Baldomera fällt es schwer, über ihre Erlebnisse zu sprechen; zu dramatisch ist das, was sie erlebt hat: Innerhalb kürzester Zeit wurde das Leben der 33-Jährigen komplett auf den Kopf gestellt. Noch vor fünf Jahren lebte sie mit ihren Eltern auf einem Bauernhof rund 100 Kilometer westlich der kolum- bianischen Hauptstadt Bogotá, als eines Tages bewaffnete Männer vor der Tür standen und die Familie bedrohten. Bei diesem Überfall ging es nicht um Geld, es ging um das Land der Familie, um die Felder, die sie jahrelang ernährt hatten. Die Männer raubten Baldomera und ihrer Familie die Existenz.

So wie Baldomera geht es in Kolumbien gut sechs Millionen Menschen – und das bei einer Bevölkerungszahl von 48 Millionen. Sie sind Flüchtlinge im eigenen Land. Die meisten sind Opfer des kolumbianischen Bürgerkriegs: Seit rund 50 Jahren kämpfen linksgerichtete Rebellen mit Gewalt gegen die Regierung und andere paramilitärische Gruppen. Mehr als 200.000 Menschen kamen bisher ums Leben. Einige der Rebellengruppen finanzieren sich durch den Handel mit Kokain. Aber um immer mehr Kokasträucher anbauen zu können, brauchen sie Land. Und das holen sie sich mit Gewalt.Sie flüchteten, ließen alles zurück, was sie hatten. Ihr neues Zuhause war nun ein Flüchtlingsheim am Rande von Bogotá. „Jeder von uns hatte dort eine Matratze, mehr nicht“, sagt Baldomera. „Wir waren plötzlich an einem Ort, der vollkommen anders war als unsere Heimat.“

Aber sie sind nicht die Einzigen, die die Binnenflucht anheizen. Die kolumbianische Regierung dämmte den Drogenanbau jahrelang ein, indem sie mit Militärflugzeugen Gift über den Plantagen versprühte. Dadurch gehen die Sträucher ein, allerdings greifen die Giftstoffe nicht nur die Pflanzen, sondern auch die Menschen an, die rund um die Plantagen leben. Viele flüchten, weil sie Angst um ihre Gesundheit haben. Im Mai kündigte die Regierung an, in Zukunft auf das bisher eingesetzte Unkrautvernichtungsmittel zu verzichten. Fachleute suchen jetzt neue Wege, um den Drogenanbau einzudämmen. Dann wieder fliehen die Menschen vor Massakern in ihren Dörfern. In den vergangenen Jahren sind Paramilitärs auch gegen die Landbevölkerung vorgegangen, manchmal reicht schon ein Streik der Plantagenarbeiter, damit die Gewalt eskaliert.

Baldomera hat über Unidad Víctimas in ein halbwegs normales Leben zurückgefunden. Die Helfer vermittelten ihr einen Job als Näherin. Den hat sie wenig später gekündigt und sich selbstständig gemacht. Nun schneidert sie zusammen mit anderen vertriebenen Frauen Kleidungsstücke für Supermarktketten. „Im Moment geht es mir wirklich gut, ich hatte viel Glück“, sagt sie und lächelt schließlich doch für ein paar Sekunden.Manchmal gelingt es der Organisation, das Land zurückzubekommen: Laut Unidad Víctimas sind 90.000 Hektar inzwischen wieder im ursprünglichen Besitz.Die große Mehrheit der Inlandsflüchtlinge aber kann davon nur träumen, auch von einer geregelten Arbeit. Die Armenviertel im Süden Bogotás sind riesig und wachsen immer weiter. Die einzige Hoffnung für die Millionen Flüchtlinge ist ein Ende des Bürgerkriegs. Nur dann könnten sie ohne Angst in ihre Häuser und auf ihre Felder zurückkehren.Viele Tausend Menschen wurden dabei getötet. Auch sexuelle Gewalt treibt Kolumbianer in die Flucht. Hilfsorganisationen berichten von Hunderten Frauen, die ihre Heimat verlassen, weil sie dort von Männern missbraucht werden. Inzwischen bekommen die Vertriebenen endlich Unterstützung vom kolumbianischen Staat. Seit 2011 gilt ein Gesetz, das Inlandsflüchtlingen die nötigsten sozialen Standards garantiert. „Wir sorgen dafür, dass sie eine Wohnung haben, Essen bekommen, von Ärzten versorgt werden und in die Schule gehen können“, sagt Maria Eugenia Morales von der staatlichen Organisation „Unidad Víctimas“, Vereinigung der Opfer.

Foto: laif