Würde man Jurastudenten fragen, welche Kurse sie im vergangenen Semester belegt haben, Asylrecht wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit unter den letztgenannten. Denn als Jurastudent hat man in Deutschland Vorlesungen in Erbrecht, auch wenn man später einmal Staatsrechtler werden will. Oder in Baurecht, obwohl einen öffentliches Recht absolut nicht interessiert. Aber Asylrecht, das lernt kaum jemand – weil es fast nirgends auf dem Lehrplan steht: Bei den Top-10-Jura-Unis einschlägiger Rankings finden sich entsprechende Lehrveranstaltungen nur selten. Kaum zu glauben, wo die Thematik doch topaktuell ist, die neuesten Gesetzesänderungen höchst umstritten sind und der Bedarf an qualifizierten Asylrechtlern groß ist.

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cms-image-000046419.jpg (Illustration: Benedikt Rugar)
(Illustration: Benedikt Rugar)

Damit will sich Meike Riebau nicht abfinden. „Das Asylrecht findet an vielen Unis gar nicht statt“, beklagt sie, „es führt ein akademisches Schattendasein.“ Die 30-jährige Promovendin im Migrationsrecht sitzt im Vorstand der „Refugee Law Clinic“ (RLC) Berlin, die sich Anfang 2014 an der Berliner Humboldt-Universität (HU) gegründet hat. Der Verein verfolgt zwei Ziele: Er will das universitäre Lehrangebot ergänzen und selbst Rechtsberatung leisten. Nach dem Vorbild US-amerikanischer „Law Clinics“ eignen sich die Studenten in Praktika und Kursen Kenntnisse in Asyl- und Aufenthaltsrecht an. Später wollen sie dann eine kostenlose Rechtsberatung für Flüchtlinge anbieten. Das muss unter Anleitung eines sogenannten Volljuristen geschehen, sprich: eines Juristen, der das zweite Staatsexamen abgelegt hat; außerdem bedarf es der regelmäßigen Fortbildung – sonst ist es illegal. Die RLC der Justus-Liebig-Universität Gießen wurde im Wintersemester 2007/2008 gegründet und war die erste in Deutschland. Doch in Berlin ist der Bedarf wohl ungleich größer: Der Senat rechnet für 2015 offiziell mit 20.000 Flüchtlingen; intern soll die Rede von bis zu 25.000 Asylbewerbern sein.

In Berlin ist das Asylrecht kein Pflichtstoff für das Staatsexamen

Fragt man Christian Waldhoff, den Jura-Dekan der HU, warum seine Fakultät dennoch kein Asylrecht anbietet, erhält man eine pragmatische Antwort: „Wir unterrichten diejenigen Fächer, die auch Gegenstand des juristischen Staatsexamens sind. Juristische Fakultäten bekommen den Unterrichtsstoff vom Gesetzgeber vorgegeben und können ihn allenfalls in Randbereichen selbst gestalten.“ Die Vorgaben macht in Berlin das Gemeinsame Juristische Prüfungsamt (GJPA), das der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz angegliedert ist. Warum das Amt das Asylrecht nicht zum Pflichtstoff für das Staatsexamen macht? „Wir orientieren uns am Stoffkatalog des Juristenausbildungsrechts“, sagt GJPA-Präsident Martin Groß. Das sei in allen Bundesländern ähnlich. Groß erwähnt auch die „geradezu unendliche Stoffmenge“, die niemand bewältigen könne. „Wir nehmen daher nur in den Katalog auf, was einerseits praktische Bedeutung und andererseits eine besondere Eignung für das exemplarische Lernen aufweist.“ Im Studium der Rechtswissenschaft gehe es um die Vermittlung juristischer Systematik und Methodik. Wer die Grundstruktur einmal verstanden hat, kann sich in alles einarbeiten, soll das heißen.

Dekan Christian Waldhoff hält die RLC Berlin deshalb für eine gute Ergänzung des Lehrangebots. So bezahlt seine Fakultät auch die Lehraufträge von deren Dozenten. Pauline Endres de Oliveira war bislang unentgeltlich im Verein aktiv. Die Rechtsanwältin ist Mitarbeiterin der Rechtsabteilung von UNHCR und ehrenamtlich für Amnesty International tätig. Sie leitet Schulungen und hält Vorträge zum Asyl- und Migrationsrecht, so auch an der RLC Berlin. Dabei handle es sich um ein sehr komplexes Rechtsgebiet, in dem Law Clinics wichtige Aufgaben übernehmen könnten, sagt sie. Asylsuchende unterschätzten beispielsweise oft die Bedeutung der ersten Anhörung, bei der sie ihre Fluchtgründe möglichst vollständig vortragen müssen. Schließlich wird auf dieser Grundlage über ihren Asylantrag entschieden. Deshalb sei hier eine ausführliche Beratung wichtig, an der es oft mangele. Die Arbeit der RLC Berlin sei deshalb zwar nur ein Tropfen auf den heißen Stein – „aber ein sehr wichtiger Tropfen.“

Auch für fertige Anwälte ist das Asylrecht kein lukratives Rechtsgebiet

Bislang haben 30 der rund 100 Mitglieder der RLC Berlin die notwendige Ausbildung absolviert, im kommenden Jahr wollen sie ein- bis zweimal monatlich zu verschiedenen Erstaufnahmestellen in Brandenburg fahren, um Aufklärung und Beratung anzubieten. Mehr geht nicht, schließlich müssen die Helfer die Fahrtkosten selbst tragen. Sie werden sich daran gewöhnen müssen, das Asylrecht ist auch für fertige Anwälte einfach nicht lukrativ: Die Mandanten haben in der Regel kaum Geld, die staatliche Beratungshilfe ist mit einer Pauschale von 35 Euro für die Erstberatung und weiteren 85 Euro für eine Vertretung vor Gericht äußerst niedrig – daran ändern auch Auslagenpauschale und Umsatzsteuer nichts, die ebenfalls geltend gemacht werden können. Die Prozesskostenhilfe kann je nach Einkommen des Mandanten zwar bis zu 100 Prozent der Gerichts- und Anwaltskosten abdecken, wird vom Staat aber nur bei „hinreichender Aussicht auf Erfolg“ gewährt – was in diesem Rechtsgebiet nicht die Regel ist. Das ehrenamtliche Engagement für die Flüchtlinge wird dadurch umso wertvoller.