Es ist hartes Zeug, was in diesen Leserbriefen und Mails steht: „Bepimmelter Kackmuslim“ oder „Türkische Islam-Muschi“ zum Beispiel. Rassistische und sexistische Beleidigungen wie diese gehen an die Adresse von Journalisten, die das haben, was man „Migrationshintergrund“ nennt und deren Namen nicht bio-deutsch klingen. Über solchen Hass kann man sich ärgern, in schlimmeren Fällen die Polizei einschalten oder vor Gericht klagen. Es gibt aber auch einen anderen Weg, mit solchen  Einschüchterungsversuchen umzugehen. Man bringt sie auf die Bühne – und macht sich lustig über sie. „Hate Poetry“ heißt die unterhaltsame Show, bei der Journalisten von „Spiegel“„Zeit“„taz“ oder anderen Medien im Stil eines Poetry-Slams aus Hassbriefen vorlesen. Dann lassen sie das Publikum über die heftigste Beschimpfung abstimmen. Mit Humor gegen Intoleranz: „Hate Poetry“ begann mit Auftritten in Berlin, inzwischen ist die Show in der ganzen Republik unterwegs, zuletzt auch in Dresden, wo Pegida-Demonstranten gegen die angebliche „Islamisierung des Abendlandes“ auf die Straße gehen.

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Hate Poetry – Die wahrscheinlich beste Antwort, die Journalisten je auf rassistische Hassbriefe von Lesern eingefallen ist (Thies Rätzke)

Hate Poetry – Die wahrscheinlich beste Antwort, die Journalisten je auf rassistische Hassbriefe von Lesern eingefallen ist

(Thies Rätzke)

Erfunden wurde die Show vor drei Jahren von der freien Journalistin Ebru Taşdemir. „Der Ursprung der Idee war ein Hassbrief, den eine befreundete Schriftstellerin erhalten hatte. Der begann mit der Anrede: Sehr geehrte Frau Arschloch.“ Die Kollegin habe ihr noch mehr unfassbare Beleidigungen vorgelesen, doch gemeinsam habe man sich darüber amüsieren können. „So kamen wir auf die Idee einer Lesung – und der erste Auftritt im ‚taz‘-Café im Januar 2012 war dann ein solcher Erfolg, dass wir weitermachen mussten.“

Beim ersten Mal waren neben Taşdemir auch die „taz“-Journalisten Deniz Yücel und Doris Akrap, der heutige „Zeit“-Kollege Yassin Musharbash sowie die Kolumnistin und Publizistin Mely Kiyak dabei. „An diesem Abend las Deniz seine Briefe noch aus dem Karton vor, er hatte Stapel von Umzugskartons voller Briefe mitgebracht“, erinnert sich Kiyak. „Yassin hatte seine Briefe damals schon gefaltet in der Brusttasche des Anzugs. Ich kam businessmäßig mit Leitz-Ordnern. Im Laufe der Jahre erweiterten wir den Revuecharakter. Unser Markenzeichen: Wir fallen mit Aldi-Tüten über die Provinz her, verwüsten sie und ziehen wieder ab. Wie man es von Karstadt aus dem Winterschlussverkauf kennt.“

Das Konzept der Show beschreibt Kiyak so: „Sie schreiben, wir lesen. Der Scheiß muss in die Umlaufbahn zurück.“ Die Zitate, die die Zuschauer zu hören bekommen, sind derb. Das macht schon Kiyaks Kurzüberblick über das Beleidigungsspektrum deutlich: „Für türkische Nationalisten sind wir kurdische Faschisten. Für Deutsche sind wir Ziegenficker. Für Ossis sind wir die Bedrohung des Abendlandes, aber im Rahmen des Länderfinanzausgleichs. Man projiziert in uns rein, was man braucht. Eines aber sind wir nie: einfach nur Journalisten.“

Ein typischer Abend läuft so ab: Die Journalisten sitzen auf der Bühne an einem festlichen Tisch und trinken und essen beim Lesen auch mal was. Die Hassbriefe und -mails werden in fünf Kategorien eingeteilt, und das Publikum darf über die besten entscheiden. Dabei wird die Bühne mit kitschigen Requisiten dekoriert, und die Kollegen verkleiden sich. „Wenn wir die türkische Fahne zeigen oder ein Hirschgeweih, wenn wir Kopftuch oder Fez tragen, dann spielen wir mit Klischees“, sagt Ebru Taşdemir. „Wir verweigern uns der Einordnung. Die Leserbriefschreiber wollen ja gerne festlegen, was deutsch ist und was nicht deutsch ist, wer hierhergehört und wer nicht.“

Widerstands-Tingeltangel ohne Metaebene und Integrationsangebot

Die Show, sagt Taşdemir, sei allerdings alles andere als eine Opferveranstaltung: „Das ist das Wichtigste – Party statt Opferdiskurs!“ Das kann Mely Kiyak nur unterstreichen. „Hate Poetry“ sei weder Betroffenheitsrevue noch Analysecouch. „Es ist unsere Form des Aufbegehrens. ,Hate Poetry‘ ist Widerstand, wir machen Widerstands-Tingeltangel ohne Metaebene und Integrationsangebot.“

Zweifellos hallen in dem, was bei der „Hate Poetry“-Show vorgelesen wird, die Folgen des 11. September 2001 nach, Sarrazin und der Pegida-Populismus sorgen für Hass-Konjunkturen. Und alle noch so gut gemeinten öffentlichen Debatten scheinen die Beleidiger nur anzuspornen. „Der Diskurs, der in der Woche – angefangen bei Maischberger über Plasberg und Jauch, die Presseerklärung der CSU oder eine Intervention eines AfD-Vorstandes – läuft, kulminiert am Ende der Woche in einem gepfefferten Leserbrief an ,Hate Poetry‘. Dort wird zusammengerührt, was nicht zusammengehört“, sagt Kiyak. „Aber die Leser haben das von uns Medien gelernt. Solange wir Medien uns angesichts von Terrorismus immer noch nicht mit der politischen und sozialen Dimension dieses Problems beschäftigen, sondern wie verrückt im Koran nach Erklärungen suchen, wird es auch der Leser tun.“

Und wie sieht es nach den Anschlägen von Paris aus? Was meint die Kolumnistin: Stehen manche positiven Entwicklungen der letzten Jahre nun wieder auf der Kippe? „Meine Liebe im Herzen ist stärker als der Glaube eines Salafisten an seinen Gott und stärker als die Liebe eines Pegida-Anhängers zu Bernd Lucke“, sagt Kiyak. „Meine Liebe besiegt alles und steht über allem. In Zeiten wie diesen sollte ohnehin jeder nur für sich sprechen. Alles andere: Kismet.“ Das ist Türkisch und bedeutet „Schicksal“.