Herr Hartmann, in München und Karlsruhe freuen sich die Universitäten über Auszeichnungen der Deutschen Forschungsgesellschaft in der Exzellenzinitiative 2006. Brauchen wir Eliteunis? 

Nein, denn die Exzellenzinitiative wird dazu führen,dass wir unser homogenes und immer noch sehr leistungsfähiges Hochschulsystem aufgeben.Die Elite wären dann zehn Universitäten, dazu gäbe es rund 15 Forschungsuniversitäten. Die übrigen Universitäten würden kaum noch Forschung betreiben. Außerdem wäre es dann auch in Deutschland wichtig, wo man studiert hat, so wie es heute schon in Frankreich oder den USA der Fall ist. 

Sie lehnen die Exzellenzinitiative ab? 

Strikt.Eliteeinrichtungen werden langfristig auch mit sozialen Zulassungsbeschränkungen einhergehen.Sie werden sich zu Bürgeruniversitäten entwickeln,wo vor allem Kinder aus privilegierten Verhältnissen hervorragende Master-Studiengänge besuchen. 

Das fördert doch die Leistungen! 

Dort schon. Aber was ist mit den Studenten an den Massenunis? Dort würden die Studierenden durch schnelle Bachelor-Studiengänge geschleust, unter deutlich schlechteren Bedingungen als derzeit. 

Aber jeder hätte die Chance,durch Leistung auf eine Eliteuni zu kommen. 

Nein. In den USA oder Frankreich haben Eliteeinrichtungen eine längere Tradition. Dort zeigt sich, dass bei der Auswahl Leistung nur ein Zugangskriterium darstellt.Genauso wichtig ist auch ein bestimmtes Auftreten: Eloquenz, eine breite Allgemeinbildung,Selbstbewusstsein – Eigenschaften,die in einem bürgerlichen Elternhaus eher vermittelt werden. Ein Beispiel aus Frankreich: Ein Bewerber der bekannten Eliteschule ENA wurde gefragt, wie tief die Donau in Wien sei. Da er durch seine Erziehung die Spielregeln bei solchen Gesprächen kannte, wusste er zu kontern:Unter welcher Brücke? Ist der soziale Status höher, ist die Bereitschaft größer,ein Risiko einzugehen.Außerdem gibt es in den USA Quoten für die Kinder von Ehemaligen. Denken Sie nur an schlechte Studenten wie George W. Bush, der diesen Bonus hatte.

Gibt es in anderen Ländern Beispiele für besser zugängliche Eliten? 

Schauen Sie nach Finnland,dort wurden bei der PISA-Studie nicht umsonst die besten Ergebnisse erzielt. Die Gesellschaft dort ist von unten bis oben,von den Vorschulen bis zum Zugang zu Eliten,relativ offen.Die soziale Herkunft ist von geringerer Bedeutung. 

Woher kommt das? 

Es gibt eine lange egalitäre Tradition.Einerseits sind alle von hohen Steuern betroffen, andererseits jedoch wird dieses Geld investiert,um familiäre Defizite durch öffentliche Einrichtungen auszugleichen. Das beginnt bereits in der Vorschule.In Deutschland dagegen führt die Dreigliederung des Schulsystems zum Gegenteil. 

Weil schwache Schüler früh von guten getrennt werden? 

Nicht nur das: Es ist eine Lüge der konservativen Pädagogik, dass homogene Klassen zu mehr Leistung führen.In Wahrheit sind alle Schüler in Klassen erfolgreicher, in denen bessere und schlechtere Schüler gemeinsam lernen. Das spricht für Gesamtschulen. Und die PISA-Studie bestätigt es:In Finnland sind gemischte Klassen üblich, genau wie an der deutschen Schule, die beim PISA-Test am besten abgeschnitten hat, der Wiesbadener Helene-Lange-Schule. 

Sind Eliteeinrichtungen dann mit Demokratie überhaupt vereinbar? 

Spitzenpositionen sollten für alle offen sein, die entsprechende Leistung bringen.Tatsächlich aber werden Machtpositionen dauerhaft innerhalb von begrenzten sozialen Milieus vergeben – das zeigt sich auch in Deutschland:in der Wirtschaft,der Verwaltung oder der Justiz.Eliten bilden einen Gegensatz zur Demokratie. 

Michael Hartmann, 54, ist Professor für Soziologie an der TU Darmstadt.Einer seiner Arbeitsschwerpunkte ist die Eliteforschung. Zuletzt erschien von ihm:Elitesoziologie.Eine Einführung (2004).