Als am 9. Juli 2013 in Berlin-Hellersdorf Menschen mit Behördenvertretern über die geplante Eröffnung einer Aufnahmeeinrichtung für syrische Geflüchtete diskutieren, will auch der damalige Berliner NPD-Landeschef Sebastian Schmidtke sprechen. Doch ein Veranstalter verweigert ihm das Mikrofon. Stattdessen tritt eine zierliche kleine Frau mit braunem Kurzhaarschnitt und Tattoos an den Armen nach vorne. Sie hetzt ganz offen gegen Ausländer und Asylbewerber. Trotzdem lässt man sie gewähren. Dabei ist Maria Fank, die Lebensgefährtin von Schmidtke, keine Unbekannte: Zum damaligen Zeitpunkt ist sie Berliner Landeschefin des „Rings Nationaler Frauen“ (RNF), eines Interessenverbandes für rechtsextreme Frauen. Bis heute ist sie in der NPD aktiv. Werden menschenverachtende Inhalte als weniger gefährlich eingestuft, wenn sie von Frauen kommen?
Dass die rechtsextreme Szene eher als „männliche Domäne“ gilt, ist, zumindest statistisch gesehen, nicht ganz falsch: Nur geschätzt 10 bis 30 Prozent der organisierten Mitglieder der Szene sind weiblich. Sowohl bei Neonazi-Aufmärschen als auch bei der politischen Rechten dominieren Männer das Bild. Beobachtet man die Szene genauer, fällt jedoch auf, dass seit einigen Jahren vermehrt Frauen vorne mitmarschieren, Flaggen schwenken, Reden schwingen und politisch den Ton angeben. Trotzdem gelten sie selten als bedrohlich. Ein Grund für diese Verharmlosung: Frauen werden bereits im gesamtgesellschaftlichen Diskurs als eher unpolitisch, passiv und friedliebend dargestellt.
Eine liebevolle Mutter kann doch kein Nazi sein! Oder?
Im Rechtsextremismus wird dieses Narrativ noch verstärkt; man spricht von einer „doppelten Unsichtbarkeit“: Eine vermeintlich politisch nicht interessierte nette Frau, engagierte Mutter oder sympathische Nachbarin wird nicht mit menschenfeindlichen Meinungen und potenziell gewalttätigen Handlungen in Zusammenhang gebracht. Und wenn eine solche Frau bei einem Neonazi-Aufmarsch mitläuft oder Politik für die NPD macht, kann das Ganze ja nicht so schlimm sein – oder?
Diese Verbindung zu ziehen ist gefährlich, findet die Rechtsextremismus-Expertin Esther Lehnert: „Indem im rechtsextremen Narrativ das Bild einer unpolitischen Frau reproduziert und bewusst gestärkt wird, wird die rechtsextreme Ideologie normalisiert.“ Das käme rechtsextremen Frauen zugute, weil sie als harmlos wahrgenommen würden. Doch das sind sie nicht. Diese Erfahrung hat auch Heidi Benneckenstein gemacht. Die heute 28-Jährige wuchs unter Neonazis auf, war jahrelang fester Teil der Szene. Bis sie mit 19 den Ausstieg schaffte. „Es sind die Unsichtbaren, die gefährlich sind“, schreibt sie in ihrem Buch „Ein deutsches Mädchen – Mein Leben in einer Neonazi-Familie“.
Die Positionen, die Frauen innerhalb der Szene einnehmen, sind vielfältig. Das war nicht immer so: Während sie früher hauptsächlich in der Rolle als Mutter und Hausfrau Legitimation erfuhren, treten sie heute auch als politische Aktivistinnen auf. Sie sind fest in die Szene integriert, formieren sich in Frauenorganisationen wie dem „Ring Nationaler Frauen“ oder der „Gemeinschaft deutscher Frauen“. Geschätzt zehn Prozent der Gewalttaten im rechten Spektrum gehen von Frauen aus. Auch rechtsextreme Frauen seien fasziniert von Gewalt – ob sie sie nun selbst ausüben oder nur zuschauen, sagt Sozialpädagogin Petra Franetzki, die seit vielen Jahren auch Frauen berät, die aus der Szene aussteigen wollen. So gab es in der Vergangenheit schon mehrfach Frauen in den Reihen militanter Neonazi-Gruppen, wie zum Beispiel bei der „Wehrsportgruppe Hoffmann“. Bei der „Kameradschaft Süd“, die einen Sprengstoffanschlag auf ein jüdisches Zentrum in München geplant hatte, wurden gegen drei beteiligte junge Frauen Bewährungsstrafen verhängt. Das Gericht stellte fest, dass sie nur Mitläuferinnen gewesen seien. Esther Lehnert glaubt hingegen, dass hinter solchen Urteilen sexistische Motive stecken: „Frauen werden oft als sexuelles Anhängsel des Mannes abgetan. Dabei machen sie bei solchen Aktionen gerne und freiwillig mit.“
In der Szene werden junge Frauen als Sexobjekte angesehen und wie Trophäen herumgereicht
Einige dieser Frauen nehmen bedeutende politische Machtpositionen ein: Da ist zum Beispiel Ricarda Riefling, die sich als familienpolitische Sprecherin im Bundesvorstand der NPD für eine völkisch-nationalistische Familienpolitik einsetzt. Oder Gitta Schüßler, die von 2004 bis 2014 für die NPD im sächsischen Landtag saß. Unter anderen die sogenannte „Neue Rechte“, wie die „Identitäre Bewegung“ (IB), die vom Verfassungsschutz beobachtet wird, setzt auf Frauen an vorderster Front. Die IB inszeniert sich als hippe Jugendbewegung, bei Demos stehen Frauen in erster Reihe. Eine von ihnen ist Paula Winterfeldt, die auf Twitter und Instagram einige Tausend Follower*innen hat. Dieser Eventcharakter könne laut Franetzki ein Grund dafür sein, dass manche Frauen – und Männer – mit der rechtsextremen Szene in Kontakt kommen. Aber auch Liebesbeziehungen könnten die Szene schon im Teenager-Alter attraktiv machen, sagt Petra Franetzki.
In der Szene würden viele junge Frauen als Sexobjekte angesehen und wie Trophäen herumgereicht, beschreibt Heidi Benneckenstein. Dass sich Frauen trotzdem rechtsextremen Gruppierungen anschließen, erklärt sich Esther Lehnert so: „Frauen engagieren sich nicht wegen des Frauenbildes, sondern trotz: Der Rassismus ist wichtiger als alles andere“. Die vermeintliche Höherwertigkeit gegenüber anderen Menschen, beispielsweise migrantischen Frauen oder Männern, ist für die Frauen bedeutender als der Sexismus. Für Esther Lehnert ist der seit 1990 steigende Frauenanteil in der rechtsextremen Szene ein Zeichen dafür, dass diese erstarkt. Denn eine rechtsextreme Frau, die in der Politik präsent ist, zieht wiederum weitere Frauen an. Das spiegelt sich auch bei Wahlen wider: Rund ein Drittel der Stimmen für rechtsextreme Parteien kommt von Frauen. Was rechte Einstellungen angeht, liegt die Quote sogar bei 50 Prozent – in der menschenfeindlichen, rassistischen und antisemitischen Gesinnung stehen Frauen Männern also um nichts nach.
Die rechtsextremen Frauen sollen vor allem eines: das „weiße Volk“ erhalten
Zwar können Frauen innerhalb der rechtsextremen Szene heute Lokalpolitikerinnen, Liedermacherinnen oder Straßenkämpferinnen sein. Vorwiegend erwartet wird von ihnen aber weiterhin: als „völkische Mutter“ das „weiße Volk“ zu erhalten. „Sie übernehmen Rollen, die sie auch sonst häufig im sozialen Leben übernehmen: netzwerken, das soziale Miteinander stärken, Care-Arbeit“, sagt Esther Lehnert. Dazu gehört, dass sich viele gezielt im sozialen Bereich einbringen: Sie arbeiten als Erzieherinnen, Sozialarbeiterinnen oder engagieren sich in Elternbeiräten in Kitas oder Schulen. Damit nehmen sie auch Einfluss auf die Erziehung von Kindern, die nicht ihre eigenen sind. „Das kann eine bewusste Strategie sein, die nette Erzieherin oder die nette Sozialarbeiterin zu etablieren, um so rechtsextremes Gedankengut zu normalisieren“, gibt Lehnert zu bedenken. Heidi Benneckenstein bestätigt das: „Sie geben sich bürgernah, unterwandern die demokratische Alltagskultur und punkten mit weichen Themen wie der Zukunft unserer Kinder oder einem besseren Schulsystem, hinter denen sich oft ein nationalsozialistisches Weltbild versteckt.“ Solche Frauen dienten der Szene als Bindeglied zur „bürgerlichen“ Welt.
Auch Beate Zschäpe, Mitglied im „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU), der zwischen 2000 und 2007 zehn Menschen ermordete, wurde lange als „die nette Frau von nebenan“ wahrgenommen. Im Verlauf der Ermittlungen wurde sie auch von ihrer Verteidigung oft als „Opfer“ patriarchaler Verhältnisse ihrer beiden Mittäter Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt dargestellt. In ihrer Rolle als vermeintlich unpolitische Frau hielt sie lange Zeit die Tarnung des NSU aufrecht – und trug maßgeblich dazu bei, dass die Gefahr von rechts so lange unterschätzt wurde.
Titelbild: Arnold Morascher/laif - Stefan Boness/VISUM