An einem sonnigen Donnerstag im Januar, den ich zu weiten Teilen damit verbrachte, in einem Eisenbahnwagen von Köln nach München zu rasen, be-endete ich um 14.32 Uhr meine hundertste Auktion bei Ebay. Die E-Mail mit der Nachricht vom Ersteigern der Artikelnummer 250064438340 für 12,55 Euro plus 9 Euro Versandkosten lag abends im Postfach. Ich wusste nicht auf Anhieb, was es war, denn ich steigere bei vielen Sachen mit und vergesse sie gleich wieder. Da ich ohnehin nur wenige davon je tatsächlich zu Gesicht kriege, macht das nichts. Ich handle bei Ebay eifrig, aber nicht sehr ehrgeizig – oft gebe ich nur ein Gebot ab, werde noch während des Ausloggens überboten und lasse es dabei bewenden. Dieses Vorgehen hat mich bisher vor einem Termin beim Schuldenberater und dem Anmieten einer Lagerhalle bewahrt. Es funktioniert sehr zuverlässig, solange die 20 Millionen anderen Ebay-Nutzer in Deutschland ihr Vorgehen nicht ändern und mich weiterhin überbieten. Einmal gewann ich an einem unheilvollen Tag alle drei laufenden Auktionen. Zwei Wochen später brauchte der Paketbote einen Handwagen, um mir den Kram vor die Tür zu fahren. Ich hatte dann ihm und meinem Konto gegenüber das schlechte Gewissen des Süchtigen nach einem Anfall und gelobte etwas, das ich später wieder vergaß.

Dabei kann ich durchaus wochenlang auf das Steigern verzichten – meist dann, wenn ein ersteigertes Stück eine Enttäuschung war. Ein alter Überseekoffer etwa, der meinen Socken stilvoll Asyl geben sollte, erwies sich als unbrauchbar, weil Generationen den Innenraum dazu benutzt hatten, Wandfarbe anzurühren. Eine Sekunde nach dem Auspacken war klar: Müll. Davor stand Steigern, Warten, Mails verschicken, Überweisen, Paketboten abpassen, Kartonberge vor der Freundin verstecken – viel Aufwand für Müll. In diesen Minuten liegt alles, die unbeschreibliche Dummheit, glasklar vor mir: Altes Gerümpel zu ersteigern, von irgendwem aus irgendwo und absurde Preise per Vorkasse zu bezahlen – Menschen wurden schon wegen weniger enterbt. Genau wie das Metallsuchgerät, das ich in einem Winter ersteigerte, in dem zu viele historische Romane auf meinem Nachtkästchen lagen. Was ankam, war ein Kinderspielzeug in Neonpink, so groß wie mein Unterarm – auf der Schwarz-Weiß-Fotografie des Angebots hatte es noch wie ein Profigerät ausgesehen. Nächster Gedanke: Auf einem weniger virtuellen Flohmarkt wäre das nicht passiert.

Da sich meine Misserfolge überwiegend im Preisbereich unter 20 Euro abspielen, fehlt mir die Kraft für rechten Ärger oder gar endgültige Abkehr. Dafür ist das Stöbern viel zu spannend. Ich weiß nicht, wie früher, ohne Onlinemarkt, gebrauchte Waren verkauft wurden. Echte Flohmärkte und Secondhand-Läden waren in meiner Erinnerung viel zu wenige da und sie sind auch viel zu begrenzt in ihren Mitteln – wer nimmt schon eine komplette Bowlingbahn mit auf den Flohmarkt? Niemals benutze ich Ebay, um mir etwas Lebensnotwendiges zu ersteigern. Ich betrachte es vielmehr als riesiges Ausstattungslager und Ding-Archiv, zu dem ich netterweise Zutritt habe. Ich mag alte Sachen, und Ebay ist ein Kaufhaus der vergangenen Zeit. Wie muss man sich ein Butterfass vorstellen, das vor achtzig Jahren noch überall Alltagsgegenstand war? Ebay hat jede Menge Butterfässer. Wie sah mein Heimatdorf früher aus? Ebay hat jede Menge alter Postkarten. Ich kann, wenn mir danach ist – und mir ist ständig danach –, ein Buch ersteigern, in das mein Lieblingsschriftsteller Joseph Roth eine kleine Widmung hineingeschrieben hat, vor 78 Jahren. Einen Klick weiter wartet ein ganzer Schreibtisch aus der gleichen Zeit. Ich sehe diese Sachen, lese, was ihre Besitzer dazu schreiben, und gehe weiter, bis ich auf etwas stoße, das mir das Gefühl gibt, die Perle im Dreck gefunden zu haben, etwas, das ich unter Tausenden Artikeln ausgrub und entstaubte, ein perfektes Ding. In solchen Momenten ist Ebay der Dachboden meiner Oma und ich stehe mittendrin.

Erst nach diesem Moment gebe ich etwas in das Fenster für Gebote ein, überlege zwischen Herz und Bauchnabel eine Schnapszahl, die mein Höchstgebot ist. Ich gehe weiter, und das entdeckte Ding macht hinten im Gemüt gute Laune – das Entdecken, um genau zu sein. In den meisten Fällen, wie gesagt, bekomme ich es nicht in die Hand, weil ein anderer sich zwischen Herz und Bauchnabel höhere Zahlen ausdenken kann. Das ist egal, umso reizender finde ich es, wenn es dann doch mal wieder klappt und ich für 12,55 Euro plus Versandkosten einen selbst entdeckten Schatz nach Hause geschickt bekomme. Bei der besagten hundertsten Auktion handelte es sich übrigens um eine „Eames Sitzschale Plastik. Sehr alt. Ungemarkt“. Das ist, wenn man ungnädig ist, ein kaputtes Stück Plastik, das früher einmal zu einem Stuhl gehörte. Aber mir gefällt es.