushalten haben heute größere Möglichkeiten, auch einen Bildungsaufstieg zu machen. Insgesamt studieren mehr Menschen. Was sich aber verändert hat: Der Aufstieg ist nicht mehr so selbstverständlich. 

Das müssen Sie erklären. 

Wenn man als junger Mann oder Frau in den 60er- oder 70er-Jahren auf eine Universität gegangen ist, war die Wahrscheinlichkeit sehr, sehr hoch, schnell ein gut gesichertes Leben führen zu können. Mit einer guten Ausbildung – egal ob im Betrieb oder an der Uni – ist man relativ schnell in eine sichere Umlaufbahn gekommen. Heute können junge Menschen trotz guter Qualifikation nicht mehr selbstverständlich davon ausgehen. Sie müssen vielleicht einen Beruf ergreifen, der nicht ihrer Ausbildung entspricht. In vielen Berufsfeldern herrscht größerer Konkurrenzdruck als früher. Die Angst vor sozialem Abstieg hat enorm zugenommen.

Es scheint tatsächlich so, dass 25- bis 29-Jährige im Jahr 1990 gemessen am Durchschnittseinkommen im Vergleich mehr Geld hatten als ihre heutigen Altersgenossen. Der jungen Generation geht es aber doch nicht wirklich schlechter?

Junge Menschen haben heute nicht zwangsläufig einen geringeren Lebensstandard. Sie können viele Fernreisen machen, haben mehr Optionen, haben einen sehr großen Konsumanteil. Aber was ihnen häufiger fehlt: Im Verhältnis zu den Alten haben sie nicht diese Arbeitsplatzsicherheit und sind viel früher sozialen Unsicherheiten ausgesetzt. Die Anzahl der guten Jobs mit einer entsprechenden Anstellung ist nicht in dem Maße gestiegen wie die Anzahl der Studierenden. Viele Berufsanfänger erfahren nach der Uni eine Phase von Praktika, befristeten Verträgen und Leiharbeit. Außerdem sind die Einstiegsgehälter gesunken. Es dauert heute viel länger, bis man finanzielle Sicherheit hat und sich ein eigenes Vermögen aufbauen kann.

Das hört sich nach dem Klischee der Generation Praktikum an. Aber bezieht sich das nicht auf ein bestimmtes Leitmilieu und gilt somit nur für wenige? Ein ausgebildeter Handwerker wird doch in Deutschland im Moment immer Arbeit finden.

Ja klar. Aber eben zu einem relativ geringen Lohn. Kein hoher Bildungsabschluss ist daher auch keine Lösung, um ein finanziell sicheres Leben führen zu können. Für diejenigen, die heute keinen Abschluss haben, verringern sich die Lebenschancen substanziell. Schauen Sie sich die unqualifizierten jungen Menschen in den 60er-Jahren an. Da konnte man noch sehr gut in die Fabrik gehen und schaffen. Für Menschen aus den unteren sozialen Lagen war es dadurch möglich, eine Familie, ein Auto, eine kleine Wohnung zu finanzieren. Heute können sie als Unqualifizierte im Grunde kaum noch in die Fabrik gehen und ihren kleinen sozialen Aufstieg erfahren. Heute sind sie Leiharbeiter und bleiben in der Spule der Unsicherheit. 

Von den 1950er- bis in die 1980er-Jahre befand sich laut dem Soziologen Ulrich Beck die gesamte Gesellschaft in einem Fahrstuhl. Arm und Reich stiegen gemeinsam auf. Sie schreiben nun von der Abstiegsgesellschaft, die sich auf Rolltreppen bewegt. Was meinen Sie damit? 

Der Fahrstuhleffekt markierte eine Epoche, wo die Rolltreppe für alle nach oben gefahren ist. Jetzt hat die Rolltreppe in den unteren Etagen ihre Richtung geändert. Die, die früher relativ einfach aufstiegen, können nicht mehr auf eine Rolltreppe vertrauen, die nach oben führt. Für die oberen Schichten fahren die Rolltreppen immer noch aufwärts. Für die unteren Schichten fahren die Rolltreppen tendenziell abwärts. Wer nicht absteigen will, muss gegen die Fahrtrichtung nach oben laufen. Das geht aber nur mit großer Anstrengung. Und viel mehr Leute befinden sich auf der Rolltreppe, laufen mit und strecken ihre Ellenbogen aus. Alle haben angefangen zu laufen auf diesen Rolltreppen. 

Muss die junge Generation besonders oft gegen die Fahrtrichtung die Rolltreppe hochlaufen? 

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Nachtwey (Foto: privat)

Oliver Nachtwey, geboren 1975, ist Professor für Sozialstrukturanalyse an der Universität Basel. Sein viel beachtetes Buch "Die Abstiegsgesellschaft" ist 2016 im Suhrkamp Verlag erschienen.

(Foto: privat)

Ja, für viele junge Leute ist das so. Sie können aufsteigen, aber sie müssen im Verhältnis zu ihren Eltern viel mehr laufen. Man kann aber nicht von der Generation reden, sondern muss sich auch den ökonomischen Hintergrund angucken. Die jetzt 20-Jährigen aus der Mittel- und Oberschicht haben es leichter. Da tun die Eltern sehr viel dafür, dass ihre Kinder eine hohe Bildung erzielen. Man wird auf Privatschulen geschickt, bekommt Nachhilfe. Man hat zu Hause viel mehr Ressourcen: Bildung, Zeit der Eltern, Reisen ins Ausland, Theaterbesuche, Musikstunden. Aber das sind Mittel, die sich auch auf dem Markt bewähren. Diejenigen, die so gefördert werden, werden weiter aufsteigen. Die, die das nicht bekommen, haben viel weniger Aufstiegschancen als ihre Elterngeneration.

Wenn Sie der jungen Generation von heute ein Label aufdrücken müssten: Wie würden Sie sie nennen?

Ich tue mich immer schwer mit Generations-Labels. Es gibt für mich selten eine Generation. Die Achtundsechziger sind zum Beispiel in viele ländliche Regionen gar nicht hineingedrungen. Wenn man schon von einer Generation sprechen möchte, dann ist mein Eindruck, dass die Generation der heute um die 20-Jährigen ein wenig nüchtern geworden ist. Man versucht, sein Leben zu leben, hedonistisch zu sein, zu konsumieren, aber man erwartet nicht mehr richtig viel. Laut der Shell-Jugendstudie schieben sich bestimmte traditionelle Werte wie Sicherheit, Freundschaft und Bindung wieder stärker in den Vordergrund. Sie merken, dass sie auch als Digital Natives bei dieser sozialen Beschleunigung und diesem Wandel nicht mehr mitkommen. Grundsätzlich herrscht eine große Orientierungslosigkeit und Nüchternheit. 

Wie kann denn die junge Generation wieder zu mehr Optimismus kommen? 

Diese Generation ist besonders von der Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse seit den 90er-Jahren betroffen. Deswegen wünscht sie sich auch wieder stärker eine Anstellung im öffentlichen Dienst. In Bereichen, wo Betriebsräte und Tarifverträge gelten, gibt es sehr viel weniger Prekarität. In einem hippen Berliner Start-up zu arbeiten klingt vielleicht jung und sexy. Das ist aber im Grunde der digitale Wilde Westen, was die Arbeitsverhältnisse anbelangt. Wenn man jung ist, vielleicht noch ein bisschen Geld von den Eltern bekommt, dann kann man das ein paar Jahre machen. Es gefällt einem, wenn der Chef die Pizza zahlt und einen duzt. Wenn man älter wird, vielleicht eine Familie zu versorgen hat, ist dann auch so was wie Normalarbeitsverhältnisse sehr wichtig. Mit klaren Arbeitszeiten und angemessenen Löhnen. Das sieht man manchmal nicht als junger Mensch. Weil man denkt: „Ich habe so viel Kraft und Energie. Das schaffe ich schon.“ Aber das Später kommt. So viel ist sicher.

Illustration: Bureau Chateau, Jannis Pätzold

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