Als Pinky vom Tod ihrer Freundin erfuhr, ging sie an den Tatort. Sie fand Lees rechten Schuh, sah das Blut an den Wänden, auf dem Boden, sah die benutzten Kondome. Kinder hatten Lees Leiche beim Spielen entdeckt, begraben unter einem Müllberg, eine Plastiktüte über dem Kopf, man hatte sie mit ihrem eigenen Schuhband erwürgt, hatte ihr mit Ziegelsteinen ins Gesicht geschlagen. Nokuthula „Lee“ Radebe war 20 Jahre alt, als sie starb. Vergewaltigt und ermordet, weil sie lesbisch war. Zwei Monate nach dem Mord steht Pinky Zulu, die Freundin, wieder am Tatort, eine Ruine im Süden Johannesburgs. Pinky ist eine Frau mit feinen Gesichtszügen und abrasierten Haaren, eine Frau, die Frauen lieber mag als Männer, 24 Jahre alt, breitbeiniger Gang, die ideale Zielscheibe.

Laut der lokalen Hilfsorganisation Luleki Sizwe melden allein in Kapstadt jede Woche zehn Lesben, dass sie vergewaltigt wurden. Mit corrective rape, „korrigierender“ Vergewaltigung, sollen lesbische Frauen von ihrer Homosexualität abgebracht werden, unter Männern in den südafrikanischen Townships ist es eine Art Mode. Immer wieder wurden Frauen ermordet, weil sie lesbisch waren, seit 1998 sind es schon mehr als 30. „Nicht mal fünf Minuten von meinem Haus entfernt wurde Lee getötet. Wie soll ich da entspannt weiterleben?“, fragt Pinky Zulu. Pinky steht in der Ruine, zwischen verrosteten Raviolidosen und einem toten Falken, unter ihren Sohlen knirschen Glasscherben. „Die Polizei kümmert sich einen Scheißdreck“, sagt Pinky. Das Opfer, Lee Radebe, war auf dem Weg von ihrer Freundin zu sich nach Hause, als sie überfallen wurde, es war drei Uhr nachts, keine Wolken, kein Mond. Nachbarn hörten Schreie, aber keiner half. Am Tag nahmen die Polizisten den toten Körper mit, den Tatort aber sperrten sie nicht ab. Als Pinky mit einer Bekannten dort hinging, fanden sie den Schuh des Opfers. Sie brachten ihn zur Polizei und galten als Hauptverdächtige. Bis heute wartet Pinky auf das Ergebnis der Obduktion, bis heute ist keiner festgenommen worden, der zuständige Beamte wechselte fünf Mal in drei Monaten. „Ich habe aufgehört zu hoffen und angefangen zu kämpfen“, sagt sie.

Wenn es um Verbrechen an Lesben geht, ermittelt die Polizei eher schlampig

Für diesen Kampf trainiert sie gemeinsam mit zwölf anderen schwarzen Frauen. Sie treffen sich im Zentrum der Stadt, in einer Gegend, in der nur Schwarze auf den Straßen sind. Die Frauen sprechen Zulu, Xhosa und Sotho, die Stammessprachen, sie schnalzen, sie knacken, sprechen wild durcheinander. Sie lachen und klatschen in die Hände, begrüßen sich, als hätten sie sich seit Jahren nicht gesehen. In einem Raum, der an ein muffiges Lehrerzimmer erinnert, kleiden sie sich ein für ihr anderes Leben: ihr Leben als Erkorene. „Chosen Few“ steht auf ihrem Rücken, „die wenigen Auserwählten“, dann laufen sie durch die Gassen Johannesburgs, vorbei an Obdachlosen, die Pappe sammeln, vorbei an Wänden, auf denen Werbung für Penisvergrößerungen klebt, vorbei an schwelenden Müllhaufen. Drei Straßenzüge weiter beginnen sie mit ihrem Training. Nieselregen, sechs Grad, ein Bolzplatz aus Beton. Drei Eigenschaften muss eine Auserwählte mitbringen, um sich für das erste lesbische Fußballteam Afrikas zu qualifizieren: Sie muss schwarz sein, sie muss lesbisch sein, sie muss Fußball lieben. Wenn man die Auserwählten fragt, was Fußball für sie bedeutet, antworten sie: „Zuhause“, „Familie“, „Hoffnung“.

In vielen Teilen Afrikas werden Schwule und Lesben geschlagen, vergewaltigt, getötet. Auf Sansibar wird Homosexualität mit bis zu 25 Jahren Gefängnis bestraft, dem Parlament in Uganda lag ein Gesetzesentwurf vor, der die Todesstrafe für gleichgeschlechtliche Liebe fordert, in Teilen Nigerias werden Schwule gesteinigt. In einem Gespräch mit dem britischen Ex-Premier Tony Blair und der englischen Tageszeitung „The Guardian“ im Frühjahr verteidigte die liberianische Präsidentin und Friedensnobelpreisträgerin Ellen Johnson Sirleaf Liberias schwulenfeindliche Gesetze. Mehr als zwei Drittel der Länder Afrikas haben Gesetze, die Homosexualität kriminalisieren. Auf dem Kontinent gilt Südafrika eigentlich als liberal: Die Verfassung verspricht Gleichberechtigung für alle, Homosexuelle dürfen Kinder adoptieren, es ist sogar eines der wenigen Länder weltweit, in denen sie heiraten dürfen, und Kapstadt ist berühmt für sein Ausgehviertel „Gaybourhood“.

Keine halbe Stunde dauert es von der liberalen Welt der Großstädte in die homophobe Welt der Townships, der Wohnsiedlungen am Stadtrand, in die die Weißen die Schwarzen während der Apartheid zwangsumsiedelten. Nirgendwo in der Welt vergewaltigen Männer mehr Frauen als hier, geschätzte 500.000 im Jahr, es ist wahrscheinlicher, dass eine Frau vergewaltigt wird, als dass sie eine weiterführende Schule beendet. Das Training der Chosen Few ist hart, die Frauen sind es von früher gewohnt, mit Männern zu trainieren. In den Fußballteams der Townships spielten sie mit ihren Nachbarn, ihren Kinderfreunden, ihren potenziellen Vergewaltigern. Oft sind es die besten Freunde der Lesben, die sie irgendwann „geradebiegen“ wollen, die sie besoffen überfallen. Aus Angst schlossen sich die Frauen 2004 zusammen, sie waren Außenseiter und ernannten sich zu Auserwählten. Ihr erstes Gebot: „Du sollst keine männlichen Freunde haben.“

In zehn Minuten wird aus einem Mädchen eine Frau, die sich für immer gelähmt fühlen wird

Heute spielen 25 Frauen im Kader. Was sie verbindet, sind ihre Probleme: dass der Mann am Kiosk ihnen keine Zigaretten verkaufen will. Dass sie auf der Straße als „Stabanis“ beschimpft werden, als Schwuchteln. Dass ihre Familien nicht mehr mit ihnen sprechen. Nach dem Training treffen sie sich in einer Art Selbsthilfegruppe und sprechen über das Leben als schwarze Lesbe. Fünf haben in der Runde von ihrer Vergewaltigung erzählt. Eine davon ist Thully, Rückennummer 15. Am 15. Mai 1997 geht Thully, damals 17, wie jeden Donnerstag nach der Schule in die Kirche. Sie singt Gospel, sie betet zu Gott, betet, dass sie sein kann wie die anderen Mädchen in ihrer Klasse, fragt ihn, warum er ihr diesen Fluch auferlegt hat, ein Mann zu sein, gefangen im Frauenkörper. Sie trägt ihre Schuluniform, blaue Hose, weißes Hemd, schlendert die Hauptstraße entlang, links von ihr die Autos, rechts meterhohes Gestrüpp. Sie hört Schritte hinter sich. 20 Cent, denkt sie heute, 20 Cent, und sie hätte mit dem Bus fahren können; sie wäre dem Mann mit der schwarzen Sturmmaske nie begegnet.

Er wird sie für immer verändern, sagt er, wird sie zu einem Menschen machen, zu einer echten Frau. Sie ist jetzt bereit, alles zu machen, was er will, alles – sie spürt die Mündung seiner Waffe unter ihrem rechten Schulterblatt, hört, wie der Schlaghammer einrastet. Er zieht sie ins Gebüsch und verwandelt sie. In ungefähr zehn Minuten macht er aus einem unsicheren Mädchen eine Frau, die sich für immer gelähmt fühlen wird. Die Chosen Few machten aus Thully, der gebrochenen Seele, eine wütende Kämpferin. Seit der Gründung spielt sie im Team. Wenn sie sich heute selbst vorstellt, 15 Jahre nach der Vergewaltigung, sagt sie: „Ich bin lesbisch und ich bin stolz.“ Erst bei den Chosen Few hat sie das Wort gelernt – lesbisch. Ein Wort, das keine Bedeutung hat in den Polizeistatistiken. Dort macht es keinen Unterschied, ob die Frau, die vergewaltigt wurde, homosexuell ist oder nicht. Lesben sollen verschwinden in den Aktenbergen der Bürokratie. Fragt man die Polizisten, wieso sie in der Anzeige nicht registrieren, dass die Vergewaltigte eine Lesbe ist, sagen sie: „A rape is a rape“, eine Vergewaltigung ist eine Vergewaltigung.

Schätzungen zufolge erstattet nur eine von neun vergewaltigten Frauen in Südafrika Anzeige, und am Ende kommt es nur bei einem halben Prozent der Fälle zu einer Verurteilung. Hilfsorganisationen sagen, dass corrective rape in den letzten Jahren zu einer Art Trendsport unter jungen südafrikanischen Männern geworden ist. Kaum eine Zeitung schreibt mehr darüber, wenn eine Lesbe zu Tode vergewaltigt wird, für die Medien ist es so unwichtig wie ein Verkehrstoter in Deutschland. Es gibt ein Loch in den Lehrbüchern, den Polizeistatistiken, den Medien. Wenn die Chosen Few nicht als Team auf dem Platz stehen, tragen sie ihren Kampf auf die Straßen der Townships. Ein Donnerstagmorgen, neun Uhr, die Frauen demonstrieren. Sie tragen T-Shirts, die mit „100% lesbian“ bedruckt sind, und „102% lesbian“. Sie demonstrieren, weil an diesem Tag vor vier Jahren ein lesbisches Paar ermordet wurde. Wenn man die Menschen am Straßenrand fragt, was sie von diesen Frauen halten, sagen sie: „Wo in der Bibel steht geschrieben, dass Frauen Frauen lieben? Die kommen aus Sodom und Gomorrha!“ „Diese Frauen muss man ändern, man muss sie korrigieren.“ „Wäre meine Tochter eine Lesbe, dann würde ich sie umbringen. Umbringen.“ Eine Familie steht vor ihrem Haus und schmeißt mit Steinen auf die Demonstrantinnen.

In den letzten Jahren konnte Pinky Zulu, die Kapitänin, dabei zusehen, wie ihre Freundinnen ausgelöscht wurden und nichts passierte. Vor sechs Jahren Zoliswa, sie war 19. Vor vier Jahren die südafrikanische Fußball-Nationalspielerin Eudy Simelane, sie war 31. Letztes Jahr weitere Tote. Es werden immer mehr. Pinky träumt davon, eines Tages im Gericht zu arbeiten, sich um die Fälle der ermordeten Lesben zu kümmern. Wenn sie könnte, sagt Pinky, würde sie gerne mal Jacob Zuma treffen, den südafrikanischen Staatspräsidenten. Er sagte, dass er als junger Mann jeden geschlagen hätte, der schwul war, und dass die Homo-Ehe eine Schande für seine Nation und vor Gott sei. Pinky würde Jacob Zuma gern fragen, was er tun würde, wenn seine Tochter lesbisch wäre.

Vor der Polizeiwache bleiben die Chosen Few für die nächsten zwei Stunden stehen, sie singen und brüllen, bis sie keine Stimmen mehr haben, sie tanzen, bis sie sich erschöpft auf den Boden fallen lassen. Zwischendurch fährt ein Streifenwagen vorbei, aus dem ein Polizist ruft: „Protestiert lieber gegen die zu hohen Strompreise!“ Nach der Demo geht Pinky Zulu mit ihrer Freundin zu einer Imbissbude, sie bestellen Burger und Cola, reden miteinander, als wären sie nur Kolleginnen. Erst als sie zu Hause sind, die Tür hinter sich schließen, nehmen sie sich an der Hand, umarmen sich, küssen sich. Ein Liebespaar können sie nur dort sein, wo sie niemand sieht.