Man kann über die USA sagen, was man will, eines macht ihnen (bisher) keiner nach: Sie wissen dort drüben, wie man gute AutorInnen heranzieht. Wohl in keinem anderen Land der Welt ist Creative Writing als reguläres Studienfach so etabliert. „Aber sie bringen einem natürlich nicht wirklich bei, wie man schreibt“, erklärt Yaa Gyasi, deren Eltern aus Ghana in die USA eingewandert sind, als sie zwei Jahre alt war. „Vor allem geben sie einem den Raum dafür.“ 

Schon mit sieben schrieb sie ihre erste Kurzgeschichte und reichte sie bei einem Schreibwettbewerb ein, den ein Fernsehsender für Kinder veranstaltete. „Die Geschichte hieß ‚Just me and my dog‘“, sagt sie. „Ich habe zwar nicht gewonnen, aber ich wurde lobend erwähnt und bekam eine Urkunde.“ Sie erzählt das sehr ernsthaft; nicht einmal der Anflug eines selbstironischen Lächelns für das kleine Mädchen, das sie war, kräuselt ihre Mundwinkel. Denn dieses Erlebnis legte den Grundstein für alles Weitere: Die frühe Anerkennung bewirkte, dass Yaa seitdem unbedingt Schriftstellerin werden wollte. „Aber erst als ich mit 17 Jahren zum ersten Mal Toni Morrison las, begriff ich so richtig, dass das tatsächlich ein vollwertiger Beruf sein kann“, fügt sie hinzu, „a full-time writer.“

Yaa Gyasis Debütroman stürmte die New York Times-Bestseller-Liste

Inzwischen ist Yaa Gyasi 28 Jahre alt, hat nicht nur ihren Abschluss in Creative Writing längst gemacht, sondern auch ihren ersten Roman veröffentlicht und ist damit erfolgreich. Wir treffen uns zum Gespräch in einem Berliner Café. Unter ihrem Afro ist sie eine kleine, zart gebaute Person, die von sich selbst sagt, sie sei eher schüchtern. Auf jeden Fall spricht sie druckreif und scheint ziemlich stressresistent zu sein. An jenem Tag hat sie diverse Interviews, zwei davon live im Radio. Vor Berlin war sie in Island, am nächsten Tag ist Hamburg dran. Im Prinzip gehe das so seit über einem Jahr, sagt sie. Ja, anstrengend sei das schon, aber andererseits: „Ich fühle mich sehr privilegiert. Dass das Buch so erfolgreich ist, damit habe ich wirklich großes Glück.“ 

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Yaa Gyasi: „Heimkehren“

Yaa Gyasi: „Heimkehren“. Aus dem Englischen von Anette Grube. Dumont, Köln 2017, 416 Seiten, 22 Euro

Das ist natürlich bescheiden ausgedrückt, aber klar, Glück gehört immer dazu. Ganz abgesehen davon ist „Heimkehren“ ein außergewöhnlich guter Roman, der auf der „New York Times“-Bestsellerliste landete. Yaa Gyasi erzählt darin eine episch angelegte Familiengeschichte, die über sieben Generationen und mehr als 200 Jahre zurückreicht, bis ins 18. Jahrhundert. In Westafrika beginnt sie, in einer Gegend, die heute zu Ghana gehört, und mit zwei Schwestern, die nichts voneinander wissen. Denn während der Rangeleien der verschiedenen Stämme, die in der Gegend leben, ist ihre Mutter von einem verfeindeten Volk versklavt worden. In dieser Zeit hat sie eine Tochter geboren, die sie verlassen musste, als sie floh. Gerade diese Tochter aber wird später einen Engländer heiraten und vergleichsweise luxuriös auf einer Festung an der Küste leben. Die andere Tochter, die immerhin bei ihrer Mutter aufwachsen kann, wird dagegen als Sklavin nach Amerika verkauft und noch vor ihrem Abtransport von einem englischen Soldaten vergewaltigt. 

 

Auf diese beiden Eingangserzählungen lässt Yaa Gyasi eine Kette aus in sich abgeschlossenen Geschichten folgen, für jede Generation zwei, von denen eine in Afrika und eine in Amerika spielt. Die afrikanischen Erzählungen handeln von Menschen, die schwer tragen an der Vergangenheit ihrer Familie, die sich einst am Sklavenhandel bereichert hat. In ihren ländlichen Gemeinschaften fallen sie häufig als Außenseiter auf. Die amerikanischen Erzählungen beleuchten die andere Seite der Schicksalsmedaille und verfolgen über Generationen das Leben von Menschen, die ihre Würde zunächst gegen die Zumutungen der Sklavenhalter, dann gegen die einer rassistischen Gesellschaft verteidigen müssen.

Ein geheimer Unterstrom der Erfahungen der Ahnen

Jede dieser insgesamt 14 Lebensgeschichten kann für sich stehen und unabhängig von den anderen gelesen werden. Der äußeren Form nach ist das Buch also gar kein Roman. Dennoch empfindet man es ohne weiteres als solchen, verspürt eine starke, durchgehende inhaltliche Verbundenheit, die einen intensiven Lesesog auslöst. Es ist ein faszinierender Gedanke, dass jede neue Generation, selbst wenn sie nichts von der vorhergehenden weiß, über einen geheimen, unbewussten Unterstrom die Erfahrungen der Ahnen in sich trägt. Zum Schluss führt der Roman, nachdem der große Erzählbogen von sieben Generationen abgeschritten ist, beide Erzählstränge, den afrikanischen und den amerikanischen, zusammen. 

Eine starke Symbolik. Yaa Gyasi gibt den amerikanischen Nachkommen der einstigen Sklaven ihre afrikanische Familiengeschichte zurück. Und für uns alle trifft sie damit direkt ins Zentrum des zutiefst menschlichen Wunsches nach Aufgehobensein in einem großen familiären Zusammenhang.

Titelbild: Gabriela Hasbun/Redux/laif