Gerade hatte man sich eingehört in das 28. Album, das David Bowie Freitag letzter Woche veröffentlichte. „Blackstar“ ist ein dunkles, komplexes Werk geworden, mit der typischen Neugier für neue Sounds und subkulturelle Nischen, die Bowies Musik seit den späten 60er-Jahren auszeichnete. Die Kritiken waren ziemlich gut. Nun hat „Blackstar“ plötzlich eine ganz neue Deutungsebene bekommen: Es ist ein Abschiedsalbum geworden.

Jeder Star hat sein Markenzeichen: Elvis hatte den Hüftschwung, Bob Dylan hat seine rostige Stimme, die klingt als würde er morgens Reißnägel gurgeln. Bowies Alleinstellungsmerkmal war ein anderes: die andauernde, vollkommen unvermittelte Veränderung.

Er gab den einsamen Astronauten, den überdrehten Rockstar, den blasierte Aristokraten, den grell geschminkten Transvestiten.

Die vielen Rollen, die der Ch-ch-changes-Bowie spielte, drehten sich immer in irgendeiner Weise um Randexistenzen und die Verflüssigung von Geschlechtergrenzen.

Während der Rock Anfang der 70er-Jahre größtenteils ziemlich breitbeinig rumrotzte, konterte Bowie mit sexuellen Mehrdeutigkeiten. Und wie. Auf dem Cover seines Albums „The Man who sold the world“ räkelt er sich in einem pastellfarbenen Seidenkleid auf einer Chaiselongue. Auf „Hunky Dory“, dem Album danach, imitiert er mit schauspielerischer Präzision die Gesten großer Diven wie Greta Garbo, Katharine Hepburn oder Lauren Bacall. Als Ziggy Stardust turnte er mit hautengen silberfarbenen Catsuits, Stiefeln mit Keilabsätzen, Lippenstift, Make-up und Federboa über der Bühne.

Nach Westberlin, wo er von 1976 bis 1978 lebte (und worauf man sich dort immer noch viel einbildet), kam Bowie mit einem selbst für Rockstar-Verhältnisse beachtlichen Drogenproblem. Oft ging er ins „Chez Romy Haag“. Die transsexuelle Betreiberin des Nachtclubs war seine Muse. Sein streng schwarz-weißer, androgyner Look in dieser Zeit war den 20er-Jahren entlehnt. Man meint, Marlene Dietrich darin zu erkennen.

Bei all der queeren Maskerade darf man nicht vergessen, in welcher Zeit das alles stattfand. Als Bowie mit „Space Oddity“ 1969 seinen ersten Hit hatte, wurde der Paragraf 175, nach dem homosexuelle Handlungen unter Männern in Deutschland eine Straftat darstellten, gerade erst reformiert und das Verbot für Männer über 21 aufgehoben. Und Bowie war ja nie ein Spartenkünstler, niemand, der in der Nische nur für Gleichgesinnte experimentierte. Er zielte auf das ganz große Publikum. Und mutete ihm manches zu.

Anders als die meisten Stars stellte er mit seinen Outings die herrschende sexuelle Ordnung auf den Kopf. Sagte er Anfang der 70er-Jahre als einer der ersten weltbekannten Stars, dass er schwul sei, korrigierte der sich ein paar Jahre später, als er dem Playboy anvertraute, bisexuell zu sein. Irgendwann in den 80er-Jahren, da war er längst Vater und schon geschieden, bekannte er, ein verkappter Hetero zu sein, der sich bislang noch nicht getraut habe, damit an die Öffentlichkeit zu gehen.

Mit seinen ständigen Veränderungen hat Bowie die Popwelt geprägt. Irgendwann mochten ihn alle. Die Glam-Rocker, die Punks, die Popper, die Jazzer, die Avantgarde-Freaks, die Club-Kids und die Elektronik-Spezialisten. Aber nicht, weil er beliebig gewesen wäre, sondern weil Bowie sich in aufrichtigem Interesse all diesen Musikrichtungen in seinen Aufnahmen irgendwann widmete. Er hörte eben nie auf zu experimentieren. Er zog es durch.

David Bowie, der schon einmal 2004 während eines Auftritts einen Herzinfarkt erlitt, den Song aber noch zu Ende sang, starb am 10. Januar 2016, zwei Tage nach seinem 69. Geburtstag, an Krebs.

Felix Denk ist Kulturredakteur bei fluter.de. Er ist wie David Bowie an einem 8. Januar geboren und mag die B-Seite von „Low“ sehr gerne. Er ist natürlich traurig über Bowies Tod, wird aber keinen Kranz in der Hauptstraße 155 ablegen, wo Bowie in Berlin wohnte. Das macht sein Kollege Oliver Geyer.