Der Film „Gattaca“ zeigt eine nahe Zukunft, in der nur solche Menschen einen Platz in der Gesellschaft finden, die mit gentechnischen Mitteln erzeugt wurden. Als „Invalide“ gelten natürlich gezeugte Menschen, weil sie möglicherweise von Vater und Mutter die Veranlagung für Krankheiten geerbt haben. Verantwortliche Eltern sind nur solche, die auf die Weitergabe ihrer kranken Gene verzichten. Es ist ein alter Traum, der hier in einem Albtraum endet.

Seit Menschen denken können, denken sie über Umfang und Bedingungen der Vererbung nach. Schon auf dem Olymp gehen übermenschliche Fähigkeiten der göttlichen Eltern auf deren Kinder über.

Was habe ich von meinen Eltern, meinen Großeltern? Was wird überhaupt vererbt? Die blauen Augen von der Mutter, klar, und die Muskeln vom Vater, wahrscheinlich. Dass Merkmale wie Augenfarbe, Statur oder die Beschaffenheit der Haare vererbt werden, erfahren junge Eltern oft schon in den ersten Wochen nach einer Entbindung: „Wie süß! Ganz die Mutter!“

Dabei wurde die Ahnung, dass körperliche oder seelische Merkmale durchaus vorbestimmt sein könnten, erst ab 1865 zur Gewissheit. Damals machte der Pater Johann Gregor Mendel die Ergebnisse seiner Kreuzungsexperimente mit rund 28.000 Erbsenpflanzen publik. Sechs Jahre nach der Veröffentlichung von Darwins Evolutionstheorie wies Mendel nach, dass unsichtbare „stoffliche Einheiten“ von einer Generation an die nächste weitergegeben werden.

Bis heute gewinnt man immer präzisere Erkenntnisse darüber, welchen Einfluss die Gene und ihre Vererbung auf einen Organismus haben. Und bis heute gibt es im öffentlichen Diskurs eine große Bereitschaft, diese Ergebnisse frei zu interpretieren – bis hin zu dem Glauben, dass der Schlüssel zu ganzen Biografien in der Desoxyribonukleinsäure zu finden sein muss.

Schließlich ist eine ganze Reihe von Erbkrankheiten oder vererbten Dispositionen für bestimmte Leiden zweifelsfrei nachgewiesen und bestens erforscht – von der Bluterkrankheit über die Mukoviszidose bis zu Chorea Huntington (siehe im Heft S. 12). Auch Verhaltensweisen lassen sich möglicherweise auf ein einziges Gen zurückführen. DRD4 beispielsweise enthält die „Bauanleitung“ für jene Rezeptoren im Gehirn, die den motivierenden Botenstoff Dopamin aufnehmen. Menschen mit einer mutierten Variante dieses Gens neigen zu erhöhter Risikofreude – weil sie nicht mehr so stark auf Dopamin reagieren und entsprechend stärkere Reize brauchen.

Elterliche Gene als Programm, das unvermeidlich ablaufen muss? Als erschreckendes Beispiel dafür gilt der Fall des 2010 hingerichteten Doppelmörders Jeffrey Landrigan. Er erfuhr erst in der Todeszelle, dass sein leiblicher Vater ebenfalls ein Mörder und sein Großvater ein Schwerverbrecher war, sogar sein Urgroßvater war ein notorischer Schwarzhändler – er selbst aber wurde noch als Kleinkind von in jeder Hinsicht vorbildlichen und sorgenden Eltern adoptiert. Vor seiner eigenen Hinrichtung erklärte Landrigans Vater: „Ich glaube, mein Sohn wurde zu dem, was ich war, als ich ihn zeugte.“

Groß ist der Eifer ehrgeiziger Forscher bei der Suche nach dem Gen, das Menschen zu „natural born killers“ macht. So ist beispielsweise seit 1991 ein Gen namens FMR1 isoliert und beschrieben, dessen Mutation zu geistigen Beeinträchtigungen vor allem bei männlichen Betroffenen führen kann. Das entsprechende Krankheitsbild wird von Fachleuten als „Fragiles X-Syndrom“ bezeichnet – die Medien machten daraus kurzerhand das „Verbrecher-“ oder „Kriminalitäts-Gen“. Gerade so, als wäre die biochemische Wurzel allen Übels entdeckt worden.

Forscher der Hebrew University in Jerusalem wollen das Gen gefunden haben, das für Großzügigkeit zuständig ist. Nachdem sie die Freigiebigkeit von Probanden ermittelt hatten, wurde bei anschließenden Gentests eine bestimmte Variante von AVPR1a entdeckt – das eine Rolle dabei spielt, ob ein Stoff namens Vasopressin im Gehirn aktiv wird. In Experimenten mit Mäusen wurde dieses Hormon mit der auch für die Evolution einer Spezies wichtigen Fähigkeit, soziale Bindungen einzugehen, in Verbindung gebracht.

Solche Überlegungen setzen allerdings voraus, dass es so etwas wie das „Böse“ und das „Gute“ gibt – und dass beide, der Verbrecher wie der Heilige, unmöglich für ein Handeln verantwortlich sein können, das in ihren Genen und damit außerhalb ihrer persönlichen Verantwortung liegt.

Ein spezielles Rätsel ist die Homosexualität – schon deshalb, weil schwule Männer oder lesbische Frauen mit ihren Partnern keine Kinder zeugen, ein entsprechendes Schwulenoder Lesben-Gen also seine eigene Verbreitung zumindest bremsen würde. Dennoch gibt es in allen Kulturen der Welt eine stabile „homosexuelle Population“.

Nach aktuellem Stand der Forschung hängt die sexuelle Orientierung eines Menschen unter anderem von mehreren Genen auf einem als Xq28 bezeichneten Abschnitt der DNA ab. Gewisse Marker im Erbgut sollen dafür sorgen, dass männliche Föten genug Testosteron produzieren, um sich zu männlichen Körpern zu entwickeln. Diese Marker sind im Normalfall nicht mehr vorhanden, sobald der Körper seine Geschlechtsreife erlangt hat. Sind sie es aber entgegen der Regel doch, haben Eltern ihre Marker an ihre Kinder übertragen. Angeblich werden diese Kinder häufiger homosexuell.

Zwar wird allgemein angenommen, dass Homosexualität auch genetische Wurzeln hat. Ein einzelnes Gen konnte dafür aber noch nicht lokalisiert werden. Zumal etwas so Komplexes wie die Sexualität auch von einem ganzen Bündel anderer Faktoren bestimmt wird – von hormonellen Einflüssen während der Schwangerschaft über kulturelle Prägungen bis zu biografischen Ereignissen. Die Vertreter der Queer-Theorie verorten die sexuelle Prägung ausschließlich im sozialen und kulturellen Umfeld und lehnen jede biologische Erklärung ab.

Es mag erwiesen sein, was jede Selbstbetrachtung nahelegt – dass wir dieses oder jenes Merkmal, gut oder schlecht, „vom Vater“ oder „von der Mutter“ übernommen haben und weitertragen. Trotzdem können wir uns nicht selbst von der Verantwortung entbinden, welche Veranlagung wir zur Ausprägung kommen lassen. Arrangement mit dem Gegebenen und der freie Wille tanzen umeinander wie die Doppelhelix unserer DNA.