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Betreiber haften für ihre User

Wikipedia schaltete sich für 24 Stunden aus Protest ab, europaweit demonstrieren Menschen: Warum das geplante EU-Urheberrecht so umstritten ist

EU Uploadfilter (GIF: Raúl Soria)

EU-Urheberrechtsreform – der Begriff müffelt nach Amtsstuben in Brüssel. Doch dahinter stehen geplante Gesetzesänderungen, die konkrete Auswirkungen auf unser Internet in Europa haben könnten. Seit einigen Wochen gehen deshalb vor allem junge Menschen auf die Straße. Unter Hashtags wie #saveyourinternet und #axelsurft formiert sich Netz-Protest; auch Wikipedia macht mit und ließ am Donnerstag die 30 Millionen Anfragen ins Leere laufen. Wir haben das Wichtigste zu Uploadfiltern, Artikel 13 und Co. zusammengefasst:

Urheberrechtsreform – brauchen wir das überhaupt?

Na ja, irgendwie schon. Das jetzige Urheberrecht der Europäischen Union datiert nämlich aus dem Jahr 2001. Damals gab es noch kein Youtube, kein Facebook, keine Smartphones, keine Apps. Die Reform soll die technischen und kulturellen Entwicklungen der vergangenen 20 Jahre aufgreifen und gleichzeitig die rechtliche Situation in den Mitgliedstaaten angleichen. Mitte Februar einigten sich die EU-Politiker*innen auf den Entwurf, der nun zur Abstimmung freigegeben ist. Die Reform wäre dann eine sogenannte „EU-Richtlinie“, sie muss also erst noch von den Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt werden, was noch einige Monate bis Jahre dauern kann.

Warum reden alle über Artikel 13?

Artikel 13 ist einer der umstrittensten Punkte der Reform. Darin geht es um die Haftbarkeit von Plattformbetreibern, also darum, was Dienste wie Youtube, Facebook, aber auch kommerzielle Onlineforen tun müssen, wenn ihre Nutzerinnen und Nutzer Urheberrechtsverletzungen begehen, wenn sie etwa Videos, Fotos oder Dokumente unrechtmäßig hochladen. Bislang mussten die Plattformen erst dann reagieren, wenn sie auf eine Urheberrechtsverletzung hingewiesen wurden. Dann wurde der Inhalt gelöscht, vielleicht noch ein Account gesperrt, und die Sache war in der Regel erledigt.

Und was soll sich daran ändern?

Die Reform möchte die Betreiber dazu verpflichten, „bestmögliche Anstrengungen“ zu unternehmen, um Urheberrechtsverletzungen zu verhindern. Das heißt zum Beispiel: möglichst im Vorfeld die Erlaubnis, also eine Lizenz, von den Rechteinhaber*innen einzuholen, die besagt, dass die Nutzer*innen Inhalte von Dritten hochladen und verwenden dürfen – und gegebenenfalls dafür bezahlen. Eine Fotoplattform müsste deine Bilder schon beim Hochladen dahin gehend prüfen, ob du sie nicht geklaut oder von irgendwo kopiert hast. In der Debatte gehen viele davon aus, dass das in der Praxis nur durch eine entsprechende Software geht, sogenannte „Uploadfilter“. Im Text der Reform werden die aber nicht explizit erwähnt.

Weshalb die Aufregung?

Onlinedienste müssten womöglich eine riesige Anzahl an Lizenzen kaufen. Also für „alle Inhalte der Welt, die unter das Urheberrecht fallen. Eine unmögliche Aufgabe“, schreiben Kritiker*innen wie die EU-Abgeordnete Julia Reda. Uploadfilter gelten als fehleranfällig und könnten eine Kontroll- und Zensur-Infrastruktur schaffen. Im Zweifelsfall, so die Befürchtung, würden Plattformen eher Inhalte blockieren, als hohe Geldstrafen zu riskieren.

Stell dir einen großen Club vor, in den alle reinwollen. Der Club würde für alles, was in ihm geschieht, verantwortlich gemacht – auch für Streit, Konflikte und Illegales. Die Betreiber würden wohl sicherheitshalber für die strengste Türpolitik sorgen und viele Gäste an der Tür abweisen.

Befürworter der Reform, wie einige Verbände, betonen hingegen, die Rechteinhaber könnten so besser das Geld bekommen, das ihnen zusteht.

Warum befürchten die Kritiker, dass Artikel 13 das freie Internet bedroht?

Unter den Produzenten in der deutschen Youtube-Szene ist die Aufregung besonders groß. „Ich fürchte, das nutzergenerierte Internet, wie wir es jetzt kennen, ist nach dieser Reform nicht mehr möglich“, sagte der Youtuber HerrNewstime in einem Interview. Die Auflagen der Reform könnten so restriktiv sein, dass Remixe, Mash-ups, Satire und Memes, die ja häufig auf urheberrechtlich geschütztem Material basieren, von den Plattformen herausgefiltert werden und somit aus dem Internet verschwinden.

Kritik kommt auch aus Teilen der Wirtschaft: „Eine Zensur aller Aktivitäten im Internet durch Algorithmen, die gegebenenfalls nicht zwischen Urheberrechtsverstößen und legaler Nutzung unterscheiden können, kann nicht die Antwort sein“, sagte Oliver Grün vom Bundesverband IT-Mittelstand e.V. Zudem könnte die Reform Innovationen bremsen. Denn auch wenn Dienste ausgenommen sind, die jünger als drei Jahre sind und weniger als zehn Millionen Euro Jahresumsatz erzielen, werden es kleine und neue Angebote schwerer haben, die Regeln zu befolgen, als etwa Firmen wie Google oder Facebook. Anders gesagt: Wer sich die besten Türsteher der Stadt nicht leisten kann, hat ein Problem. 

Im Umkehrschluss heißt das aber: Wenn nur die großen Anbieter wie Facebook, Google & Co. das Geld für die Technik haben, um in Zukunft vor dem Gesetz abgesichert zu sein, kommt es durch die Uploadfilter zu einer weiteren Konzentration des Internets durch die großen Anbieter, und das wird nicht nur mit Blick auf den Datenschutz kritisiert.

Was sind die Argumente der Befürworter?

Befürworter wie der EU-Abgeordnete Axel Voss (CDU), der die Reform maßgeblich mitgestaltet hat, verweisen auf die Vorteile für Musiker, Filmemacher, Fotografen und Medien. Alle Urheber würden durch die Reform besser vor einer nicht autorisierten Nutzung ihrer Werke geschützt. Außerdem profitierten Verwertungsgesellschaften wie die GEMA, weil sie die Werke ihrer Mitglieder weiter lizenzieren können.

Die Kritik sei übertrieben, „ein irreführender Kampfbegriff“. Die grüne Europaabgeordnete Helga Trüpel, stellvertretende Vorsitzende des Kultur- und Bildungsausschusses, argumentiert, dass im Kompromiss genug Ausnahmen für kleinere Foren, neue Dienste und gemeinnützige Plattformen wie Wikipedia verankert seien. Gegen den Vorwurf der Zensur spreche, dass es gar keine Pflicht für Uploadfilter im Gesetz gebe. Und sollten doch einmal Inhalte wie Parodien zu Unrecht blockiert werden, so könnten nach Ansicht des Verbands unabhängiger Musikfirmen (VUT) die Uploader immer noch Einspruch einlegen. Überhaupt bedrohe Artikel 13 nicht die Meinungs- und Kunstfreiheit: Denn die Verbreitung einer urheberrechtlich geschützten Datei sei ohnehin keine Meinungsäußerung. Und Frank Überall vom Deutschen Journalisten-Verband moniert, dass die Kritiker sich so in die Uploadfilter verbeißen und die Alternativen außer Betracht lassen. „Dabei ist die Lösung ganz einfach: Verwertungsgesellschaften wie GEMA, VG Wort oder VG Bild-Kunst vergeben entsprechende Lizenzen.“

Was ist mit dem sogenannten „Leistungsschutzgesetz“ (Artikel 11)?

Viel Kritik gibt es auch an Artikel 11. Auch er soll verhindern, dass Inhalte ohne Zustimmung der Urheber verbreitet werden. Das aktuelle Leistungsschutzrecht für Presseverlage gilt in Deutschland seit 2013. Die Verlage haben dadurch das ausschließliche Recht an der Veröffentlichung von journalistischen Beiträgen – mit Ausnahme von einzelnen Wörtern oder kleinsten Textausschnitten.

Durch die Reform sollen Suchmaschinen darin eingeschränkt werden, ausführlich aus Presseartikeln in ihrer News-Aufbereitung zu zitieren. Das kann sie zukünftig viel Geld kosten, das sie dann den Verlagen zahlen müssen. Aber auch eine Linkvorschau von Artikeln, die du teilst, könnte ganz schnell im rechtlichen Graubereich landen.

Das aktuelle Leistungsschutzgesetz hat sich laut Kritiker*innen bislang als nahezu wirkungslos erwiesen. Denn viele Verlage erlaubten den Suchmaschinen trotzdem die kostenlose Nutzung von Textausschnitten – aus Sorge um ihre Reichweite, wenn ihre Artikel nicht mehr bei Google & Co. auftauchen. Daran werde auch das neue EU-Leistungsschutzgesetz wenig ändern.

Du willst es genauer wissen? Hier geht’s weiter zu bpb.de

GIF: Raúl Soria

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.