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„Es ist eine antisemitische Kampagne“

Die BDS-Bewegung ruft dazu auf, das Pop-Kultur-Festival in Berlin zu boykottieren, weil Israel als Sponsor auftritt. Was soll man davon halten? Für den Antisemitismusforscher Samuel Salzborn ist die Sache klar

  • eine Zugabe

fluter.de: Wie ist „Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen“, kurz BDS, entstanden?

 

Samuel Salzborn: Die Bewegung erweckt den Eindruck, eine palästinensische Interessengruppe zu sein, die von Betroffenen organisiert wurde. Verschiedene Wissenschaftler haben aber gezeigt, dass man den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern nur zum Anlass genommen hat, israelfeindliche und antisemitische Artikulationen in ein neues Format zu gießen. Der Londoner Soziologe David Hirsh hat herausgefunden, dass es vor allem Aktivisten aus Westeuropa, insbesondere aus Großbritannien waren, die bei ihren Reisen in die palästinensischen Gebiete die dortigen Organisationen für ihre Kampagne begeistern wollten. Der österreichische Politikwissenschaftler Florian Markl wiederum zeigt, dass BDS in bestimmten Formulierungen und Wortpassagen auf Veranstaltungen zurückgeht, die im Iran stattgefunden haben.

 

Wie funktionieren die geforderten Boykotte?

 

Das Instrument des Boykotts ist politisch immer wieder eingesetzt worden. Dabei muss man sich stets die Frage stellen, was wie und mit welcher Begründung boykottiert wird. So wie BDS agiert, ist es ein Boykott, der nicht den demokratischen Staat Israel trifft, wo eine freie Marktwirtschaft herrscht, sondern Individuen. Man nimmt Einzelne in Haftung – nicht für etwas, das sie selbst tun, sondern für etwas, das sie angeblich sein sollen.

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Samuel Salzborn (TU Berlin)

Samuel Salzborn ist Gastprofessor für
Antisemitismusforschung an der TU Berlin. Im September erscheint sein neues Buch „Globaler
Antisemitismus. Eine Spurensuche in den Abgründen der Moderne“

(TU Berlin)

Boykotte gegen israelische Waren und Kulturevents treffen am Ende auch arabische Israelis. 

An diesem Punkt kommt eine Perfidität zum Ausdruck, die wir an vielen dieser propalästinensischen Kampagnen beobachten. Gerade diejenigen Palästinenser, die mit Israel zusammenarbeiten, die an Austausch und Dialog orientiert sind, sind oft von erheblichen Repressionen durch die palästinensische politische Führung betroffen. 

Die Frage ist, welche politische Ordnung BDS anstrebt. In der Grundsatzerklärung aus dem Jahr 2005 fordert die Kampagne ein Rückkehrrecht für arabische Bewohner des Staatsgebiets von Israel, die 1948 vertrieben wurden oder geflohen sind. Als „Flüchtlinge“ werden dabei auch ihre Nachkommen verstanden, inzwischen sind es Millionen Menschen.

Diese angebliche Vererbbarkeit des Flüchtlingsstatus ist ein zentraler Punkt. Man kennt das im internationalen Kontext nur aus einem anderen Fall: in Bezug auf die deutschen Flüchtlinge aus Osteuropa infolge des Nationalsozialismus. Die deutschen Vertriebenenverbände haben sich auch zurechtkonstruiert, dass es eine Vererbbarkeit der Flüchtlingseigenschaft gebe.

Unter anderem wegen der Forderung nach diesem „Rückkehrrecht“ für Vertriebene sagen viele Kritiker von BDS, die Kampagne wolle Israel kurzfristig sein Existenzrecht absprechen und langfristig den Staat zerstören.

 

Das sehe ich auch so. Die islamistische, im Gazastreifen regierende Terrororganisation Hamas proklamiert als ausdrückliches Ziel ihrer Politik die Vernichtung Israels. BDS muss man als flankierende Kampagne für den palästinensischen Terrorismus begreifen, weil es ihr darum geht, mittels einer Reihe von Lügen Israel zu delegitimieren. Ein Aspekt dabei ist, dass man mittels der Forderung nach einem „Rückkehrrecht“ bevölkerungspolitisch etwas durchsetzen möchte, das man politisch, rechtlich und historisch nicht sinnvoll begründen kann: indem man andere Mehrheitsverhältnisse schaffen will.

 

Die 2005 gegründete Bewegung „Boycott, Divestment and Sanctions“ (BDS) ruft zum Boykott israelischer Waren, Unternehmen und Künstler auf. Weil sich die israelische Botschaft mit 1.200 Euro an den Reisekosten dreier israelischer Künstler beteiligt, die im August beim Berliner Pop-Kultur-Festival auftreten, rief BDS Künstlerinnen und Künstler dazu auf, ihre Auftritte abzusagen. Mindestens fünf Acts aus den USA und Großbritannien haben dies bisher gemacht. Die Veranstalter halten derweil daran fest, dass „Diskurs und Dialog der einzige Weg sind, mit den Konflikten in dieser Welt umzugehen“.

Es geht also auch darum, wer bestimmte Territorien kontrolliert. Welche Gebiete meint die BDS-Kampagne, wenn sie das Ende der „Besatzung und Kolonisierung allen besetzten arabischen Landes“ fordert?

Wenn wir uns palästinensische Schulbücher anschauen, Landkarten, die verbreitet werden, oder Plakate, die auf Demonstrationen gezeigt werden, dann zeigt sich, dass mit „Besatzung“ ganz Israel gemeint ist – und nicht nur die von Israel seit dem Sechstagekrieg 1967 weiterhin kontrollierten Gebiete Westjordanland und Golanhöhen. Es ist in Bezug auf die Gründungsphase Israels auch immer wieder von „Siedlungskolonialismus“ die Rede, was historisch falsch ist. Nachdem Palästina 1920 als Völkerbundmandat an Großbritannien übertragen wurde, hat der Jüdische Nationalfonds begonnen, Land zu erwerben. Arabische Großgrundbesitzer haben dieses Land freiwillig verkauft, weil die Landpreise enorm in die Höhe geschnellt waren. Von Kolonialismus konnte dazumal also keine Rede sein. 

 

BDS wirft Israel vor, arabisch-palästinensischen Einwohnern Gleichheitsrechte abzuerkennen. Worum geht es da?

Gerade die Frage des israelischen Staatsangehörigkeitsrechts ist ein Dreh- und Angelpunkt der Diskussion. Auch Araber können die israelische Staatsangehörigkeit erwerben. Zwanzig Prozent der Bürger Israels sind Araber muslimischen oder christlichen Glaubens. Die Gesellschaft ist sehr plural, in mancher Hinsicht sogar mehr als manche Demokratien in Westeuropa. Das israelische Staatsangehörigkeitsrecht ist grundsätzlich nicht diskriminierend und nicht rassistisch. Kampagnen wie BDS machen es sich aber zunutze, dass grundlegende Informationen in Teilen der europäischen Bevölkerung nicht vorhanden sind und man sich so über etwas empören kann, was gar nicht real ist.

 

Die BDS-Kampagne kritisiert Israel in vielen Bereichen. Ist sie deswegen auch antisemitisch?

 

Man kann über BDS drei Dinge festhalten. Erstens: Wenn man auf die grundsätzliche Struktur dieser Bewegung schaut, sieht man, dass ein Großteil ihrer Annahmen und Behauptungen auf Lügen und falschen Vergleichen [unter anderem mit dem südafrikanischen Apartheidsregime, Anm. der Redaktion] basiert. Zweitens: BDS hat eine grundsätzlich israelfeindliche Ausrichtung. Drittens: In der Verbindung dieser Dimensionen ist es ohne Zweifel eine antisemitische Kampagne. Es gibt für die Antisemitismusforschung drei Schlüsselkriterien: Über die Delegitimierung haben wir bereits gesprochen. Dazu kommen die Dämonisierung und das Anwenden doppelter Standards. Wenn diese Kriterien mit Blick auf Israel zutreffen, geht es nicht um Kritik, sondern um Antisemitismus. Bei BDS sind alle diese Kriterien erfüllt.

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