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Was ist die Scharia?

Und warum wird das Regelwerk in islamischen Staaten so unterschiedlich ausgelegt? Die wichtigsten Fragen und Antworten

Was ist die Scharia?

Die Scharia ist ein aus dem Koran und anderen islamischen Quellen abgeleitetes Regelwerk, in dem Gott (Allah) als oberster Gesetzgeber gilt. Beschrieben werden erwünschte, erlaubte oder verbotene Verhaltensweisen. Verbotene, also als sündhaft oder haram bezeichnete Verhaltensweisen werden gemäß der Scharia bestraft. 

Wie Jugendliche mit dem Scharia-Gesetz in Aceh (Indonesien) leben

Das islamische Rechtssystem ist sehr umfassend und beinhaltet auch Körperstrafen wie Prügel, Steinigung oder andere Formen der Todesstrafe. Sehr harte Strafen werden für Diebstahl, Ehebruch oder homosexuelle Handlungen verhängt. Da die Scharia aber keine kodifizierte Gesetzessammlung wie etwa das Grundgesetz ist, wird verbotenes Verhalten in verschiedenen muslimisch geprägten Ländern unterschiedlich interpretiert und bestraft. Der Ruf nach der Scharia wird zudem häufig von islamistischen Gruppen als politischer Kampfbegriff verwendet. 

Wo gilt die Scharia?

In der Verfassung mehrerer Staaten wird die Scharia als Quelle des Rechtsverständnisses genannt, so in Ägypten, Bahrain, Jemen, Kuwait, Libanon, Sudan, Libyen, Syrien und in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Vor allem im Familienrecht gilt sie dort als Grundlage der Gesetzgebung. In Saudi-Arabien, Oman, Pakistan und Afghanistan wird die Scharia in weiten Teilen mit der Rechtsordnung gleichgesetzt, die Länder werden deshalb auch „Gottesstaaten“ genannt. In einigen Ländern wie Nigeria oder Indonesien gibt es die Scharia nur in Teilgebieten, und in Malaysia wird nur die muslimische Bevölkerungsmehrheit nach den Scharia-Gesetzen gerichtet. 

Warum gibt es die Scharia in Indonesien?

Die Provinz Aceh wird als die „Veranda Mekkas“ bezeichnet, weil islamische Pilger früher durch die nördlichste Provinz Indonesiens reisen mussten, um heiligen Boden in Arabien zu erreichen. Auch deswegen hat sich der Islam in Aceh besonders manifestiert. 

Gleichzeitig gab es im vergangenen Jahrhundert immer wieder bewaffnete Kämpfe um Unabhängigkeit zwischen der „Bewegung Freies Aceh“ (GAM) und der Regierung. Eine wichtige Rolle spielt dabei die FPI, die Dokumenten auf Wikileaks zufolge schon lange von der Regierung als Geheimdiensttruppe unterstützt wurde. Im Zuge von Friedensverhandlungen nach der Tsunami-Katastrophe wurde Aceh dann in bestimmten Bereichen Autonomie zugestanden – und im Gegenzug erhielten Islamisten in einigen Punkten die Erlaubnis, die Scharia durchzusetzen.

Wie wird die Scharia in der Provinz Aceh ausgelegt?

In der indonesischen Provinz Aceh wird „sittenwidriges“ Verhalten wie Alkoholkonsum, Glücksspiel oder außereheliche sexuelle Aktivitäten bestraft, darunter fallen häufig auch homosexuelle Handlungen. Über andere Straftaten wird in Indonesien hingegen nach Gesetzestexten geurteilt. 

Das sittenwidrige Verhalten wird in der Provinz Aceh auch mit öffentlichem Auspeitschen geahndet, wobei ein vermummtes Mitglied der Scharia-Polizei die Strafe mit einem Rohrstock vollstreckt. Über die Fälle urteilt zuvor ein islamischer Richter – dazu hat die Provinz Aceh sogar ein modernes E-Portal eingeführt, in dem über Fälle informiert wird und über das Betroffene Beschwerden einreichen können. 

Bei der Prügelstrafe stehen das Bloßstellen und die Scham der Täter vor der islamischen Gemeinschaft im Vordergrund. Seit der endgültigen Einführung des islamischen Strafrechts im Oktober 2015 sollen laut Human Rights Watch mehr als 500 Menschen in Aceh ausgepeitscht worden sein. 

Titelbild: Fachrul Reza / Barcroft Images / Barcroft Media via Getty Images

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