Als die Comiczeichnerin Alison Bechdel den nach ihr benannten und mittlerweile berühmten Test 1985 erfand, da wollte sie auf eines aufmerksam machen: wie stereotyp viele Frauenrollen in Filmen sind. Der Witz an ihrem Test liegt darin, dass die Fragen so furchtbar einfach sind: Gibt es mindestens zwei Frauenrollen? Sprechen sie miteinander? Unterhalten sie sich über etwas anderes als einen Mann? Können die drei Fragen mit Ja beantwortet werden, gilt der Test als bestanden, weil eigenständige Frauenfiguren vorkommen. Erstaunlicherweise scheitern trotzdem viele Filme daran – und längst nicht nur im Popcorn-Kino. Bei der Berlinale 2014 etwa haben von 20 Wettbewerbsfilmen nur drei den Test bestanden.

Der Bechdel-Test hat aber auch einen weit weniger bekannten Bruder, den MacGyver-Test. Der untersucht Männerrollen auf Geschlechterklischees. Und zwar mit diesen Fragen:

1. Wird ein Mann als kompetenter Vater dargestellt – unabhängig davon, ob die Mutter abwesend ist oder nicht?

2. Gibt es einen ehrlichen, hart arbeitenden Mann in einer erfolgreichen oder gar leitenden Position, und wird er nicht als unglücklicher Loser dargestellt?

3. Zeigt die weibliche Protagonistin Interesse am männlichen Protagonisten, bevor dieser zum Helden wird?

4. Löst der männliche Protagonist Probleme kreativ und benutzt Gewalt nur als letzten Ausweg?

Bestanden ist der Test, wenn zumindest eine der Fragen positiv beantwortet werden kann. Auch hier zeigt sich: Es ist längst keine Selbstverständlichkeit, dass Männer, die sicher nicht unterrepräsentiert sind auf der großen Leinwand, diesen inhaltlichen Kriterien für ein moderneres Männerbild entsprechen.

Aber gilt das auch für Serien, die ja oft für ihre komplexen Rollen, besonders für Frauen, gelobt werden? Schließlich haben sie viel mehr Zeit, um die Charaktere zu entwickeln. Wir haben uns mal drei aktuelle feministische Serien angeschaut – und die Männerrollen mit dem MacGyver-Test untersucht.

„Glow“

Die Netflix-Serie erzählt vom Frauenwrestling in den 80er-Jahren. Okay, das klingt nicht unbedingt nach Feminismus. Aber die Macherinnen haben schon mit der Frauenknast-Serie „Orange Is The New Black“ einen Netflix-Hit hingelegt, in dem (fast) nur Frauen vorkommen, die dann auch noch jeden Diversity-Test bestehen würden.

Im Zentrum der Handlung steht die abgebrannte Schauspielerin Ruth, die versucht, eine Rolle in einer geplanten Frauenwrestling-Fernsehshow zu bekommen. Doch dafür muss sie erst mal den schmierigen Regisseur Sam von sich überzeugen, der das Format entwickeln will. In „Glow“ geht es um Geschlechterrollen im Showbusiness, um Stereotype und um Frauen, die traditionell männliche Berufsfelder erobern – mit Bodyslams und Armbreakers.

„Glow“ im MacGyver-Test:

1. Es gibt zwei Väter in der Serie. Der eine, Mark, betrügt seine Frau Debbie, mit der er gerade ein Kind bekommen hat, mit ihrer besten Freundin Ruth. Der andere Vater ist, wie sich am Ende der ersten Staffel herausstellt, Regisseur Sam, ein Zyniker, der mit seinem koksbepuderten Porno-Schnauzer das Ensemble mit ungeniertem Sexismus leitet. Auch er entpuppt sich – da braucht man keine Spoiler-Warnung – nicht unbedingt als Traumvater. Klares Nein.

2. Sam ist ein gescheiterter Regisseur, Bash, der Produzent der Serie, von Beruf Sohn, was Mark so beruflich macht, das erfährt man nicht. Ebenfalls nein.

3. Na ja, Helden gibt es wirklich keine in „Glow“, nur Heldinnen und einen Antihelden, Sam, den man als genialen Verlierer durchgehen lassen kann. Der fängt schnell eine Affäre an, aber die Engländerin Rhona alias Britannica (Rolle im Ring: „the smartest woman of the world“, sie hat immer einen Band der „Encyclopædia Britannica“ dabei) ist eine Nebendarstellerin. Tendenz also: nein.

4. Gewalt gibt es nicht in „Glow“ – mal abgesehen von den vielen Fußtritten, Schulterwürfen und Würgegriffen, durch die sich die Wrestlerinnen mit fliegenden Föhnfrisuren und in Leopardenbodys traktieren. Konflikte hingegen gibt es zuhauf. Als das Geld ausgeht, weiß Produzent Bash, ein Popper mit hochgekrempelten Sportsakkos, das Problem kreativ zu lösen. Mit der Truppe stürmen sie die Charity-Veranstaltung seiner schwerreichen Mutter und geben sich als ehemalige Cracksüchtige aus. Gibt ein: Ja.

Fazit: knapp bestanden

(„Glow“ läuft bei Netflix)

„I Love Dick“

Ein Grund, warum „I Love Dick“ in den 1990er-Jahren zu einem Kultbuch wurde, liegt darin, dass die Geschichte autobiografisch ist. Die Autorin Chris Kraus schildert darin, wie sie sich hoffnungslos in einen Kollegen ihres Mannes verguckt – und dabei fiebrige sexuelle Fantasien entwickelt.

Das Buch hat Regisseurin Jill Soloway adaptiert, die mit „Transparent“ eine filmische Familienaufstellung jenseits der Heteronormativität vorgelegt hat, die so lustig und klug ist, dass sie gleich im Dutzend Preise eingesammelt hat. Wie im Buch geht es in der Serie um Dominanz, Kontrollverlust und vor allem um weibliche Begierde – nur dass Soloway den Schauplatz aus New York und Los Angeles in die Wüste von Texas verlegt hat.

„I Love Dick“ im MacGyver-Test:

1. Kinder kommen in in „I Love Dick“ keine vor, also auch keine Väter.

2. Es ist kompliziert: Dick ist ein Künstler und hat einen Ruf wie Donnerhall, ob er allerdings dafür noch hart arbeitet oder eher seinen Ruhm vermarktet, lässt sich nicht genau sagen. Vermutung: eher Letzteres. Auf jeden Fall aber fährt Chris deshalb so auf ihn ab, weil ihn das Charisma des Großkünstlers umgibt – und sie sich von ihm herausgefordert fühlt, nachdem er ihr eine brüske Abfuhr erteilt hat. Ihr Mann Sylvère, mit dem sich Chris offensichtlich langweilt, ist wiederum Holocaustforscher und Stipendiat an Dicks Institut, allerdings kommt er eierköpfig und verschwurbelt rüber. Insofern: tendenziell nein.

3. Nein, ganz im Gegenteil. Das Spannende an der Serie ist, dass hier der sogenannte male gaze mal umgedreht wird. Als male gaze („männliches Starren“) bezeichnet man in der Filmtheorie den Blick auf die Frau, der sie zum Objekt macht. In „I Love Dick“ dominiert dagegen ein female gaze: Dick ist ein Pin-up von einem Kerl. Durch die Kleinstadt reitet er, trägt Cowboyhut, trinkt Bourbon, trägt ein Lämmchen auf den nackten Schultern und bei alldem klebt die Kamera förmlich an ihm, etwa wie er eine Zigarette dreht und dabei in Slow Motion das Paper ableckt.

4. Gewalt kommt in „I Love Dick“ nicht vor. Kreative Problemlösungen von Sylvère und Dick aber auch nicht wirklich. Gibt ein: Nein.

Fazit: durchgefallen.

(„I Love Dick“ läuft auf Amazon Prime)

„Girlboss“

Sophia Amoruso ist der amerikanische Traum – unter weiblichen Vorzeichen. Mit nur 32 Jahren und ohne College-Abschluss ist sie bereits auf der „Forbes“-Liste der erfolgreichsten Selfmade-Frauen der Welt. Ihr Vermögen hat sie mit einen Ebay-Shop für Vintage-Kleidung und dem daraus erwachsenen Modeunternehmen Nasty Gal aufgebaut. Der Anfang ihres komentenhaften unternehmerischen Erfolgs wird in der Serie „Girlboss“ erzählt – jedenfalls die positiven Aspekte. Denn Amoruso hat die Serie, die auf ihrem Buch basiert, auch koproduziert. Was etwa in der Serie fehlt, ist das Ende von Nasty Gal. Die Firma ging in die Insolvenz.

„Girlboss“ im MacGyver-Test:

1. Der Vater von Amoruso unterstützt seine Tochter, auch wenn er Vorbehalte gegen ihr Leben und ihre Geschäftsidee hat. Sagen wir also: knappes Ja.

2. Arbeiten tun in „Girlboss“ vor allem die Frauen. Der Boutiquebesitzer ist inkompetent, der Vater nur Kapitalgeber. Kurz tauchen ein Arzt auf, ein verzweifelter Kunststudent, ein kauziger Portier, ein schrulliger Besitzer einer Reinigung. Ansonsten gibt es noch einen zickigen schwulen Nachbarn. Aber die sind alle nur Sidekicks. Shane und Dex tauchen regelmäßiger auf. Sie spielen in einer Band. Die geht dann auch auf Tour. Geregelter werden die Beschäftigungsverhältnisse für die Männer nicht in „Girlboss“. Gibt ein: Nein.

3. Sophia und ihr love interest Shane treffen sich, da ist sie noch eine Verkäuferin ohne Krankenversicherung und er Schlagzeuger einer Kneipenband. Als Sophias Karriere Fahrt aufnimmt, entfremden sich die beiden. Trotzdem: ja.

4. Männer lösen keine Probleme in „Girlboss“. Sie verursachen sie höchstens. Macht ein: Nein.

Fazit: bestanden.

(„Girlboss“ läuft auf Netflix)

Foto: Netflix