Studiengänge mit einem hohen Numerus clausus sind ein bisschen wie Clubs mit strenger Türpolitik – alle wollen umso mehr da rein. Doch anders als im Nachtleben ist beim Zugang zu Bildung wirklich mal Gerechtigkeit gefordert. Ist die aber gegeben, wenn begehrte Fachbereiche ihre Studenten anhand von deren Abidurchschnitt auswählen? Daran scheiden sich die Geister.

Pro: auf Numerus sicher

Bernd Kramer fragt: „Kann eine Nachkommastelle wirklich darüber entscheiden, wer geeignet ist für Logistik, Marketing und Controlling? Wer später erfolgreich ein Unternehmen führen kann? Wer BWL studieren sollte oder vielleicht etwas anderes? Natürlich nicht. Gibt es einen besseren Weg, Uni-Plätze zu vergeben? Leider auch nicht.“

Es erscheint willkürlich, kalt, ungerecht. Zwei Abiturienten bewerben sich um einen Studienplatz, sagen wir: in Betriebswirtschaftslehre an der Uni Münster. Bei dem einem steht auf dem Abiturzeugnis die Note 2,3. Der andere hat 2,4 als Schnitt. Dem einen schickt die Uni eine Zusage. Dem anderen eine Absage. Kann eine Nachkommastelle wirklich darüber entscheiden, wer geeignet ist für Logistik, Marketing und Controlling? Wer später erfolgreich ein Unternehmen führen kann? Wer BWL studieren sollte oder vielleicht etwas anderes? Natürlich nicht. Gibt es einen besseren Weg, Uni-Plätze zu vergeben? Leider auch nicht.

 

Inzwischen ist etwa die Hälfte aller Studiengänge in Deutschland zulassungsbeschränkt. Das heißt: In der Regel entscheidet die Abiturnote darüber, wer sich einschreiben darf und wer nicht. Wo die Grenze verläuft, welche Note die Tür zur Uni öffnet und welche sie schließt, hat wenig damit zu tun, wie anspruchsvoll das Fach ist. Für ein Medizinstudium müssen Abiturientinnen und Abiturienten in einigen Bundesländern einen Traumschnitt von 1,0 vorweisen – nicht weil Medizin so viel komplizierter ist als andere Wissenschaften, sondern weil hier besonders viele Bewerberinnen und Bewerber um vergleichsweise wenige Plätze konkurrieren.

Natürlich: In einer perfekten Welt könnte jeder studieren, was er mag. Kein Traum müsste an der Abiturnote zerplatzen. In der unperfekten Welt aber ist sie immer noch das beste aller schlechten Mittel, um knappe Studienplätze zu vergeben. Denn was wäre die Alternative?

Man könnte es so machen wie viele Privathochschulen. Die WHU zum Beispiel, eine Wirtschaftshochschule in Vallendar in Rheinland-Pfalz, bittet Bachelorbewerber zum eintägigen Auswahlverfahren: Sie müssen ein Referat halten, einen Test ablegen, sich in Gruppendiskussionen bewähren, zwei Einzelgespräche bestehen. Das mag verlockend klingen für Abiturienten, die nur wegen einer falschen Ziffer hinterm Komma abgelehnt wurden. Hätten sie so nicht viel bessere Möglichkeiten, sich als gute künftige Betriebswirte zu präsentieren?

„Je aufwendiger die Auswahl, desto elitärer dürfte ein Hochschulstudium werden.“

Der Haken ist: Je mehr Zeit und Energie Professoren auf das feinmaschige Aussieben ihrer Bewerber verschwenden, desto weniger bleibt für die Aufgaben in der Lehre. Kein Wunder also, dass sich Hochschulen umständliche Bewerbungsprozeduren eher dann leisten, wenn die Zahl der Studienplätze überschaubar ist. An der Privathochschule WHU sind gerade einmal gut 600 Bachelorstudenten eingeschrieben. Der Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Uni Münster zählt dagegen rund 5.000 Studierende.

Die Chancen auf einen Studienplatz sind an einer Hochschule, die sich ein prunkvolles Aufnahmeverfahren leistet, für den Abiturienten mit dem 2,4-Schnitt womöglich eher schlechter als besser. Je aufwendiger die Auswahl, desto weniger kommen zum Zuge – desto elitärer dürfte ein Hochschulstudium werden. Den Weg ins Studium flächendeckend zu verkomplizieren schafft keine Chancen. Es verbaut sie.

Man kann sich sowieso fragen, mit welcher Berechtigung staatliche Hochschulen eigentlich Assessment-Center organisieren und Bewerbungsgespräche durchführen sollten. Sie sind schließlich keine Unternehmen, die Mitarbeiter rekrutieren. Professoren mögen sich zwar eine handverlesene Studentenschar wünschen, der sie nicht mehr viel beibringen müssen. Ihre Aufgabe ist es aber, möglichst allen, die wollen, eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Das heißt im Umkehrschluss: Wenn man schon aussieben muss, dann bitte möglichst schlank und unkompliziert.

„Ob jemand das packen wird, lässt sich immer noch am besten an der Abiturnote ablesen.“

Auch wenn das Bauchgefühl etwas anderes sagt: Ob ein Student das Studium packen wird, lässt sich immer noch am besten an der Abiturnote ablesen – so ungenau sie sein mag. Das zeigt eine Untersuchung von Psychologen der Universität Hohenheim, die mehrere Studien zur Bewerberauswahl ausgewertet haben. Selbst Eignungstests, bei denen Kandidaten zum Beispiel ihr Fachwissen oder ihr logisches Denken beweisen müssen, sind selten besser.

Experten empfehlen daher, sie allenfalls zusätzlich einzusetzen – so wie etwa den Medizinertest, den Bewerber freiwillig ablegen können, um ihre Chancen zu verbessern. Die harte Notengrenze wird unschärfer, aber sie verschwindet nicht.

Am schlechtesten von allen Auswahlmethoden schneidet das Vorstellungsgespräch ab, wie die Überblicksstudie aus Hohenheim zeigt. Die Dozenten versagen darin, zu erkennen, ob aus den Abiturienten, die ihnen gegenübersitzen, wirklich gute Studenten werden. Vermutlich lassen sie sich blenden von einem glatten Auftritt, bevorzugen Bewerber, die ihnen ähnlich sind, die aus akademischen Elternhäusern kommen, die die Codes der Uni-Welt beherrschen. Je unstrukturierter die Auswahlgespräche verlaufen, desto häufiger liegen die Professoren daneben. So willkürlich sollte der Weg an keine Uni verlaufen.

„Statt Auswahlverfahren unnötig hochzurüsten, lieber ein anderes Problem angehen.“

Statt ihre Auswahlverfahren unnötig hochzurüsten, sollten die Hochschulen lieber ein anderes Problem angehen. Jedes Semester bleiben Tausende Studienplätze unbesetzt. Die Unis halten Bewerbern Plätze frei (zumindest eine Zeitlang), die sich längst schon woanders eingeschrieben haben. Und die Nachrückverfahren ziehen sich hin, bis sich die übrigen Interessierten längst etwas anderes gesucht haben.

Es gäbe eine einfache Lösung: Eine zentrale Stelle verteilt die Bewerber so auf die Unis, dass möglichst kein Studienplatz unbesetzt bleibt. Zu diesem Zweck startete vor einigen Jahren die Stiftung für Hochschulzulassung als Nachfolgerin der früheren Zentralstelle zur Vergabe von Studienplätzen (ZVS) – und wartet seither geduldig auf Hochschulen, die mitmachen. Im vergangenen Wintersemester wurden erst in 465 von mehr als 4.000 örtlich zulassungsbeschränkten Studiengängen die Plätze zentral vergeben.

Bernd Kramer schreibt als freier Journalist viel über Hochschulthemen. Davor hat er Volkswirtschaftslehre, Politik und Soziologie studiert – natürlich ein zulassungsbeschränktes Studium. Wenn der Abi-Schnitt dafür nicht gereicht hätte, hätte er dieselben Fächer auch einfach in einer anderen Reihenfolge studieren können. Die Erkenntnis: Nicht alles an der Uni ist logisch.

Illustration: Renke Brandt

Contra: Wir müssen reden

„Keine Frage, auch Gespräche sind als Auswahlverfahren für Universitäten noch deutlich verbesserungsbedürftig“, räumt Daniel Erk ein. „Aber das Gerechtigkeitsproblem, das es in Deutschland beim Zugang zur Bildung gibt, wirkt sich im NC-Auswahlverfahren noch fataler aus.“ Hier sagt Daniel, warum.

Es war ein langer, düsterer Gang im obersten Stockwerk des Instituts für Politologie. Auf den Stühlen warteten 30 Kandidaten schweigend auf ihr Auswahlgespräch für einen Studienplatz, eine Art Castingshow im Universitätsbetrieb. Von den 30 Abiturientinnen und Abiturienten, die hier saßen, würden nur 15 einen Studienplatz bekommen. Keiner sprach, viele starrten einfach nur nervös auf den Linoleumboden. Eine fast grausame Situation. Und für mich gleichzeitig die beste aller Varianten, Studierende auszusuchen.

Professoren aller Fächer hatten seit den 90er-Jahren verstärkt den Eindruck bekommen, nur noch vor einer gesichtslosen, auf Noten getrimmten Masse aus Streberstudierenden zu sitzen – und wollten durch Auswahlgespräche andere, bessere, engagiertere Studierende finden. Der NC, einst Statussymbol vieler Studiengänge, hatte für sie an Strahlkraft verloren. Seit dem Wintersemester 2005/2006 dürfen Universitäten bis zu 60 Prozent ihrer Studierenden durch Gespräche auswählen, zum Teil auch durch Tests oder Qualifikationen wie etwa Praktika. Bloß: Die Auswahlgespräche stellten sich oft als kompliziert und teuer heraus. Außerdem wurden Studien veröffentlicht, die angeblich nachwiesen, dass die Auswahlgespräche systematische Verzerrungen an den Tag legten: Es würden überwiegend die eloquenten Kinder aus den Bildungsbürgerfamilien ausgewählt, weil sie den Professorinnen und Professoren intuitiv oft am sympathischsten seien.

Keine Frage, auch Gespräche sind als Auswahlverfahren für Universitäten noch deutlich verbesserungsbedürftig. Aber das Gerechtigkeitsproblem, das es in Deutschland beim Zugang zur Bildung gibt, wirkt sich im NC-Auswahlverfahren noch fataler aus. Denn schon das deutsche Schulsystem ist bekanntermaßen unfair: Es fördert diejenigen, die aus bildungsnahen Familien kommen, in denen auf schulische Leistungen und Noten geachtet wird. Und es bestraft alle, die nicht die bedingungslose Unterstützung ihrer Eltern haben. In die Abiturnoten ist diese Ungerechtigkeit eingeschrieben. Der NC ist die Bestätigung und Fortführung dieses an sich schon falschen Systems durch einen mathematischen Automatismus.

„Der Numerus Clausus funktioniert, sagen Untersuchungen? Ist kein Wunder"

Untersuchungen, die Studienerfolg und Studienabbrecherquoten mit dem Abiturschnitt vergleichen, behaupten: So unfair der Numerus clausus auch sein mag, er funktioniert eben. Aber das ist kein Wunder: Wer hinterher abfragt, welche Studierenden die besten Noten oder die geringsten Abbrecherquoten haben, wird selbstverständlich herausfinden, dass es diejenigen sind, die schon in der Schule die besten Noten hatten. Im Grunde eine Selbstverständlichkeit: Wem Noten und Anerkennung bis zum Abitur wichtig waren, wird auch an der Universität diesem Prinzip treu bleiben. Aber ist das wirklich so relevant? Ist das das entscheidende Kriterium, nach dem Studienplätze vergeben werden sollten?

Die interessantesten, motiviertesten Kommilitonen waren zumindest am Politikinstitut selten diejenigen, die die besten Hausarbeiten schrieben, die jeden Text gelesen hatten und keine Sitzung verpassten. Es waren vielmehr diejenigen, die Wissen und Haltung hatten und die auch nach den Seminaren noch diskutierten. Solche, die neben dem Studium in NGOs engagiert waren, in politischen Organisationen aktiv waren und für die das Studium tatsächlich nur der Pflichtteil war.

Dass unter diesen eben nicht auf Noten und Hausarbeiten fixierten Studierenden nicht der beste Abschlussschnitt zu finden ist: vollkommen logisch und total richtig. Würde man aber untersuchen, welche Studierenden nach der Universität die interessantesten Lebenswege eingeschlagen oder die relevantesten Positionen erklommen haben, würde sicherlich herauskommen, dass es eben nicht die Abiturnote war, die den Ausschlag gab. Das Auswahlgespräch ist dabei eben auch ein wichtiges Symbol. Es zeigt, dass Noten nur ein Teil der Wahrheit sind.

"Sollte man aus dem Studium nicht mehr mitnehmen, als bloß ein Gutes Zeugnis?"

Natürlich kann man mit 1,0-Schnitt etwa in Politikwissenschaften Karriere in einer Unternehmensberatung machen. Aber sollte eine sehr gute Note der Sinn und Zweck eines solchen Studiums sein? Sollte man aus dem Studium nicht deutlich mehr mitnehmen als bloß ein gutes Zeugnis?

Auch wenn es in den Statistiken nicht zu erfassen ist: Für das Studium sind genau diese motivierten Studierenden wichtig. Weil sie aus Interesse studieren – nicht allein aus Karrieregründen. Weil sie für ihr Thema brennen – und nicht einfach nur eine gute Note wollen. Vor allem aber, weil sie eine Idee haben, wofür sie studieren – und nicht nur gut sein wollen, weil man das eben so macht. Aber genau diese vielleicht etwas unzuverlässigen Studierenden mit dem weiteren Horizont, die ermittelt man ganz sicher nicht über den NC. Sondern nur im persönlichen Gespräch oder – wenn’s nicht anders geht – über ein Motivationsschreiben.

Die alleinige Lösung können Auswahlgespräche natürlich nicht sein. Auch sie beinhalten Verzerrungen. Aber sie unterbrechen immerhin den Automatismus aus Abiturnote und Uni-Zugang, der ein kaputtes und ungerechtes System zementiert. Quoten, beispielsweise für Migranten oder Arbeiterkinder, wären eine notwendige und richtige Ergänzung.

Ich hatte im Übrigen Glück: Am Ende quatschte ich mich ins Politikstudium. Thema des Gesprächs: der Numerus clausus und die Vergleichbarkeit von Abiturnoten. Es stellte sich nämlich heraus, dass die Uni eine Art Bewertungssystem entwickelt hatte, in dem es Punkte für die gewählten Leistungskurse gab. Und dieses System war an vielen Punkten genauso fehlerhaft wie die Auswahl über die Abiturnote. Die Professoren sahen das im Gespräch auch ziemlich schnell ein.

Daniel Erk ist freier Journalist und Autor, war Redakteur bei Zeit Online und Kolumnist für Neon. Für die taz betreib er das Hitlerblog, das 2010 mit einem Lead Award in Bronze ausgezeichnet wurde.