Dan Kieran, der zehn Jahre lang für namhafte britische Zeitungen wie die Times und den Guardian über seine Erlebnisse von unterwegs berichtet hatte, gilt als anerkannter Experte für gemächliche Urlaubsgestaltung. 2013 veröffentlichte er sein Buch "Slow Travel" – ein Buchtitel, der sich bewusst an die Slow-Bewegung anlehnt, deren bekanntester Pfeiler Slowfood sein dürfte. "Entschleunigung" ist das Stichwort – bewusstes Leben und Achtsamkeit gegenüber sich und der Umwelt – ein Megatrend, sagen führende Trendforscher wie Matthias Horx.

Der englische Originaltitel seines Buches, "The Idle Traveller", kommt seinem Anliegen übrigens näher: Denn nicht die Langsamkeit ist nach Kieran – der übrigens auch Herausgeber des schicken Magazins The Idler ist  – das Ziel, sondern der Müßiggang. Denn auch langsames Reisen unterscheidet sich nicht von gedankenlosem Urlaub – solange es nicht bewusst geschieht.

Das geruhsame Reisen ist bei Kieran allerdings nicht nur hippe Fassade: Der 39-jährige Journalist leidet unter Flugangst – da er aber leidenschaftlich gerne reist, musste er alternative Strategien entwickeln, die ihn zu seinen Zielen brachten. Und die sind meist erheblich langsamer als ein Flug.

Kierans journalistische Texte über seine ungewöhnlichen Reisen und deren oft kuriosen Umstände brachten ihm eine breite Leserschaft ein. Durch publikumsträchtige Aktionen vergrößerte er seinen Bekanntheitsgrad zusätzlich: zum Beispiel, indem er zusammen mit zwei Freunden England durchquerte, auf einem elektrisch betriebenen Milchwagen zockelnd – und die Reise später im Radio und in einem Buch aufbereitete.

Eine Philosophie des Reisens

Es gibt tausende Bücher über das Reisen, und eine Auswahl stellt Kieran in seinem eigenen Buch mit jeweils ein paar Sätzen auch vor. So zitiert er Passagen von Reiseautoren, die für ihn Vorbilder sind – wie Laurie Lee – und trauert den Zeiten der ersten Baedeker-Reiseführer nach: Als diese im 19. Jahrhundert erschienen, war das "gemächliche Reisen" nämlich noch keine Seltenheit.

Den Briten interessiert nicht nur die eigene Profession als Journalist und Reiseschriftsteller, sondern auch wissenschaftliche Disziplinen, die auf den ersten Blick wenig oder gar nichts mit dem Reisen zu tun haben – auf den zweiten allerdings eine ganze Menge. So zieht er Erkenntnisse aus der Neurobiologie und sogar der griechischen Mythologie als Belege für seine Theorien heran. Ausgehend von diesen Einflüssen und eigenen Erfahrungen entwirft Kieran schließlich eine eigene Philosophie des Reisens.

"Unser Unterbewusstsein entscheidet ständig für uns", stellt Kieran fest. Wir treffen einen Großteil der Entscheidungen in unserem Leben nicht bewusst, sondern automatisiert. Unsere Gehirne sind darauf programmiert, Routinen zu entwickeln und immer gleiche Verhaltensmuster abzuspulen. Die Verringerung der Geschwindigkeit ist, glaubt der Brite, der Schlüssel zu einem bewussteren Reisen. Ist eigentlich logisch: Wer mehr Zeit hat, lässt auch seine Gedanken gründlicher schweifen und kann so viel intensiver erleben – statt nur in den automatisierten Bahnen neue Sinneseindrücke einzuordnen. Die neurobiologische Routine selbstreflektiert zu überwinden, das ist für Dan Kieran das eigentliche Ziel jeder seiner Reisen.

Das Leben ist keine Sightseeingtour

Jeder Reisende wird "zu seinem eigenen Odysseus", schreibt er. Vor großen Worte und Metaphern scheut er sich nicht. Das langsame Reisen steht bei ihm durchaus auch für die Möglichkeit, das eigene Leben als "selbst verfasstes Epos" zu begreifen. Durch gelegentliches Innehalten und Reflektieren der eigenen Situation werden sowohl Reise als auch Leben zu mehr als einer im Schnelldurchlauf abgehakten Liste – nämlich zu einem echten Abenteuer, wie der Autor es ausdrückt.
 
Auch sonst bedient sich Kieran oft bei den alten Griechen – etwa wenn er fragt, warum die Zeit manchmal schneller und manchmal langsamer zu verrinnen scheint. Die Griechen der Antike haben das Problem der subjektiv wahrgenommen Zeit elegant gelöst, erläutert Kieran: Während der Gott Chronos über den Lauf der Zeit wacht, steht Kairos für die göttliche Zeit, für schicksalhafte Momente der Entscheidung. Kieran ist überzeugt, dass uns Kairos nur erscheint, wenn wir uns die Zeit nehmen, nach ihm Ausschau zu halten – auch und vor allem auf Reisen.

Meist genial, manchmal arg einfach gedacht

Der erzählerische Bogen in "Slow Travel" führt von den Göttern des Olymp bis in die Labore moderner Verhaltensforscher. Dabei erwähnt Kieran die frühneuzeitliche Kavalierstour ebenso wie den Raubbau am Amazonas, verliert dabei aber seine Linie nie aus den Augen – sein Werk ist stets ein flammendes Plädoyer für bewusstes Reisen.
 

Neben erfrischenden und klugen Ansätzen hat der Autor teilweise auch banale Weisheiten im Gepäck: So empfiehlt Kieran etwa, zum besuchten Ort passende Literatur zu lesen, etwa in Paris Frederick Forsyths Spionageroman "Der Schakal" (1971), der dort spielt. Das mag Ansichtssache sein – und trotzdem: Dem britischen Journalisten ist mit seinem Traktat ein großer Wurf gelungen, der zum Nachdenken über unsere Reisegewohnheiten anregt – und diese zumindest in Einzelfällen nachhaltig verändern könnte. 

Dan Kieran: Slow Travel. Die Kunst des Reisens (Rogner & Bernhard 2013, übers. von Yamin von Rauch, 224 S., 19.95 €)