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„Toll, was du als ägyptische Frau alles geschafft hast!“

Geht es um Frauenrechte im Nahen Osten, wird schnell zu Klischees gegriffen. Dabei sind die Gesellschaften in Bewegung. Ein Gespräch mit der Politikwissenschaftlerin Hoda Salah

fluter: Frau Salah, welche Klischees und Vorurteile begegnen Ihnen, wenn es um Frauen im Mittleren und Nahen Osten geht?

Hoda Salah: Immer wieder höre ich, dass sie Opfer sind oder dass Frauen mit Kopftuch generell nicht emanzipiert oder freidenkend sein können. Ich selbst werde oft auf einen Teil meiner vielen Identitäten, den Islam, reduziert – dabei bezeichne ich mich selbst als säkular. Man sagt mir: Toll, was du als ägyptische Frau alles geschafft hast! Das ist eine eurozentrische Sicht, die vergisst, dass die große arabische Frauenbewegung vor rund 100 Jahren mehr oder weniger parallel zur europäischen verlaufen ist. Meine weiblichen Vorfahren haben bereits viel erreicht, ich bin keine große Ausnahme. 

Sie sind in Ägypten aufgewachsen. Was hat das für Sie als Frau bedeutet? 

Ich liebe meine Heimat und bin der Hochkultur Ägyptens mit ihrer Vielfalt verbunden. Ich bewundere die Ägypterinnen, die trotz des autoritären Regimes ihren Kampfgeist, ihre Herzlichkeit und ihren Humor behalten. Als Frau dort aufzuwachsen war trotzdem ambivalent. Es gab so viele Tabus! Die neue, junge Frauenbewegung bricht diese Tabus, was zu meiner Zeit schwierig war. Frauen in Ägypten, gerade solche in großen Städten, können heute alleine leben und verreisen. Sie heiraten später und streben egalitäre Verhältnisse an. 

Wichtig für diese Entwicklung war auch der sogenannte „Arabische Frühling“, die Arabellion. In Ägypten begann der Aufstand im Januar 2011, auch Tausende von Frauen demonstrierten auf dem Tahrir-Platz in Kairo. Was hat sich seitdem gesellschaftlich für Frauen geändert? 

Sehr viel! Ich habe damals entschieden, wieder in Ägypten zu leben, bin zwischen Ägypten und Deutschland gependelt, wollte Teil dieses historischen Geschehens sein. Den Militärputsch und das vorläufige Ende der Revolution erlebe ich wie viele Ägypter als persönliche Niederlage. 

„Letztendlich ist der Begriff ‚islamischer Feminismus‘ nicht einheitlich, und er kann sowohl Eigen- als auch Fremdbezeichnung sein“

Zugleich bin ich begeistert von dieser neuen Bewegung junger Frauen, die ihre Rechte einfordert. Die arabischen Frauenbewegungen waren immer in diesem ideologischen Konflikt gefangen: Bist du islamisch oder bist du säkular? Die jungen Aktivistinnen thematisieren Dinge wie körperliche Selbstbestimmung, sexuelle Belästigung, die herrschende Doppelmoral, Tabus wie Jungfräulichkeit, Ehre und Schande. Sie kämpfen gegen das übermächtige Patriarchat, vom Staat über die Religion bis zum eigenen Haushalt. Sie sind frech, sie machen klar: Frauenrechte müssen Priorität haben. Damit haben sie Erfolg: 2014 wurde in Ägypten erstmals ein Gesetz eingeführt, das verbale und physische sexuelle Belästigung unter Strafe stellt. Die #MeToo-Bewegung ist also auch in Ägypten erfolgreich.

Welche Rolle spielt dabei der sogenannte islamische Feminismus? 

Er ist eine eher akademische Bewegung. Aktivistinnen in Ländern wie Ägypten, dem Libanon oder Tunesien würden nicht von sich selbst sagen: Wir sind islamische Feministinnen. Sie verstehen sich als Bürgerinnen, definieren sich nicht durch die Religion und beziehen sich auf die säkularen Verfassungen ihrer Länder sowie auf die UN-Frauenrechtskonvention, die alle arabischen Länder außer dem Sudan unterschrieben haben. Letztendlich ist der Begriff „islamischer Feminismus“ nicht einheitlich, und er kann sowohl Eigen- als auch Fremdbezeichnung sein. Es gibt, wie in der deutschen Frauenbewegung ja auch, verschiedene Strömungen – unter anderem eine säkulare, liberale, sozialistische oder islamische. Was islamischer Feminismus verbindet, ist das Ziel, auf Basis der Religion Rechte für Frauen zu erkämpfen. 

Was unterscheidet die Frauenbewegung von der in Europa?

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Hoda Salah (Foto: privat)

Hoda Salah kam 1993 aus Ägypten nach Deutschland. Die Politik- und Islamwissenschaftlerin forscht zu Männlichkeiten und zur Frauenbewegung in arabischen und muslimischen Gesellschaften

(Foto: privat)

Die erste Welle war in beiden Kulturkreisen ähnlich: Frauen forderten das Recht auf Bildung und auf Arbeit, die rechtliche Gleichstellung. In Europa erkämpfte die zweite Welle der Frauenbewegung in den 1960er- und  1970er-Jahren das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung, für das Frauen in der arabischen Welt heute noch auf die Straße gehen müssen. Die sozialen Medien spielen für die Frauenbewegung in den arabischen Ländern eine große Rolle – genauso wie in Europa. Der Unterschied ist aber: In Europa kannst du offen deine Meinung sagen, ohne dafür sanktioniert zu werden. In arabischen Ländern geht das nicht. Viele der Staaten sind nach der Arabellion autoritärer und repressiver geworden.

Wie gehen Frauen damit um? 

Sie wehren sich, sie üben Druck auf die Gesellschaft, den Staat aus. In den sozialen Medien thematisieren sie die Gewalt gegen Frauen und machen sie damit endlich sichtbar. Das hat für eine hohe gesellschaftliche Sensibilisierung gesorgt. Generell vermeiden Frauen es, direkt das Staats- oder Religionsoberhaupt zu attackieren – stattdessen thematisieren sie die Teilhabe von Frauen an der Öffentlichkeit. Das ist schlau, denn die Frauen haben verstanden, dass gerade autoritäre politische Systeme sich nicht von oben verändern lassen. Aber wenn man die Geschlechterverhältnisse ändert, dann gibt es eine Demokratisierung der Gesellschaft von unten nach oben.  

„Eine ägyptische Frau, die in einer Metropole wie Kairo mit 20 Millionen Einwohnern lebt, hat sehr viel gemeinsam mit einer Frau in einer deutschen Großstadt“

Apropos Demokratisierung: Westliche FrauenrechtlerInnen scheinen oft zu glauben, man müsse Frauen in arabischen und muslimischen Gesellschaften „befreien“ – eine durchaus problematische Haltung. Wie sehen Sie das?

Heute haben wir eine internationale Zivilgesellschaft und dadurch auch eine internationale Solidarität. Frauen in arabischen Ländern, in autoritären Systemen, haben mehr Probleme als Frauen in Deutschland, das ist klar. Aber deutsche Frauen leiden auch unter Ungleichheiten! Daher kann man nicht einfach sagen: Ich weiß, was gut für dich ist. Darüber hinaus geht es um Intersektionalität, darum, dass viele Faktoren für Identität und Diskriminierung eine Rolle spielen: zum Beispiel Ethnie, Herkunft, Bildung oder Klasse. Eine ägyptische Frau, die in einer Metropole wie Kairo mit 20 Millionen Einwohnern lebt, hat sehr viel mehr gemeinsam mit einer Frau in einer deutschen Großstadt als mit einer ägyptischen Frau in einem Dorf und umgekehrt. Es gibt nicht die arabische Frau, die westliche Frau. Frauensolidarität ist wichtig, aber sie muss auf Dialog basieren. 

Titelbild: Jörg Brüggemann/OSTKREUZ

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