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… und Gedanken frei: Der „Kahvehane“-Podcast bespricht, was People of Color bewegt

Fatima Remli und Erdal Erez, Kahvehane Podcast

Über Sex und Scham, Aberglaube, Rassismus und Männlichkeit: Vorurteile herauszufordern, die in türkischen, kurdischen, alevitischen oder arabischen Communitys verbreitet sind, ist das Prinzip des Podcasts „KAHVEHANE“ vom „renk.“-Magazin. Wir haben die Hosts Fatima Remli und Erdal Erez kurz vor der nächsten Aufzeichnung erwischt, um sie zu fragen, wie weit sie dabei gekommen sind.

fluter.de: Vier Monate und neun Folgen „KAHVEHANE“. Wie sind die Reaktionen bisher?

Fatima: Der Podcast kommt gut an. Eine Folge bekam bisher mit Abstand am meisten Resonanz: die zu Sexualität. Das war schon heikel: Ich, als arabische Frau, die sich selbst als Muslimin bezeichnet, spricht über Sex. Das Feedback war aber fast nur positiv. Mir haben viele Frauen geschrieben, die begeistert waren, wie offen ich spreche.

Das klingt so, als würdet ihr es schaffen, Menschen außerhalb liberaler Bubbles zu erreichen?

Erdal: Die Sache mit den Bubbles ist verflixt. Ich glaube, wer sich für unsere Themen interessiert, findet seinen Weg zum Podcast. Aber klar: andere eben nicht. Dabei sind die Themen, die wir im Podcast besprechen, für Menschen unterschiedlichster Communitys interessant.

Fatima: Wir geben uns auch Mühe, den Podcast zugänglich zu machen. Wir zeigen uns verwundbar, sind selbstkritisch. Die Hörer*innen sollen ruhig merken, dass wir bei weitem nicht alles wissen. Was wir im Podcast sagen, gilt nur für uns und unsere Beobachtungen. Ich glaube, das kommt gut an.

Euer Podcast ist explizit antirassistisch und weist auf die oft missliche Darstellung von Muslim*innen oder anderen Minderheiten in Deutschland hin. Was läuft schief, dass das noch immer notwendig ist?

Erdal: Ich gehöre zur Generation Deutschtürken, die in Deutschland geboren ist, aber immer noch mit denselben Problemen kämpft, die schon unsere Eltern als Gastarbeiter*innen hatten. Wir haben es bis heute schwerer, in Clubs zu kommen, einen Job oder die richtige Wohnung zu finden. Viele Institutionen, ob in der Politik, in den Medien oder in der Kultur, müssen diverser besetzt werden. Sie spiegeln unsere Gesellschaft nicht wider.

Fatima: Wir haben ein großes Problem mit Rassismus in Deutschland. Es muss sich viel ändern. Dass das so lange dauert, liegt sicher mitunter auch daran, dass unsere Politiker*innen im Schnitt so alt sind. Wir brauchen mehr Diversität und viel mehr junge Menschen mit neuen Blickwinkeln in wichtigen Positionen.

Erdal: Das ist im Grunde auch, was wir mit dem Podcast wollen: herausschreien, dass wir, also Menschen mit Migrationshintergrund, ein Teil Deutschlands sind und dass Menschen ohne Migrationshintergrund damit klarkommen sollten. Wir wollen, dass das „Ihr“ verschwindet und nur noch ein „Wir“ bleibt. Das geht aber nur, wenn wir einen Draht zueinander finden und die Gewohnheiten des anderen verstehen und akzeptieren.

„Toxische Männlichkeit war uns als Thema für den Podcast besonders wichtig. Türkische Jungs sollten weinen und ihre Gefühle zeigen dürfen“

Was können die deutschen Medien dazu beitragen?

Erdal: Ein Beispiel: Als die deutschen Medien vermeldeten, dass eine Mainzer Firma den Corona-Impfstoff entwickelt habe, haben viele mit keiner Silbe erwähnt, dass die Forscher*innen einen türkischen Background haben. Sobald es etwas Negatives über People of Color, Araber*innen oder Deutschtürk*innen zu berichten gibt, sind die Schlagzeilen aber voll. Viele Medien müssen meiner Meinung nach sensibler mit ihrer Sprache umgehen – und erkennen, welche Deutungshoheit sie über die Wahrnehmung vieler Communitys haben.

Was entgegnet ihr Menschen in Deutschland, die Angst vor sogenannten Parallelgesellschaften haben?

Erdal: In den 60er- und 70er-Jahren dachten die Gastarbeiter*innen, dass sie höchstens zwei oder drei Jahre in Deutschland bleiben dürfen. Ich hätte mich an deren Stelle auch nicht verändert und das Leben lieber so weitergelebt wie zu Hause. Es ist bis heute eine riesige Aufgabe für Menschen mit Migrationshintergrund, sich mit Deutschland zu identifizieren. Sie müssen noch immer doppelt so viel leisten, um das Gleiche zu erreichen wie Menschen ohne Migrationshintergrund. Ich bin fast 40 und habe oft das Gefühl, dass ich hier nicht dazugehöre. Ich stehe da mittlerweile drüber – verstehe aber auch, dass andere das nicht schaffen.

Fatima: Ich finde es vor allem schade, wenn Menschen mir mit Angst begegnen. Wir, die mit Migrationshintergrund, sind schließlich die, die Gewalt erleben in Form von rassistischer Diskriminierung oder fehlender Solidarität. Die Gesellschaft kann doch dankbar für die sprachliche, kulinarische, filmische oder literarische Vielfalt Deutschlands sein. Die Erzählung von der Parallelwelt halte ich für eine absurde Illusion. Klar gibt es arabische Clans. Aber die werden medial viel größer gemacht, als sie wirklich sind.

Könnt ihr auch in den deutschtürkischen Communitys Vorurteile widerlegen?

Erdal: Klar. Wir haben beispielsweise über Traditionen bei türkischen Hochzeiten gesprochen, die oft nicht hinterfragt werden: Die Braut bekommt häufig von ihrem Bruder eine rote Schleife um die Hüfte gebunden, die ihre Jungfräulichkeit symbolisieren soll. Viele finden diesen Brauch romantisch, obwohl er sexistisch ist. Überhaupt brechen bei Geschlechterfragen viele Tabus und Vorurteile: Toxische Männlichkeit war uns als Thema besonders wichtig. Die Mannwerdung türkischer Jungs soll gern gefeiert werden, aber trotzdem sollten sie weinen und ihre Gefühle zeigen dürfen.

Worum geht’s in den nächsten Folgen?

Erdal: Wir sprechen in den nächsten Folgen über andere dunkle Seiten von Bräuchen, über Datingportale, Homosexualität …

Fatima: … und darüber, wie es ist, über 30, aber noch unverheiratet zu sein.

Titelbild: Jan Philip Welchering

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.