Das Thema Erderwärmung ruft stets dieselben Bilder hervor: Kohlekraftwerke, Autos, Flugzeuge. An Äcker und Megaställe dürften die wenigsten denken. Dabei ist die Landwirtschaft nach Einschätzung von Experten nach dem Energiesektor der zweitgrößte menschengemachte Treiber des Klimawandels. Zugleich ist sie mitverantwortlich dafür, dass der fruchtbare Boden zur Neige geht. Noch 60 Ernten, dann ist Schluss mit Ackerbau, ist aus der Welternährungsorganisation zu hören. Klingt düster. Doch beide Probleme ließen sich bekämpfen, sagen Verfechter der „regenerativen Landwirtschaft“ – sogar gleichzeitig.

Auf konventionelle Weise betrieben, sagen Kritiker wie das Bündnis „Wir haben es satt“, sei Landwirtschaft heute oft gleichzusetzen mit Agrarindustrie – mit riesigen Maschinen und Ställen, die Fabriken gleichen. Unter Einsatz von allerhand Chemie werde da versucht, möglichst intensiv zu wirtschaften, besonders viel Ertrag aus dem Boden zu holen.

Der enthält in der Tat immer weniger Nährstoffe, wie auch Studien zeigen. Zudem nimmt die biologische Vielfalt ab, während der Nitratgehalt in unseren Gewässern steigt und das Klima leidet: Synthetischer Stickstoffdünger steht für den größten Beitrag der Landwirtschaft zum Klimawandel, denn bei dessen Anwendung werden große Mengen Lachgas freigesetzt – und das ist 300-mal klimaschädlicher als Kohlendioxid (CO2).

Eine simple Gleichung: Mehr Humus im Boden, weniger CO2 in der Atmosphäre

Wir zerstören unsere Lebensgrundlagen – wider besseres Wissen, sagt Felix Prinz zu Löwenstein. Der Vorsitzende des „Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft“ (BÖLW) ist Agrarwissenschaftler und selbst als Bio-Landwirt tätig. Was er meint: Die Landwirtschaft hat das Potenzial, Klimawandel und Welthunger gleichzeitig entgegenzuwirken, dabei sogar noch für steigende Einkommen zu sorgen, wie auch in den neuen nachhaltigen Entwicklungszielen der Vereinten Nationen nachzulesen ist. Für zu Löwenstein ist deshalb klar: „Die Landwirtschaft muss auf regenerative Systeme umgebaut werden.“

Während die Mehrheit der Landwirte nach wie vor konventionelle Methoden nutzt, hält zu Löwenstein den Ökolandbau am geeignetsten, weil am kompatibelsten mit den Praktiken der regenerativen Landwirtschaft. Der Deutsche Bauernverband hält auf Anfrage von fluter.de dagegen: Auch mit herkömmlichen Methoden ließe sich die Qualität des Bodens verbessern. Und die Anforderungen der regenerativen Landwirtschaft seien so hoch, dass sich das auf die Preise der Nahrungsmittel auswirken würde.

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Ein Stück unfruchtbarer Boden  (Foto: Sanne Zurné)

Der Boden der Tatsachen: Laut einer Studie der Universität Sheffield ist in den vergangenen 40 Jahren etwa ein Drittel der landwirtschaftlich nutzbaren Böden auf der Welt zerstört worden

(Foto: Sanne Zurné)

Worin bestehen diese Anforderungen? Was für Kritiker klingt wie utopische Öko-Romantik, steht für eine ganze Reihe von Ansätzen, die Ressourcen vermehren und verbessern wollen, vor allem den Boden. Befürworter einer solchen Form der Landwirtschaft plädieren zum Beispiel für eine stets vollständige Bodenbedeckung durch Vegetation, für Fruchtfolgen statt Monokulturen und für den Anbau mehrjähriger Pflanzen. Auf Chemikalien, schweres Gerät und das maschinelle Umpflügen der Ackerflächen wollen sie verzichten. Punkte, die sich leichter mit Ökolandbau vereinbaren lassen als mit konventioneller Landwirtschaft, und von einigen Bio-Bauern auch bereits umgesetzt werden.

Diese Form der Landwirtschaft hätte ihren Verfechtern zufolge einen genialen Nebeneffekt – Wissenschaftler sprechen von „Carbon Farming“: Es würde das Klima schonen. Denn mit der Förderung der Bodenfruchtbarkeit ist die Speicherung von CO2 untrennbar verbunden. Wir wissen das aus dem Bio-Unterricht: Bei der Fotosynthese nehmen Pflanzen Kohlenstoff in Form von CO2 aus der Atmosphäre auf. Dabei bilden sie oberirdisch Grün und unterirdisch Wurzeln, die nach und nach verrotten und dann von Regenwürmern und anderen (Mikro-)Organismen zu Humus verdaut werden. Der besteht dann zu mehr als 50 Prozent aus Kohlenstoff.

„Früher war es üblich, wenig fruchtbare Böden zeitweise als Weide zu nutzen, damit sie sich regenerieren konnten“

Die einfache Gleichung: Jede zusätzliche Tonne Humus im Boden entlastet die Atmosphäre um 1,8 Tonnen CO2. Und wenn Forscher melden, in den vergangenen 40 Jahren sei ein Drittel der landwirtschaftlich nutzbaren Böden auf der Welt zerstört worden, heißt das im Umkehrschluss, dass die Atmosphäre mit Unmengen von CO2 belastet wird. Ob die Böden ihre Funktion als zweitgrößte Kohlenstoffsenke der Erde erfüllen, hängt also davon ab, wie der Mensch mit ihnen umgeht.

Das Wissen um das Potenzial von Humus scheint in Vergessenheit geraten 

„Noch vor gar nicht so langer Zeit war es auch bei uns üblich, wenig fruchtbare Böden zeitweise wieder als Weide zu nutzen, damit sie sich regenerieren konnten“, sagt Anita Idel, Tierärztin und Agrarexpertin. Nur hielten viele Agrarwissenschaftler dieses Wissen seit dem Aufkommen von billigem und stets verfügbarem synthetischen Stickstoffdünger wohl für überflüssig. „Zurück in die Steinzeit“ lautet ein Kommentar, den Idel für ihre Ansichten häufig zu hören bekommt. Dabei, so sagt sie, gebe es kein besseres Rezept für Humusbildung als nachhaltig beweidetes Dauergrünland.

Es wäre ungerecht, alle konventionellen Landwirtschaftsbetriebe zu Sündenböcken zu machen.

„Ohne den Schutz der Böden wird es nicht möglich sein, eine wachsende Weltbevölkerung zu ernähren, die Erderwärmung unter zwei Grad Celsius zu halten und den Verlust der Biodiversität zu stoppen“, heißt es im „Bodenatlas“ der Heinrich-Böll-Stiftung, die den Grünen nahesteht. Der BÖLW-Vorsitzende zu Löwenstein sagt: „Das große Potenzial dieser Landwirtschaftsmethoden als Klimaretter liegt faktisch brach.“ Beim internationalen Jahr der Böden spielte das Thema allerdings kaum eine Rolle, bei der Umsetzung des Klimaabkommens von Paris – trotz der französischen Vier-Promille-Initiative – auch nicht.

Für Felix zu Löwenstein liegt das auch am Widerstand der chemischen Industrie. Belegen kann er seine Einschätzung zwar nicht, aber die input-arme regenerative Landwirtschaft verhieße natürlich weniger Umsatz durch synthetische Düngemittel für die Industrie als konventionelle Landwirtschaft. Katja Börgermann vom Deutschen Bauernverband hingegen warnt vor Schwarz-Weiß-Malerei. „Die deutschen Landwirte stehen zum Prinzip der Nachhaltigkeit“, sagt sie.

Bei der Umsetzung des Klimaabkommens von Paris sind die Böden nur eine Randnotiz

Es wäre ungerecht, alle konventionellen Landwirtschaftsbetriebe zu Sündenböcken zu machen. Tatsächlich zeigte eine Studie mit je 40 konventionellen und ökologischen Betrieben: Wenn es um Humusaufbau und Treibhausgasbilanzen geht, schneiden die besten konventionellen Höfe besser ab als die schlechtesten Bio-Bauern.

Aber wie fördert man den Humus-Aufbau in großem Stil? Katja Börgermann sagt: Höhere Anforderungen – mehr Bodenschutz zum Beispiel – müssen auch höhere Erlöse für die Bauern ergeben. „Letztlich muss der Verbraucher bereit sein, tiefer in die Tasche zu greifen“, so Börgermann. Für Anita Idel hingegen liegt die Verantwortung bei der Politik. „Die landwirtschaftliche Praxis ist extrem dirigierbar“, sagt sie. Heißt: Wenn es für etwas Geld gibt, dann wird das auch gemacht.