Weil Lena Dunham immer so ehrlich ist, hat sie jetzt Ärger am Hals. Als Kind hat sie ihrer einjährigen Schwester in die Vagina geschaut und darin Steinchen gefunden. Jahre später hat sie das als eine von sehr vielen Anekdoten aus ihrem Leben in einem Buch aufgeschrieben. Und dann haben einige Menschen „Missbrauch!“ geschrien. Und schreien es noch immer.

Dabei sind die Vorwürfe natürlich Unsinn. Überhaupt birgt Lena Dunhams autobiografische Geschichtensammlung „Not That Kind of Girl“ keine dunklen Geheimnisse. Die 28-Jährige war schon immer ein offenes Buch. Sie ist die Erfinderin von „Girls“, der mehrfach ausgezeichneten US-Serie über vier New Yorker Mädchen Mitte zwanzig, die mehr durchs Leben stolpern, als dass sie gehen; dabei hat Dunham die Serie nicht nur geschrieben, sondern auch produziert, Regie geführt und die Hauptrolle gespielt: Hannah Horvath, ihr Alter Ego.

Wer Hannah kennt, weiß auch viel über Lena. Und weiß: Alles halb so wild. Bisschen verschroben, die Gute, bisschen verrückt, aber ansonsten eher die Sorte junge Frau, bei der andere junge Frauen denken: „Ich bin nicht allein!“ Nicht umsonst wurde Dunham schon „die Stimme einer ganzen Generation“ genannt. Sie ist Vorbild für viele: emanzipiert, nicht klassisch schön und entwaffnend ehrlich.

Für Dunhams Authentizität spricht, dass sie auch in ihrem Buch, das in der deutschen Übersetzung den etwas unglücklichen Untertitel „Was ich im Leben so gelernt habe“ trägt, ihrem Stil treu bleibt. Die Lektüre von „Not That Kind of Girl“ fühlt sich beinahe so an, als würde man eine sehr lange „Girls“-Folge anschauen. Da ist der gleiche Humor: Dunham hat ein gutes Gespür für Tempo und Timing, bevor eine Episode langweilig werden kann, ist sie vorbei. Da ist die gleiche Liebe zum Detail: Szenen und Räume werden geschaffen durch eine Aufzählung und Anhäufung von Details, Kleidung, Essen, Gerüchen, Geschmäckern, Geräuschen, Gedanken. Und da sind die gleichen Sorgen und Nöte, die zur Sprache kommen: vor allem die Zwangsstörungen der Autorin sowie Jungs- und Sexgeschichten.

Fünf Großkapitel, aber keine Struktur

Um als Leser den Überblick über diese Sexgeschichten zu behalten, müsste man allerdings selbst Buch führen und all die Männer auf einem Zeitstrahl anordnen. Es herrscht einfach ein zu großes Durcheinander in der Dunham’schen Erzählung ihres Liebeslebens, und das ist auch die größte Schwäche des gesamten Buches: seine fehlende Struktur. Zwar gibt es fünf Großkapitel („Liebe & Sex“, „Körper“, „Freundschaft“, „Arbeit“, „Das große Ganze“) und in diesen jeweils Unterkapitel, aber schon die folgen keinem roten Faden mehr. Der Text mäandert von Anekdote zu Anekdote, Dunham springt in der Chronologie, mal ist sie Kind, mal am College, mal erwachsen. Auf die Liste „Was ich in meiner Handtasche habe“ (seltsamerweise im Großkapitel „Körper“) folgt das Kapitel „Wer hat meine Gebärmutter verschoben?“.

Dazu gibt es noch Passagen, die sich weniger wie autobiografische Anekdoten und mehr wie Kurzgeschichten lesen. In einer reist Lena allein nach London, trifft dort ihre Bekannte Nellie und wird von ihr mitgenommen in eine Villa am Stadtrand, in der Nellie in einer Art Kommune lebt. Die Episode handelt von Rausch und vom Sichübergeben, von einem Mädchen mit Tierohren und einem „girl crush“. Und sie bringt einen auf den Gedanken, dass es vielleicht für die Struktur und die Lesbarkeit des Textes am besten gewesen wäre, wenn Lena Dunham ein Buch voller Kurzgeschichten geschrieben hätte. Sich genommen hätte, „was sie im Leben so gelernt hat“, und das überspitzt und zur Fiktion gemacht hätte.

Denn das kann Dunham ja, wie sie mit „Girls“ bewiesen hat. Außerdem hätte sie dann jetzt auch keinen Ärger am Hals. Die Geschichte von dem Mädchen, das seiner kleinen Schwester in die Vagina schaut, wäre dann nämlich einfach eine Geschichte geblieben.

Nadja Schlüter, Redakteurin bei jetzt.de, hat alle Staffeln „Girls“ zwei Mal gesehen. „Not That Kind of Girl“ wird sie aber nicht noch mal lesen.