Manchmal überkommt Marc Volmerhaus die Angst. Dass alles schiefgeht, fürchtet er dann. Vor allem nachts, in seinen Träumen. „Dann bin ich im Krankenhaus“, erzählt er. „Es geht mir nicht gut – und ich finde mich in dem unübersichtlichen Gebäude nicht zurecht, kann mich nicht orientieren, weiß nicht wohin.“ Ein beklemmendes Gefühl. In anderen Nächten kommen die Wände und die Decke immer näher, der Raum wird enger, bedrängt ihn. Schweißgebadet wacht er auf.

Dass Volmerhaus ausgerechnet von Räumen träumt, passt zu seinem Beruf. Der 50-Jährige ist Architekt. Freischaffend. Vor zwölf Jahren hat er sich selbstständig gemacht. Dass seine Ängste eigentlich unbegründet sind, offenbart ein Blick in sein Büro in Berlin-Wilmersdorf: eine weitläufige Industrieetage, hohe Decken, viel Beton. Fünf Menschen gehören zu seinem Team. Drei fest angestellte Architekten beschäftigt er, einen Ingenieur und eine Teamassistentin. „Meine rechte Hand“, wie er sagt.

Auch Aufträge hat Volmerhaus. Vor allem Büroumbauten gehören dazu und auch ein Mehrgenerationenhaus in Spandau. Sein bislang größtes selbstständiges Projekt war die Sanierung eines Bürogebäudes der Agentur für Arbeit in Berlin-Lichtenberg. Wie zum Beweis geht der großgewachsene Mann aus dem Raum und kommt mit einer Tafel zurück. Darauf zu sehen ist ein lang gezogenes Bürogebäude mit bunter Glasfassade. Freundlich sieht das aus. Kein Anblick, den man jeden Tag sieht. Trotzdem wird Volmerhaus das Gefühl nicht los, dass andere in seiner Branche an ihm vorbeigezogen sind.

Es ging rasant nach oben: ein Wohnkomplex mit 80 Wohnungen, der Bau des Bundespresseamt

Dabei lief anfangs alles nach Plan. Volmerhaus ist Architekt in dritter Generation. „Ich war schon als Kleinkind auf der Baustelle“, erinnert er sich. Zum Studium zog er 1985 nach Berlin. „Mir ist das unheimlich leicht gefallen“, erinnert er sich. „Ich war zwar nie ein guter Schüler, aber dann ein guter Student.“

Er hatte seine Diplomarbeit noch nicht abgeschlossen, da bekam er schon das erste Jobangebot von einem Architekturbüro. Nach einem Jahr leitete er das erste Projekt: ein Wohnkomplex mit 80 Wohnungen. Auch seine zweite Stelle war vielversprechend. Nach nur drei Jahren heuerte Volmerhaus bei einem anderen großen Büro an – 200 Mitarbeiter und sechs Standorte weltweit. Kurze Zeit später übernahm er die Projektleitung für den Bau des Presse- und Informationsamtes der Bundes­regierung in Berlin. Projektvolumen: 180 Millionen Euro.

Mitte 30 war er da und arbeitete täglich 12 bis 14 Stunden, um das vor­gegebene Pensum erfüllen zu können. Seine Beziehung ging darüber in die Brüche. „Ich habe damals alles meiner Karriere geopfert“, sagt er rückblickend. Wäre er noch heute in diesem Büro, er könnte sich wohl mit weiteren Prestigeprojekten schmücken. Denn das Büro plante in den darauffolgenden Jahren auch große internationale Bauten. Doch nach dem Bau des Bundespresseamtes war Schluss.

Grow or Go - Marc Vollmerhaus entschied sich für zweiteres 

„Egal wie erfolgreich man ist“, sagt Volmerhaus nachdenklich, „man merkt irgendwann, dass es Kollegen gibt, die noch mehr Fleiß an den Tag legen. Die Luft wird dünn da oben.“ Ein Jahr blieb er noch, nachdem das Projekt abgeschlossen war, dann wechselte der Geschäftsführer im Berliner Büro. Bei der Neuvergabe der erhofften Büroleiter­stelle ging er leer aus. Das Angebot, nach Köln zu wechseln, schlug er wegen seiner kleinen Tochter aus. „Dann war klar, dass meine Karriere dort zu Ende ist.“

Das war 2002. Ein Krisenjahr auch in der Architekturbranche. Volmerhaus wagte dennoch den Schritt in die Selbstständigkeit. Dass er heute – zwölf Jahre später, wieder verheiratet und mittlerweile Vater von drei Töchtern – bisweilen Albträume hat, liegt auch daran, dass er selbst ein anderer geworden ist.

„Früher, als ich noch für die großen Büros arbeitete, war ich ein viel oberflächlicherer Mensch“, sagt er. Ein Anrennen nach oben sei das gewesen. „Damals habe ich Leute einfach so entlassen“, erinnert er sich. „Heute will ich, dass wir hier alle wie eine Familie zu­sammenarbeiten.“ Das zeige auch sein Firmenname. „Tectur“ hat er seinen Betrieb getauft und damit anders als viele andere Architekturbüros auf seinen Namen in der Bezeichnung verzichtet.

„Alle, die bei mir arbeiten, sind fest angestellt“, sagt Volmerhaus. Bei großen Büros sei das oft anders. Dort arbeiten freischaffende Architekten in der Regel projektgebunden. Auch sind junge Architekten oft bereit, sich für einen bekannten Büronamen ausbeuten zu lassen. Gibt es keine Aufträge, müssen sie gehen – und kosten nichts weiter.

„Ich übernehme die Verantwortung für meine Leute, auch wenn sich ein Projekt in die Länge zieht und deshalb nichts einbringt oder der Bauherr nicht zahlt.“ Das kann manchmal eine gedankliche Abwärtsspirale in Gang setzen: Ich habe mich mit dem Projekt übernommen, mag der erste Impuls lauten. Was danach folgt, wird immer nur noch schlimmer: Mein Erspartes wird nicht reichen, um den Engpass auszugleichen; ich werde Leute entlassen müssen; meine Kunden merken, dass ich in Schwierigkeiten bin; ich bekomme keine neuen Aufträge mehr. O Gott, ich lande in der Gosse! „Ängste sind ja völlig irrational“, sagt Volmerhaus. Um ihnen vorzubeugen, denkt und handelt er, was das Geschäftliche betrifft, konservativ. Das heißt: An großen Ausschreibungen für öffentliche Gebäude teilzunehmen ist in dieser Lage schwierig. Gleichwohl sind es aber diese Architekturwettbewerbe, die dem Gewinner Ruhm und Ehre versprechen. „Im Grunde müsste ich einen weiteren Architekten beschäftigen, der sich nur um solche Wettbewerbe kümmert“, erklärt er, „denn so was gewinnt man nicht gleich beim ersten Mal. Da muss man schon bei ein paar mitmachen, um in der Liga der ganz Großen mitzuspielen.“ Ein Ziel, das Volmerhaus noch erreichen will – irgendwann. 

Marlene Halser ist Mitarbeiterin der taz und freie Autorin. Mit Vorliebe schreibt sie über Randphänomene, die sich etwas abseits des politischen Hauptgeschehens abspielen.

Foto: Victor Enrich