„Sie wurden betrogen.“ In einem Hotelzimmer über den Dächern Bangkoks sitzt Martin Armstrong und hört zu. „Sie wurden einmal sehr verletzt.“ Armstrong schaut skeptisch, als denke er: Woher will dieser Typ das wissen? „Sie haben kein Glück mit Politikern.“ Da muss der sichtlich gebeutelte Protagonist von „The Forecaster“ schmunzeln.

Ja, wie ironisch – sie haben ausgerechnet ihn, den sie das „Orakel“ nennen, zu einem Wahrsager geschleppt. Armstrong hebt in dieser ersten Szene des Films Spielkarten von einem Stapel ab, der glatzköpfige Mann am anderen Ende des Tisches meint, darin seine Vergangenheit zu erkennen, und sagt ihm die Zukunft voraus. Dabei ist das eigentlich Armstrongs Rolle, er wälzt Geschichtsbücher, sammelt Daten, rechnet. Ungläubig schauen dann alle anderen, wenn er Wirtschaftscrashs bis auf den Tag genau prognostiziert.

cms-image-000045607.jpg

Von Martin Armstrong prophezeiht: Der Schwarze Montag am 19. Oktober 1987 (Foto: Filmperspektive GmbH)

Von Martin Armstrong prophezeiht: Der Schwarze Montag am 19. Oktober 1987

(Foto: Filmperspektive GmbH)

„Sie sind kurz davor, den Jackpot zu knacken“, sagt der Hellseher noch. Die Szene setzt den Tonfall für den weiteren Film. Die Dokumentation „The Forecaster“ erzählt eine David-gegen-Goliath-Geschichte: Martin Arthur Armstrong, ein anscheinend genialer Finanzanalyst ohne College-Abschluss, kämpft gegen den verschwörerischen „Club“ – so nennt Armstrong die mächtigen Wall-Street-Banker und ihre Unterstützer in der US-Regierung. Eine packende Geschichte, in Zeiten der Finanzkrise eine wichtige obendrein.

Was vor der okkulten Zusammenkunft in Bangkok geschah: Der 1949 geborene Armstrong entwickelt ein Modell, mit dem er Wendepunkte der Weltwirtschaft vorhersagt – darunter den Schwarzen Montag von 1987, den Nikkei-Crash gut zwei Jahre später, die Finanzkrise Russlands Ende der 90er-Jahre und auch die Euro-Krise seit 2009. Mit seinen äußerst präzisen Voraussagen verdient er als Unternehmensberater und Fondsmanager nicht nur viel Geld, er macht sich auch Feinde. Alle wollen an sein Modell, das vor allem auf der Zahl Pi beruht. Doch Armstrong weigert sich, gemeinsam mit dem „Club“ mittels groß angelegter Manipulation Russland über den Tisch zu ziehen, wird unter Betrugsverdacht verhaftet und landet für insgesamt zwölf Jahre im Gefängnis – die ersten knapp sieben davon sogar ohne Prozess, geschweige denn Beweise. „Die“ – korrupte Investmentbanker und Hedgefondsmanager, die US-Regierung, der IWF, auch FBI und CIA – wollten ihn wohl ruhigstellen, da ist sich Armstrong sicher.

Doch heute ist er wieder auf freiem Fuß und kurz davor, Großes zu vollbringen, genau wie vom Wahrsager prophezeit. Für Oktober 2015 hat Armstrong einen nie dagewesenen Crash prognostiziert.

cms-image-000045566.jpg

Hat leider keinen von Armstrongs Kritikern vor die Kamera bekommen: Regisseur Marcus Vetter (Foto: dpa)

Hat leider keinen von Armstrongs Kritikern vor die Kamera bekommen: Regisseur Marcus Vetter

(Foto: dpa)

Regisseur Marcus Vetter ist ein seriöser Filmemacher, mehrfacher Grimme-Preisträger gar. Und die Geschichte ist aus dem Stoff, aus dem gute Thriller gemacht werden. Leider hat sich Vetter stattdessen für eine Dokumentation entschieden, die irgendwann ein wenig zu lang und undurchsichtig wird. Auf chronologisches Erzählen wird verzichtet, und schnell kommt man nicht mehr hinterher bei den vielen Sprüngen zwischen Armstrongs Vorträgen, Interviewpassagen und Reportage-Elementen. So verdichtet sich alles zu einer Verschwörungstheorie, deren Wahrheitsgehalt für den Zuschauer schwer zu bestimmen ist. Die „interaktive“ Website zum Film präsentiert in Tumblr-Optik Zitate, Bilder und Hintergründiges zur Geschichte der Finanzmärkte und zum Fall Armstrong, ist in ihrer Fülle aber ähnlich erdrückend wie der Film selbst.

Leider fehlt auch die Gegenseite, denn Armstrongs Widersacher haben nie auf die Kontaktversuche der Filmemacher geantwortet. So sitzt der kritische Zuschauer am Ende da und fragt sich, ob das alles wahr sein kann: Dass Banken und Regierungen gemeinsame Interessen verfolgen, klar, das kann man sich gut vorstellen. Ebenso, dass letztere unliebsame Kritiker „verschwinden“ lassen. Aber mit der Hilfe von Pi Wirtschaftskrisen vorhersagen – wenn es so verlässlich ist, wieso hat der Mann keinen Nobelpreis? Und warum hat ihn nie eine Regierung um Hilfe gebeten?

Martin Armstrong reist mittlerweile um die Welt und hält Vorträge. Er will helfen, eine globale Krise abzuwenden, heißt es. Wie, das bleibt im Film offen. Ob wirklich etwas dran ist an seiner neuen Vorhersage und ob er eine Lösung hat, das wird Martin Armstrong möglicherweise im Oktober unter Beweis stellen können.