„Wir fahren in Urlaub auf die Krim! Hurra!“, verkündete ein Banner auf der traditionellen Parade am 1. Mai in Moskau. Nach einem umstrittenen Referendum im März dieses Jahres annektierte Russland de facto die Halbinsel Krim, die nach dem Völkerrecht Teil der Ukraine ist. Bereits im russischen Zarenreich und zur Zeit der Sowjetunion war die Krim ein Sehnsuchtsort und beliebtes Urlaubsziel. Der Tourismus ist ein bedeutender Wirtschaftsfaktor für die dortige Bevölkerung. 2013 reisten sechs Millionen Touristen auf die Halbinsel im Schwarzen Meer. Nach der Annexion laufen Kreuzfahrtschiffe die Krim nicht mehr an. Internationale Unternehmen wie McDonald’s haben ihre Filialen geschlossen.

Wer reist in diesem Sommer auf die Krim? Wie ist die Atmosphäre auf der Halbinsel? Darüber haben wir mit einem Journalisten gesprochen, dessen Namen wir aus Sicherheitsgründen nicht veröffentlichen. Er lebt in der Stadt Simferopol und arbeitet dort für ein Internet-Magazin. Unser Gesprächspartner wurde in der Kaukasusregion Russlands geboren. Mit seinen Eltern (der Vater arbeitete beim Militär) kam er 1997 auf die Krim. Er hat beschlossen, die Halbinsel zu verlassen, da er als Journalist für sich und für unabhängige Medien keine Perspektive sieht und weil er Angst hat, früher oder später verhaftet zu werden.

Der Tourismus ist ein bedeutender Wirtschaftsfaktor für die Krim. Wie sieht es in dieser Saison aus?

Im Juni war ich mit Freunden im Süden der Krim, in Hursuf und in Jalta. Normalerweise ist es zu dieser Jahreszeit sehr schwierig, dort überhaupt noch einen Platz am Strand zu ergattern. Aber wir fanden an jedem Strand ohne Probleme Platz mit unserer Gruppe. Außerdem haben wir ein Ferienhaus direkt am Meer gemietet, was normalerweise auch nicht möglich ist. Und das zu einem relativ guten Preis von rund 35 Euro pro Tag. Der Besitzer des Hauses erzählte uns, dass die Saison sehr schlecht laufe. Andere Leute aus der Tourismusbranche erzählten uns dasselbe. Im vergangenen Jahr waren die Sanatorien und Pensionen zu 80 Prozent ausgelastet. Im Moment sind sie es zu rund 30 Prozent. Diejenigen, die mit dem Tourismus ihr Geld verdienen, werden leiden. Auch sind im Vergleich zu den Vorjahren deutlich weniger Russen anzutreffen.

Dabei hatte der russische Präsident Putin seine Landsleute ja dazu aufgefordert, aus patriotischen Gründen Urlaub auf der Krim zu machen.

Ja. Aber das macht wohl kaum jemand. Kollegen haben mir erzählt, dass die Krimer Regierung Besuch von russischen Journalisten bekam, die sich die Strände anschauen wollten. Die Lokalregierung hat dann Busse mit Lehrern und Schülern organisiert, die sie an die südlichen Strände geschickt haben, wo sie mit Bier und Wasser versorgt wurden, um dort „die Tausenden russischen Touristen“ zu mimen, die glücklich und zufrieden auf der Krim Urlaub machen – natürlich wurde die Aktion mit öffentlichen Geldern bezahlt. Den Bericht habe ich später im russischen TV gesehen. 

Die lokalen Machthaber sprechen davon, dass Tausende Flüchtlinge aus dem Südosten der Ukraine in Hotels und Sanatorien der Krim untergebracht sein sollen.

Ich habe während meines Aufenthalts im Süden der Krim mit drei Direktoren solcher Sanatorien gesprochen, und die haben mir gesagt, dass sie zusammen rund 100 bis 150 Leute aufgenommen hätten. Man kann also sagen, dass die offizielle Statistik lügt. Tatsächlich gibt es wohl zehnmal weniger Flüchtlinge. Die Direktoren meinten, dass dies vor allem Leute seien, die Geld hätten und nicht mehr arbeiten müssten, sondern ein gutes Leben haben wollen. Deswegen seien sie auf die Krim gekommen, um die russische Staatsbürgerschaft zu beantragen. Einfacher ausgedrückt: Das sind die nächsten Separatisten.

Gibt es denn Touristen aus dem Westen?

Ausländer, das heißt Leute aus Ländern, die nicht zur Sowjetunion gehören, gibt es nur wenige. Darunter sind solche, die vielleicht in die EU emigriert sind und noch Familie auf der Krim haben. Und ein paar versprengte Touristen, die kommen, um sich „die russische Krim“ anzuschauen.

Bekommen die wenigen verbliebenen Touristen denn von der Krise irgendetwas mit?

Russische Soldaten, Militärfahrzeuge oder gepanzerte Transporter sieht man kaum noch auf den Straßen wie zu Beginn der Annexion. Es ist alles relativ ruhig. Aber gerade am Wochenende und an Feiertagen sind sehr viele russische Polizisten unterwegs. Die Gruppen der sogenannten „Selbstverteidigung“ laufen auch noch rum. Aber jetzt versuchen die Machthaber* ihnen die Waffen abzunehmen, weil sie häufig betrunken sind. Aber tatsächlich wurden diese Gruppen, die aus Ex-Häftlingen und sonstigen Individuen vom Rande der Gesellschaft bestehen, vom Parlament per Gesetz legalisiert, was bedeutet, dass sie de jure dieselbe Macht haben wie die Polizei. Man erzählt sich, dass sie in Simferopol eine Folterkammer betreiben. Aber ob das wahr ist, kann ich nicht sagen.

Das klingt nach einer insgesamt sehr angespannten Situation.

So ist es. Und nicht nur für mich als Journalist, sondern auch für Bekannte und Freunde. Viele Familien sind gespalten, weil man für oder gegen die Annexion war. Manche haben die Krim auch schon verlassen. Und was interessant ist: Es macht sich bereits eine Enttäuschung von Russland breit. Das hört man in Gesprächen auf der Straße und in Geschäften, von Leuten unterschiedlichen Alters. Man hat sich wohl eine bessere wirtschaftliche Perspektive versprochen. Zudem ist einfach vieles unklar, was Gesetze und bürokratische Abläufe angeht.

Arbeitet die russische Propaganda in den Medien denn noch mit dem Fokus auf die Krim?

Die Propaganda des Kreml arbeitet nach wie vor effektiv. Die Leute werden weiterhin eingeschüchtert mit Geschichten vom „Rechten Sektor“, eine ukrainische Organisation mit extrem nationalistischen Ansichten. Vor kurzem hat die ukrainische Regierung die Gründung einer Einheit mit dem Namen „Krim“ verkündet, die für Antiterroreinsätze im Südosten des Landes aufgestellt wurde. Auf der Krim hat die Propaganda das für sich genutzt und vermeldet, dass „Hunderte Schlächter vom Rechten Sektor aus der Westukraine in Richtung Krim fahren, um der hiesigen Bevölkerung die Köpfe abzuschneiden“.

Wie ist die wirtschaftliche Situation auf der Krim abseits der Tourismusbranche heute?

Jetzt im Sommer hat die Krim genügend eigenes Obst und Gemüse. Die Preise dafür sind im Vergleich zum vergangenen Jahr nicht wirklich gestiegen. Aber Hühner-, Rind- und Schweinefleisch kostet fast doppelt so viel. Das betrifft auch die Preise für Zigaretten, Wodka und „andere Volksprodukte“. Ich habe mit vielen Geschäftsleuten und Unternehmern gesprochen, und die sagen, dass sich die Preise für Waren verdoppeln und verdreifachen werden, wenn sie nur noch aus Russland importiert werden können – und nicht mehr aus der Ukraine.

Wie brisant ist die Lage für dich als Journalist?

Viele meiner Kollegen wurden zeitweise verhaftet. Andere Kollegen wurden vom russischen Geheimdienst FSB verhört und haben dann die Krim verlassen. 95 Prozent der Medien auf der Krim werden jetzt schon vom Kreml finanziert. Für mich ist es keine Option, für so ein gesteuertes Medium zu arbeiten. Den russischen Pass habe ich nicht beantragt – und das habe ich auch nicht vor. Ich fühle mich als Ukrainer. Für mich bleibt die Halbinsel weiterhin ukrainisch. Ich werde nach Kiew ziehen.

*Das 2010 gewählte Parlament auf der Halbinsel Krim hat die amtierende Regierung abgesetzt und im Februar 2014 den russischen Nationalisten Sergej Aksjonow als Regierungschef gewählt. Aksjonow und der Parlamentsvorsitzende Wladimir Konstantinow haben die Annexion der Krim entscheidend vorangetrieben. Die Ukraine erkennt das Parlament nicht an.

Ingo Petz arbeitet seit über 15 Jahren als freier Journalist. Er schreibt vor allem über Osteuropa, aber auch über Literatur, Segeln, Design oder Reisethemen.

Kirill Golovchenko ist ein ukrainischer Fotograf. Seine Bilder im Interview zeigen Urlaubsszenen von der Krim, als sie noch ukrainisch war.