Der Volkswirt Niko Paech bezeichnet sich als „Postwachstumsökonom“. Fragt man ihn, so führt das allgemeine Streben unseres Wirtschaftssystems nach immer größerem Wachstum ins ökologische und soziale Verderben. Nicht nur das – jeder einzelne werde früher oder später überfordert sein und auf einen Konsum-Burnout zusteuern. Soweit die These – und die praktische Erfahrung? Der vorweihnachtliche Kaufrausch schien ja auch in diesem Jahr wieder ungebrochen. Also haben wir mal nachgefragt.

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In dem Instagram Account @miserable_men haben User Bilder von erschöpften Männern in Malls weltweit gesammelt. Sie ähneln sich alle sehr – die Männer und auch die Einkaufszentren. Unten mehr davon (@miserable_men)

In dem Instagram Account @miserable_men haben User Bilder von erschöpften Männern in Malls weltweit gesammelt. Sie ähneln sich alle sehr – die Männer und auch die Einkaufszentren. Unten mehr davon

(@miserable_men)

Fluter: Wenn ich zurzeit durch die großen Shopping-Malls laufe, habe ich erstmal gar nicht den Eindruck, dass da viele Leute kurz vor dem Konsum-Burnout stehen. Wo sehen Sie Anzeichen dafür?

Niko Paech: Heroinsüchtige sehen auch nicht so aus, als hätten sie etwas gegen den Stoff einzuwenden, sie betteln sogar darum. Menschen kaufen Dinge wegen ihrer emotionalen, vor allem auch symbolischen Funktionen, zuweilen sogar aus defensiven Erwägungen: Wenn mein Dresscode oder Smartphone nicht dem Standard meiner Arbeitskollegen entspricht, stehe ich wie ein Freak da. Wenn ich meinen Kindern keine hinreichende Konsumausstattung gewähre, gelte ich als asozial, reaktionär oder prekär. Der damit erzeugte Stress untergräbt unsere psychische Gesundheit, was an vielen Symptomen abzulesen ist.

Sie sprechen von einem zunehmenden „Konsum-Burnout in der modernen Bequemokratie“.

Ich benutze diesen Begriff als Metapher für eine Situation, in der die psychischen Ressourcen nicht mehr ausreichen, jene Dinge stressfrei zu verarbeiten, die wir uns kaufen. Menschliche Ressourcen, die zur Verarbeitung von Information und zum Genuss vonnöten sind, speisen sich aus Zeit. Aber Zeit wird mit zunehmender materieller und terminlicher Überhäufung immer knapper. Jede Information, jeder Reiz und jede bewusste Handlung verschlingt ein Quantum der nicht vermehrbaren Zeit, weil Menschen nicht multitaskingfähig sind. Das endet in einer Paradoxie: Wir werden rechnerisch immer reicher, während wir innerlich veröden. Schauen Sie sich den phänomenalen Zuwachs an Antidepressiva-Verschreibungen an.

Aber das hat doch vermutlich nicht zuerst mit Konsumdruck, sondern mit dem heutzutage allgemein hohen Zeit- und Leistungsdruck zu tun.

Der allgemeine Leistungsdruck kommt erschwerend hinzu. Insbesondere der Mobilitäts- und Kommunikationszwang sowie das, was das Arbeitsleben abverlangt. Die Grenze zwischen privater und beruflicher Sphäre wird zusehends nebulös, vor allem aufgrund ortsungebundener Handlungen mit Hilfe von digitalen Medien.

Warum glauben Sie, dass die Menschen durch das große Angebot unter Druck geraten? Jeder kann sich doch ein paar wenige Dinge rauspicken.

Neben der sozialen Funktion des Konsums gibt es eine emotionale Dimension: Es geht hier oft um Kompensation –  sich durch kurzfristige, oft blitzartige Kauferlebnisse einen Kick zu geben, der von einer zunehmenden Orientierungslosigkeit ablenkt. Wie bei einer Droge oder einem Schiffbrüchigen, der seinen Durst mit Salzwasser stillen will, wird das Problem damit aber nur verschärft, und die nötige Dosis nimmt zu.

Wie reagieren die Menschen auf den steigenden Konsumdruck?

Die Reaktionsmuster sind unterschiedlich. Sie reichen von der Konsumverweigerung, die nur eine Minderheit praktiziert, bis zur bequemen Konstruktion von Ausreden, für die sogar nach wissenschaftlichen Grundlagen gesucht wird. Schauen Sie sich jene Medien- und Erziehungswissenschaftler an, die nicht nur begründen, warum jeder Fünfjährige ein Tablet haben sollte, sondern sogar darlegen, warum Computerspiele hinsichtlich ihrer Wirkung auf Kinder differenziert zu sehen und gar nicht unbedingt abzulehnen seien. Vor allem wird jede konsumkritische Diskussion als freiheits- und fortschrittsfeindlich gebrandmarkt – gerade von den Intellektuellen.

Der Anbieter von persönlichen Events und Extremsporterlebnissen „Jochen Schweizer“ wirbt mit dem Slogan: „Du bist, was du erlebst“. Gibt es die Angst, aus Erlebnismangel nichts mehr zu gelten?

Märkte und Menschen offenbaren materielle Sättigungsgrenzen. Deshalb lässt sich die Konsumdynamik nur fortsetzen, wenn es regelmäßig zu sprunghaften Neuerungen kommt. Was materielle Güter zur Identitätsbildung beizutragen vermögen, ist in modernen Konsumdemokratien weitgehend ausgeschöpft. Die darauf folgende Steigerungsstufe besteht dann eben darin, den individuellen Aktionsradius auszuweiten, um mehr aus sich rauszuholen im Sinne des Konsums von Erlebnissen.

Ich selbst als über 40-Jähriger finde mich in Ihrer These durchaus wieder. Aber junge Menschen empfinden das doch meist ganz anders und sind noch nicht so gesättigt.

Wissen Sie, es bedarf einer Fortschrittsgläubigkeit, die ich nicht habe, um sich über die Begrenztheit psychischer Ressourcen hinwegsetzen zu wollen. Die jungen Leute sind einer historisch nie dagewesenen Reizüberflutung und Optionenvielfalt ausgesetzt. Zugleich konnte die Evolution nicht schnell genug nachrüsten, das heißt, der heutige Mensch hat keine signifikant höhere Hirnleistung als ein Steinzeitmensch. Dies nicht einsehen zu wollen hat einen Preis, den wir noch gar nicht abschätzen können. Je mehr digitales Spielzeug, konsumtiven Komfort, Mobilität und Reizdröhnungen wir jungen Menschen angedeihen lassen, desto mehr verkümmern bestimmte Fähigkeiten. Zudem entbrennt eine Verwendungskonkurrenz um knappe, niemals vermehrbare Aufmerksamkeit. Konkret: Was ich an Aufmerksamkeit dem Smartphone widme, steht nicht mehr für das Lernen schulischer Inhalte zur Verfügung. Das Resultat ist eine Mischung aus Verblödung und langsamer Senkung der Ansprüche unseres Bildungssystems, das ja darauf beruht, immer mehr Menschen zu Akademikern werden zu lassen. Das wiederum senkt die Leistungsfähigkeit der späteren Arbeitnehmer und somit die Produktivität der Wirtschaft.

Sollten wir nicht froh sein, dass wir in materiellem Wohlstand leben und diese Konsummöglichkeiten haben? Viele Menschen in weniger wohlhabenden Ländern beneiden uns darum.

Gegenfrage: Wer gibt uns das Recht auf diesen Wohlstand, von dem jeder weiß, dass er ökologisch verantwortungslos ist und nicht das Resultat eigener physischer Arbeit sein kann?

Werden die Menschen so weiterkonsumieren, oder erwarten Sie einen gesellschaftlichen Wandel hin zum Konsumverzicht?

Beides findet parallel statt. Es gibt gleichzeitig rücksichtslose Egomanen und postwachstumstauglich lebende Zeitgenossen. Letztere nehmen eine sehr wahrscheinliche Zukunft vorweg. An diesen Pionieren können sich andere orientieren, wenn der Laden, so wie in Griechenland, zusammenkracht.

Was ist für Sie Lebensqualität?

Gefühltes Wohlergehen bei gleichzeitigem Bewusstsein, nicht über die materiellen Verhältnisse zu leben.

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cms-image-000047774.png (Foto: privat)
(Foto: privat)

Niko Paech ist Volkswirt und hat seit 2010 eine Gastprofessur am Lehrstuhl für Produktion und Umwelt („PUM“) an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Schwerpunktmäßig forscht er in den Bereichen Umweltökologie, Ökologische Ökonomie und Nachhaltigkeitsforschung. Sozusagen: Alles im grünen Bereich bei ihm.