Sparsam, schadstoffarm und klimafreundlich ist das Autofahren heute, diesen Eindruck erweckt jedenfalls die Werbung. Aber der VW-Abgasskandal hat viele Menschen aus dieser wohlig grünen Traumwelt geholt, zurück auf den stickigen Boden der Tatsachen. Es stellte sich heraus, dass der Wolfsburger Konzern systematisch die Abgaswerte seiner Dieselfahrzeuge auf dem Prüfstand nach unten manipuliert hatte. Unter VW-Besitzern sorgte dieser Betrug für viel Ärger. Doch was sollen eigentlich die Fußgänger und Radfahrer sagen? Sie schauen in die Röhre – beziehungsweise in den Auspuff. Allerdings lohnt es sich, dort anlässlich des Falles VW noch einmal genauer hinzusehen. Um festzustellen, dass der Abgasskandal sogar noch größer und umfassender ist als von vielen gedacht.

Beim Verbrennen von Kraftstoff im Motor entsteht vor allem Kohlendioxid, das zwar ein Treibhausgas ist und sich durch herkömmliche Filter nicht zurückhalten lässt, unserer Gesundheit aber nicht schadet. Anders ist es bei Stickoxiden, von denen Dieselmotoren viel mehr ausstoßen als Benziner. Sie schädigen die Atemwege und können chronischen Husten, Bronchitis, Asthma und sogar Lungenkrebs hervorrufen beziehungsweise verstärken. In der Natur beeinträchtigen Stickoxide unter anderem den Wuchs und die Blattstruktur von Pflanzen und sorgen für eine Überdüngung und Versauerung der Böden. Stickoxide fördern außerdem die Bildung von bodennahem Ozon. Durch Abrieb von Reifen und Bremsscheiben, aber auch beim Verbrennungsvorgang entsteht außerdem Feinstaub – noch so ein Problem. Er besteht aus winzigen, mit bloßem Auge nicht sichtbaren Teilchen und kann Asthma und Allergien auslösen.

Mittlerweile leben in Deutschland mehr als 380.000 Menschen in Gebieten, in denen die Grenzwerte für gesundheitsschädigende Stickoxide überschritten werden. Für sie sind die gesundheitlichen Risiken besonders hoch. Experten der Weltgesundheitsorganisation WHO schätzen außerdem, dass jährlich etwa 3,7 Millionen Menschen durch die Folgen des Feinstaubs sterben, 47.000 laut Umweltbundesamt davon in Deutschland. Als Feinstaub-Obergrenze gelten in der EU ein Jahresmittelwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter und ein Tagesgrenzwert von 50 Mikrogramm. Letzterer darf an maximal 35 Tagen pro Jahr überschritten werden. Gerade in Großstädten passiert das häufig – im Jahr 2013 in Stuttgart sogar ganze 91-mal. Ein wichtiger Grund dafür ist der dichte Stadtverkehr.

Auf den Straßen sind längst nicht nur „saubere“ Modelle unterwegs

„Natürlich sind die modernen Antriebssysteme sparsamer, schadstoffärmer und klimafreundlicher geworden. Doch der Trend zu größeren und PS-starken Autos und die weltweite Zunahme des Straßenverkehrs heben diesen Fortschritt wieder auf“, erklärt Felix Creutzig, Verkehrsforscher am Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change in Berlin. Außerdem sind auf den Straßen längst nicht nur „saubere“ Modelle unterwegs. Ein durchschnittliches Auto fährt in Deutschland neun Jahre – bis sich neue Abgasnormen und saubere Antriebe auf den Straßen etabliert haben, vergeht also viel Zeit.

Das belastet Autofahrer übrigens nicht im selben Maß wie Radfahrer. Wie Wissenschaftler aus den Niederlanden festgestellt haben, ist zwar die Luft im Auto schlechter als auf der Straße, dafür atmen Radler durch die körperliche Anstrengung schneller und tiefer. Mehr als doppelt so viel Luft atmen sie ein, außerdem sind sie auf gleicher Strecke den Abgasen der Autos länger ausgesetzt. Das schmälert die positiven gesundheitlichen Effekte des Radfahrens deutlich.

Reale Schadstoffemissionen drei- bis viermal höher als die offiziellen Typ-Prüfwerte

An diesem grundsätzlichen Problem ändern wohl auch strengere Abgasnormen und die Schadensbegrenzungen im VW-Skandal wenig. Schon allein über den Umstand, dass die VW-Fahrzeuge deutlich mehr Schadstoffe ausstoßen, als auf den Prüfständen festgestellt wurde, wundern sich Experten wie Creutzig wenig. „Die Grenzwerte aus dem Labor sind ohnehin kaum aussagekräftig“, so der Verkehrsforscher. Auch das Umweltbundesamt weist bereits seit Ende der 90er-Jahre darauf hin, dass in Deutschland die realen Schadstoffemissionen drei- bis viermal höher seien als die offiziellen Typ-Prüfwerte, die auf dem Rollenprüfstand ermittelt werden. Grund dafür sind die genormten Messungen: Wer langsam und konstant fährt, macht es dem Katalysator leicht, die Abgase zu reinigen. In Beschleunigungsphasen kommt es dagegen zu stärkeren Emissionen. Ein Umstand, den heutige Tests kaum berücksichtigen.

Die EU hat diese Lücke nun immerhin ein wenig geschlossen. Ab September 2017 sollen die Grenzwerte für alle neuen Modelle etwas realitätsnäher getestet werden, nicht nur auf dem Prüfstand, sondern auch auf der Straße. Am grundsätzlichen Problem ändert das jedoch wenig, die tatsächlichen Emissionen werden wohl auch weiter über den Grenzwerten liegen. Immerhin: Das neue Verfahren könnte die Dieselfahrzeuge – noch hat in Deutschland die Hälfte aller Neuwagen einen solchen Motor – in arge Bedrängnis bringen. Bei Tests nach dem neuen Verfahren scheiterten 22 von 32 untersuchten Modellen kläglich.

Lieber auf das Vorbild der dänischen Hauptstadt Kopenhagen setzen

Ob das angesichts der Zunahme der Neuzulassungen und des anhaltenden Trends zu großen Fahrzeugen aber eine echte Verbesserung bringen kann? Fahrradlobbyisten und zahlreiche Lokalpolitiker jedenfalls setzen lieber auf das Vorbild der dänischen Hauptstadt Kopenhagen, wo der Fahrradverkehr gezielt politisch gefördert wird, um den Autoverkehr dadurch zu reduzieren. Fast 400 Kilometer Fahrradweg wurden in Kopenhagen angelegt, teils mehrspurig oder mit idyllischem Blick auf den Hafen. Mittlerweile fährt mehr als jeder Dritte, der in Kopenhagen arbeitet, mit dem Rad zum Job. In Zukunft soll der Anteil auf 50 Prozent steigen. Die Stadt wirbt damit, dass jeder neue Radweg den Autoverkehr um zehn Prozent reduziere. Auch spart die Fahrradbegeisterung der Kopenhagener jedes Jahr rund 90.000 Tonnen CO2-Emissionen. Die Stickoxid- und Feinstaubbelastung sei ebenfalls deutlich geringer als in anderen europäischen Metropolen. So wird das Radfahren auch wieder gesünder. Ein zusätzlicher Anreiz zum Umsteigen auf zwei Räder.