Lange haben wir darum gekämpft, und bis zuletzt war unklar, ob dieses Treffen überhaupt zustande kommt. Ich betrete das Zimmer und finde einen sichtlich überforderten jungen Mann vor, der am liebsten in der nächsten Sekunde wieder gehen würde. Er bleibt. Niemand darf von diesem Treffen wissen, denn ihn gibt es nicht. Trotz vieler Bedenken spricht er das erste Mal über eine Sexualität, die in der Welt des Fußballs nichts verloren hat.

Du kommst gerade aus einem Interview für einen öffentlichrechtlichen Fernsehsender. Was wäre, wenn dort deine Homosexualität zur Sprache käme?

Ich würde leugnen, ganz klar. Versuchen, das Thema komplett aus der Öffentlichkeit zu halten. Je mehr geredet wird, desto höher ist auch der Druck auf mich. Die große Diskussion um meine Person kann ich mir einfach nicht erlauben.

Ist der Druck nicht ohnehin schon immens?

Natürlich. Der Preis für meinen gelebten Traum von der Bundesliga ist hoch. Ich muss täglich den Schauspieler geben und mich selbst verleugnen. Am Anfang war es ein großes Spiel und kein Problem, doch mit der Zeit zehrt es sehr an mir. Ich weiß nicht, ob ich den ständigen Druck zwischen dem heterosexuellen Vorzeigespieler und der möglichen Entdeckung noch bis zum Ende meiner Karriere aushalten kann.

Aber was wäre so schlimm daran, wenn es rauskäme? Es schaltet auch niemand ab, wenn im Showgeschäft der schwule Entertainer Hape Kerkeling eine Sendung moderiert.

Ich denke, Fußball und die Medien sind komplett verschieden. Auch wenn ich es natürlich dumm finde, passt das Klischee des „Standard-Schwulen“ irgendwie in die bunte Welt des Fernsehens. Fußballer dagegen sind das männliche Stereotyp schlechthin. Sie müssen Sport lieben, aggressiv kämpfen und gleichzeitig das große Vorbild sein. Schwule sind das alles einfach nicht. Punkt. Oder soll jemand eine aufgebrachte Menge von Fans vor dem Spiel aufklären, dass „die Schwulen“ eigentlich auch nur ganz normale Männer sind und gleich mitspielen? Unvorstellbar. In der Situation im Stadion oder nach dem Spiel wird jeder kleine Anlass in der Gruppe zu einer ganz großen Angelegenheit. Ich wäre nicht mehr sicher, wenn meine Sexualität an die Öffentlichkeit käme.

Bist du dann wütend auf die Fans?

Nein, ganz sicher nicht. Ich habe mal gehört, dass in solchen aufgeheizten Stimmungen nur noch das Kleinhirn im Menschen regiert, und da ist eben Toleranz nicht eingebaut. Das muss auch ich im Stadion akzeptieren, und die Fans sind einfach der unverzichtbare Motor, der auch mich jeden Spieltag antreibt. Generell reflektiert ein Heterosexueller kaum seine Sexualität. Niemand käme schließlich auf die Idee, mehrere Jahre sich selbst danach zu fragen, ob das eigene Empfinden auch wirklich real ist. Es passt schließlich in die Welt. Von meiner Position aus muss man auf Toleranz hoffen – Verständnis wird es nie geben. Dazu ist das Thema zu persönlich, und auch wir Schwulen sind da nicht besser, wenn es um Lesben oder auch Heterosexuelle geht. Toleranter sind wir aber allemal. Aber selbst wenn ich mit den Fans klarkäme, wäre die pure Öffentlichkeit schlimmer.

 

Warum eine solche Angst vor der Öffentlichkeit?

Die Geschichten, Titelseiten und Magazine. Alle würden gerne rausfinden, was ich wohl Schlimmes mit meinem Partner unter der Bettdecke anstelle. Wer beim supermännlichen Fußballspieler wohl unten und wer oben liegt. Da gibt es vieles! Meine Leidenschaft, der Fußball, wäre irrelevant. Entweder spaziere ich mit meinem Freund zu einem Event und bin danach drei Wochen in allen Medien oder ich berufe mich auf meine Privatsphäre und belüge mich selbst. Es gibt einfach keine Lösung. Unmöglich, einfach wie ein heterosexueller Spieler den neuen Partner zu präsentieren und am nächsten Tag vergessen zu werden. Normalität gibt es nicht. Zumindest wäre es für mich nicht normal, eine ganze Nation mein Intimleben diskutieren zu lassen. Das hat nur mich und die Person neben mir zu interessieren.

Und gibt es „die Person neben dir“ – um zumindest eine der verhassten Fragen zu stellen?

Hier und heute finde ich die Frage sogar extrem wichtig. Diese Person gibt es bei mir nicht und bei anderen mir bekannten Spielern auch nicht. Obwohl: Ich hatte sogar einmal eine Beziehung. Aber du kannst dir vorstellen, dass ein monatelanges Versteckspiel pures Gift für eine Partnerschaft ist. Ich musste mich entscheiden. Klar, der Erfolg im Fußball danach war schön. Der Preis war entsprechend.

Statt des Freundes gibt es dann die bezahlte Spielerfrau für die wichtigen Anlässe?

Das Klischee ist leider im Grunde wahr. Zu manchen Anlässen kann ich einfach nicht alleine kommen, und dann gibt es immer Wege. Das machen auch alle so. Nur bezahlen musste ich nie – schließlich habe ich als richtiger Schwuler auch beste Freundinnen.

Du hast gerade andere Spieler angesprochen. Gibt es eine Art „Club der schwulen Bundesligaspieler“, und weiß der Rest der Mannschaft von deiner Homosexualität?

(lacht) Nein, einen Club gibt es nicht. Ganz im Gegenteil. Ich weiß zwar von mehreren Spielern in der Liga. Richtige Treffen gibt es aber nicht – wäre wohl auch etwas zu auffällig. Das ist eine schwierige Parallelexistenz, die sich auch in der Mannschaft fortsetzt. Gesprochen wird kaum darüber, aber eigentlich müsste jeder Bescheid wissen.

Gibt es dann keine Probleme in der Mannschaft?

Überhaupt nicht. Ich kenne keinen Spieler in der ganzen Liga, der damit ein Problem hat. Es gibt sogar manche, die mit großem Interesse nachfragen – aber das ist wirklich die absolute Ausnahme. Natürlich sind einige Situationen wie das Duschen am Anfang für beide Seiten unangenehm. Ich habe aber kein Interesse an den Mitspielern, und irgendwann ist es für alle Seiten egal. Schließlich sind die Kollegen nicht ignorant.

Und was fragen dann so manche Kollegen?

Ach, ganz technisches Interesse kommt da zutage. (lacht) Aber auch nach dem Freund wird gefragt. Schließlich kenne ich die Geschichten der Kollegen schon aus der Zeitung, und bei mir muss erst gefragt werden. Alles total normal.

War ein Outing nach der positiven Stellungnahme des DFB durch Theo Zwanziger auch keine Option?

Nicht wirklich. Das ist alles gut gesagt, wenn man nicht am nächsten Spieltag ins Stadion muss. Vielleicht wäre es zu verschmerzen, wenn sich mehrere Spieler outen würden, aber selbst da sehe ich momentan wenig Hoffnung. Schließlich wäre es dann immer noch eine Minderheit, auf der man vorzüglich herumreiten könnte.

Warum hast du dich für das Interview entschieden?

Es ist wichtig, den ersten Schritt zu tun. Ich probiere mich gerade dabei selbst aus. Außerdem kannst du meine Situation nachvollziehen, und da spricht es sich einfacher. Andere wagen trotz der Anonymität nicht den Schritt. Vielleicht fühlen sich meine Kollegen nicht aufgefordert. Ich würde es mir wünschen. Wir können uns in einem Jahr wieder sprechen, und dann kann ich vielleicht meinen Namen unter das Gesagte setzen.

Wie sieht deine Zukunft aus?

Im Fußball weiter an mir zu feilen – schließlich habe ich noch einige Wünsche, die ich mir erfüllen möchte. Privat wird sich an der Situation nichts ändern. Ich würde mich natürlich sehr freuen, falls auf einmal die Lawine der Outings losbräche und ich auch einmal staunen könnte, wen ich doch noch nicht kenne. Ein Stück Normalität würde mich schon freuen. Einfach mit einem zukünftigen Partner in aller Öffentlichkeit ins Restaurant gehen. Ein Traum.