Brüste, Blut, eine Zombiearmee – alles keine schlechten Voraussetzungen für den Erfolg einer Fernsehserie. Dass mit „Game of Thrones“ ausgerechnet eine nerdige Fantasysaga zum alle versammelnden Lagerfeuer vor der Glotze avanciert, liegt aber nicht nur an expliziten Bildern, viralem Marketing und viel Liebe zum Detail. Allen Drachen und magischen Kräften zum Trotz: „Game of Thrones“ ist im Grunde ein ziemlich gegenwärtiger Politthriller. Kein Wunder, dass Barack Obama zu den Fans der Serie zählt.

In George R. R. Martins Bücherreihe „Das Lied von Eis und Feuer“, auf der die Fernsehserie beruht, geht es nicht um Gut und Böse. Die Welt von Westeros und Essos, den zwei fiktiven Kontinenten der Serie, ist vielschichtig und komplex: Protagonisten, die in der einen Episode noch verhasst waren, werden in der anderen zu Sympathieträgern. Und Herrschafts- und Gesellschaftsformen, die einst noch funktioniert haben, werden plötzlich überworfen. Der Kampf um den „Eisernen Thron“ wird nach so unterschiedlichen Regeln und Überzeugungen gespielt, dass praktisch jeder etwas daraus lernen kann.

GoT für... EU-Kritiker

Die Sieben Königslande sind eine Art loser Staatenbund, in der jedes Herrscherhaus auf seine eigenen Interessen pocht. Zwar gibt es gemeinsam genutzte Institutionen, aber deren Erfolg ist immer gefährdet. Die militärische Einheit „Night's Watch“ etwa, die vor den Eindringlingen aus dem Norden schützen soll, verliert sich in internem Streit. Und die „Eiserne Bank von Braavos“,  haben die bankrotten Lannisters schon so oft um Kredite angepumpt, dass eine Staatspleite unabwendbar scheint. Manche sehen gar so viele Parallelen zwischen der EU und „Game of Thrones“, dass sie die Griechenland-Krise anhand der Serie erklären.

... für Feministen

Die zahlreichen Szenen, in denen Frauen verschenkt, misshandelt oder sonst wie gedemütigt werden, können nicht darüber hinwegtäuschen: Was Macht betrifft, stehen Frauen in „Game of Thrones“ Männern in nichts nach. Sei es die Kriegerin Brienne of Tarth, die rote Priesterin Melisandre oder das Badass-Mädchen Arya Stark – in der Serie sind es erfrischend oft die Frauen, die das Ruder herumreißen. Relativ klischeefrei, mehrdimensional und meistens auch ziemlich erbarmungslos.

... für Historiker

„Game of Thrones“ bedient sich neben der düstren Atmosphäre des europäischen Mittelalters auch konkreter Ereignisse: Die verfeindeten Familien Stark und Lannister zum Beispiel ähneln den Yorks und Lancasters, die sich im 15. Jahrhundert während der Rosenkriege in England bekämpften. Aber auch andere Zeitalter stehen Pate: Das knallgrüne „Seefeuer“, mit dem die Lannisters eine Invasionsflotte besiegten, erinnert an das „Griechische Feuer“, mit dessen Hilfe die Byzantiner im 7. Jahrhundert arabische Belagerer abwehrten. Der gewaltige Eiswall, der die Bewohner Westeros' von den Wildlingen und „White Walkers“ trennt, lässt wiederum an den Hadrianswall nördlich von Newcastle denken, der das römisch besetzte Britannien einst gegen die Stämme der Pikten und Iren schützen sollte.

Die Schwulen, Schwarzen und Sklaven, die Waisen, Wilden und Verstümmelten – es sind vor allem die Ausgegrenzten, die zu Helden werden

... für Integrationsbeauftragte

In Hollywoodproduktionen, deren Protagonisten ähnlich machtbesessen sind wie jene von „Game of Thrones“, sind es meist gestählte Alphatiere, die das große Spiel machen. In „Game of Thrones“ ist das anders. Die Schwulen, Schwarzen und Sklaven, die Waisen, Wilden und Verstümmelten – es sind vor allem die Ausgegrenzten, die zu Helden werden. Da ist zum Beispiel der Kleinwüchsige Tyrion Lannister, ein wahrer Intellektueller und bekennender Hedonist („That's what I do. I drink and I know things.“). Da ist der geistig behinderte Diener Hodor, der durch Willensstärke und Körperfülle den Jungen Bran Stark – der wiederum querschnittsgelähmt ist – vor den Zombies rettet. Und dann gibt es da noch ein ganzes Volk, dass es zu integrieren gilt: Die wüsten „Wildlings“. Vor den Untoten flüchten sie gen Süden und müssen dort erstmal gegen Vorurteile kämpfen.

... für Klimaforscher

„Winter is coming“ beschwören die Starks, das sympathischste der sieben Adelshäuser Westeros', bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Die finsteren Mienen, die sie dabei tragen, lassen erahnen: Winter bedeutet nicht, sich vor den Kamin zu kuscheln und Plätzchen zu backen. Winter bedeutet Gefahr. Nach einem ungewohnt langen Sommer steht Westeros eine Kälteperiode bevor, deren Ende unabsehbar ist. Immer, wenn die Starks ihr „Winter is coming“ raunen, mahnen sie dazu, sich vorzubereiten – vor dem Klimawandel und schließlich auch vor den bestialischen „White Walkers“, die sich unaufhaltsam aus dem Norden nähern. Die meisten anderen haben für diese Warnung nur ein mildes Lächeln über. Für sie klingt der Klimawandel nach einem Ammenmärchen.

... für Neo-Reaktionäre


Die soziale Hierarchie der Sieben Königslande gleicht einer Pyramide: Oben ein totalitärer König, darunter die Herrscherhäuser. Dann kommen Ritter und an unterster Stelle die Lehnsleute, das gemeine Volk. Ganz undemokratisch geht es in der feudalistischen Welt von „Game of Thrones“ aber dennoch nicht zu. So wählen die Ritter der „Night's Watch“ ihren obersten Kommandanten durch eine anonyme Abstimmung. Auch die „Wildlings“, die sich selbst als „freies Volk“ bezeichnen, wählen ihre Häuptlinge. Das Fußvolk von Westeros nennen sie dagegen abschätzig „Die Knienden“ und denken gar nicht daran, sich deren Adel oder König zu unterwerfen. Auf den „Eiseninseln“ gibt es sogar eine Art Wahlkampf um die oberste Position, inklusive inbrünstiger Wahlversprechen. Und Daenerys Targaryen will die unfreien Sklavenhaltergesellschaften sowieso über den Haufen werfen. Doch wenn erst einmal an der Macht – egal, ob nun durch Abstimmung oder Abstammung – werden die Anführer in „Game of Thrones“ meist zu autoritären Herrschern. Dass die meisten Menschen kein Mitspracherecht besitzen, kümmert sie recht wenig.

In England wurde ernsthaft diskutiert, ob man mit marxistischer Geschichtstheorie das Ende der Serie voraussagen könne

... für Revolutionäre

Korrupte Königshäuser, inzestuöse Herrscher und kein Geld für die Armen – das Volk hat seine Anführer satt. Was, wenn jetzt jemand käme, der eine neue Richtung einschlägt? Die Sprache des Volkes spricht und ihre Leiden versteht? Die junge Daenerys „Mother of Dragons“ Targaryen macht genau das. Das Politestablishment, nämlich die um sich selbst kreisenden Adelshäuser von Westeros, sind für sie nichts weiter als Speichen eines Rades: „Mal ist diese Speiche oben, mal jene, das Rad dreht sich weiter und weiter und zerdrückt die am Boden". Daenerys befreite die Sklaven der Stadt Astapor in „Slaver's Bay“, ermutigte die Sklaven von Meereen zum Aufstand und sammelte das Nomadenvolk Dothraki hinter sich. Mit ihrer Hilfe will Daenerys das Rad des Establishments nicht nur stoppen. Sie will es zerbrechen. Noch ist Daenerys Armee klein, doch durch ihre selbstherrliche und aufbrausende Art schafft sie es, das Volk einzunehmen. Fällt der Feudalismus? Und was kommt dann? In England wurde ernsthaft diskutiert, ob man mit marxistischer Geschichtstheorie das Ende der Serie voraussagen könne (hier und hier).

... für religiöse Fanatiker

Der „Kriegerische Arm des Glaubens“ ist ein militärischer Orden, der seine Religion „Glauben an die Sieben“ mit Gewalt durchsetzt. Die fanatische Miliz verfolgt „unmoralische“ und in ihren Augen lasterhafte Menschen. Sich mit Frauen vergnügen, über den Durst trinken oder als Mann einen Mann lieben? Geht gar nicht!

... für Sozialarbeiter

Gäbe es in der Welt von „Game of Thrones“ so etwas wie ein Jugendamt – es hätte alle Hände voll zu tun. Eltern, die ihre Kinder lieben, no matter what? In Westeros die absolute Ausnahme. Stattdessen gibt es Väter, die ihre Kinder psychisch missbrauchen, eine Mutter, die ihre Tochter  wegen einer Hautkrankheit wegsperrt, einen Vater, der seine Töchter vergewaltigt... Manche Charaktere kommen über ihre schlimmen Erlebnisse hinweg. Eine gewisse Prädisposition für schwierige Lebensverläufe ist bei ihnen aber zu vermuten.

Illustration: Héctor Jiménez