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Farm und reich

In Südafrika besitzt die weiße Bevölkerungsminderheit zwei Drittel des privaten Landes. Die Regierung will das ausgleichen, indem sie Eigentümern ihren Boden einfach wegnimmt

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Rings um das südafrikanische Städtchen Graaff-Reinet erstreckt sich das Gestrüpp bis zum Horizont, nur unterbrochen von ein paar Hügeln und knorrigen Bäumen. Doch mitten in der kargen Karoo-Halbwüste erhebt sich das Herrenhaus einer Farm, mit weißen Säulen und gepflegtem Rasen: Auf dem Anwesen Bloemhof züchtet die Farmerfamilie Murray seit 1838 Schafe und Rinder sowie die lokale Antilopenart Springbok.

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Wer Julian Murray besucht, der Bloemhof heute in der vierten Generation leitet, könnte sich in die Kolonialzeit zurückversetzt fühlen: ein Weißer in einer feudalen Villa, ringsum endlose Weiden, auf denen dunkelhäutige Arbeiter für ihren Boss schuften. Und tatsächlich kamen viele Europäer wie die Murrays vor mehreren Hundert Jahren als Kolonialherren an die Südspitze Afrikas. Sie vertrieben die Schwarzen, die hier ursprünglich gewohnt hatten, und rissen sich Grund und Boden unter den Nagel. Heute sind die Nachfahren der ersten Murrays immer noch Großgrundbesitzer – ihre Arbeiter und Angestellten dagegen haben meist nicht mehr als ein paar Beete, auf denen sie zum Eigenbedarf Mais oder Kartoffeln anbauen.

Sind die südafrikanischen Farmer also Ausbeuter, die Schwarzen die Ausgebeuteten? Ganz so eindeutig ist die Lage nicht. Denn Julian Murray ist auch ein wichtiger Arbeitgeber in der ansonsten öden Gegend, wo viele Einwohner ohne Job sind. Der Farmer behandelt seine Arbeiter fair und lässt deren Kinder in einer eigenen Schule unterrichten. Kaum einer der Schwarzen würde die Murrays loswerden wollen.

72 Prozent der privaten Felder und Wälder gehören weißen Südafrikanern – die weniger als zehn Prozent der Bevölkerung ausmachen

Trotzdem muss sich die Farmerfamilie möglicherweise bald ein neues Zuhause suchen. Denn das südafrikanische Parlament hat gerade den Weg dafür geebnet, um den Landraub der Kolonialzeit rückgängig zu machen: Der Staat soll künftig Landbesitzer ohne Entschädigung enteignen können. Gerade wird geprüft, ob sich die Verfassung dementsprechend ändern lässt. In dem Beschluss steht zwar kein Wort über Hautfarben – doch es ist klar, dass er vor allem weiße Farmer im Visier hat. Schließlich sind nach Angaben der Regierung 72 Prozent der privaten Felder und Wälder in der Hand von weißen Südafrikanern. Und das, obwohl die Weißen weniger als zehn Prozent der Bevölkerung ausmachen. Die schwarze Mehrheit besitzt dagegen gerade mal acht Prozent des Landes.

Die krasse Ungleichheit ist eine Folge der jahrzehntelangen Apartheidspolitik Südafrikas. So betrachteten sich die Weißen als die überlegenen Herren des Landes. Um die Rassen voneinander zu trennen, teilten sie 1913 per Gesetz das gesamte Staatsgebiet auf. Schwarze bekamen dabei nur 7,3 Prozent der Fläche zugeschrieben.

Mandela und seine Partei wollten die Schwarzen für die Jahrzehnte der Rassentrennung versöhnen. Viel ist nicht passiert

Als schließlich 1994 Nelson Mandela als erster schwarzer Präsident Südafrikas sein Amt antrat, kündigte er an, eine „demokratische und freie Gesellschaft“ zu schaffen, in der alle Menschen die gleichen Chancen haben sollten. Mandela und seine Partei, der Afrikanische Nationalkongress (ANC), wollten das Unrecht aus der Kolonialzeit und der Zeit der Rassentrennung wiedergutmachen. Und dazu gehörte vor allem, dass die vertriebene schwarze Bevölkerungsmehrheit ihr Land zurückerhält. Doch allen Ankündigungen zum Trotz: Viel hat sich in den vergangenen Jahrzehnten nicht getan. Zwar erwarb die ANC-Regierung Farmen von verkaufswilligen Besitzern und übergab diese an Schwarze, deren Familien einst vertrieben worden waren. Doch weil die Bürokratie mit der Rückgabeprozedur überfordert ist, wurden bislang gerade mal zehn Prozent des Landes neu verteilt.

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Viele Schwarze sind frustriert vom schleppenden Wandel, zumal die Wirtschaft vor sich hin dümpelt. Vor allem dunkelhäutige Südafrikaner leiden unter der sehr hohen Arbeitslosigkeit. Die allgemeine Unzufriedenheit hilft der linksradikalen, populistischen Partei Economic Freedom Fighters (EFF). Deren Anführer Julius Malema, der 2012 aus dem ANC ausgeschlossen wurde, hat den Antrag auf Enteignungen ohne Entschädigungen durchs Parlament gebracht. „Die Zeit der Versöhnung ist vorbei, wir wollen Gerechtigkeit“, tönte Malema hinterher triumphierend. „Die Weißen sollen froh sein, dass wir nicht zum Völkermord aufrufen.“

„Enteignungen ohne Ausgleichszahlungen sind nicht mehr als staatlich organisierter Raub“, kritisiert Mmusi Maimane, Anführer der Oppositionspartei Democratic Alliance, „und der ist schädlich für Wirtschaftswachstum und Entwicklung.“ Der Präsident des Landwirtschaftsverbands Agri SA, Dan Kriek, gab zu bedenken, dass der „Landraub“ auch südafrikanische Banken in den Abgrund reißen könnte. Schließlich hätten viele von ihnen Kredite an Bauern vergeben – die diese aber ohne die Einkommen aus ihren Farmen nie zurückzahlen werden. Die Folge wäre eine Abwärtsspirale für die gesamte Wirtschaft.

Manche Kritiker warnen auch vor einem Schreckensszenario wie im nördlichen Nachbarland Simbabwe. Dort hatten während der Kolonialzeit Weiße ebenfalls einen Großteil des Farmlands an sich gerissen. Allerdings galt das Land mit seinen fruchtbaren Böden bald auch als „Kornkammer Afrikas“ und exportierte Lebensmittel, die Wirtschaft boomte. Doch zur Jahrtausendwende ließ Diktator Robert Mugabe Tausende weiße Farmer vertreiben und manche sogar lynchen, um seine Beliebtheit bei der schwarzen Bevölkerungsmehrheit zu steigern. Daraufhin brach in einer Kettenreaktion fast die gesamte simbabwische Wirtschaft zusammen.

Die Apartheid sorgte für eine urbane schwarze Arbeiterschaft. Die lieber in der Stadt arbeitet als auf den teils kargen Böden des Landes

Viele der Farmen, die die südafrikanische ANC-Regierung weißen Bauern bereits vor einigen Jahren gegen eine Entschädigung abgekauft und an Schwarze vergeben hatte, verfallen heute. Deren neue Besitzer verkauften die Maschinen, zogen in die Stadt und überließen das Land sich selbst. Andere waren mit der Bewirtschaftung überfordert, schließlich hat die Apartheid auch dafür gesorgt, dass vor allem eine urbane schwarze Arbeiterschaft entstand. Viele Menschen wollen lieber einen Job in der Stadt, als mühsam auf den teils kargen Böden des Landes Obst und Gemüse zu ziehen. Nach Schätzungen liegen mehrere Millionen Hektar südafrikanisches Ackerland brach. Trotzdem will der neue südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa die Landreform nun ernsthaft angehen. „Wir sollten das Ganze nicht so verstehen, dass wir Leuten Land wegnehmen“, erklärte er. „Wir geben es lediglich an seine ursprünglichen Eigentümer zurück.“

Allerdings sollen bei Enteignungen keine intakten Farmen zerstört, die Ernährungssicherheit nicht gefährdet und insgesamt das Wirtschaftswachstum nicht gestört werden. Eine hohe Hürde – und vielleicht die Rettung für viele weiße Farmer. Aber Ramaphosa weiß auch, dass er das Unrecht endlich ausgleichen muss. „Wenn wir das nicht angehen“, warnte er, „wird dieses Problem, das unsere Nation schon seit Jahrhunderten belastet, in unseren Händen explodieren.“

Titelbild: WIKUS DE WET/AFP/Getty Images

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