Sie alle trauerten mit – in Paris nach den Anschlägen auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ Anfang Januar. Die Außenminister aus Ägypten, Algerien und den Vereinigten Arabischen Emiraten, der Ministerpräsident der Türkei, Ahmet Davutoğlu, – und sogar der Botschafter aus Saudi-Arabien. „Was für eine Farce!“, dachte sich der Karikaturist Ahmed Rahma und zeichnete: Seine Karikatur zeigt ein dickes schluchzendes politisches Oberhaupt aus der arabischen Welt, das ein „Ich bin Charlie“-Schild in der Hand hält. Der Mann mit dem Totenkopfband über seinem Kopftuch hockt auf einem Käfig, in dem drei Journalisten ausharren. Vor ihnen, in Freiheit, liegt eine Leiche in einer Blutlache.

Welche Konsequenzen es in der Türkei und in der arabischen Welt haben kann, seine Meinung in dieser Form frei zu äußern, darüber könnten Karikaturisten ganze Comic(geschichts)bücher füllen. Schon der Gründer der ersten osmanischen Satirezeitschrift „Diyojen“ wurde im späten 19. Jahrhundert wegen der Veröffentlichung einer zensurkritischen Karikatur zu einer Haftstrafe verurteilt. Die Lust am Lachen haben sich die Menschen freilich nicht nehmen lassen. Vor allem in Staaten, wo die Meinungsfreiheit stark eingeschränkt ist, ist die Satire ein beliebtes Ventil, um Frust abzulassen und einander Mut zu machen. Humor vereint –  und ist ein beliebtes Ausdrucksmittel auch für den Straßenprotest. Nicht umsonst prägen Karikaturen das Bild auf Demonstrationen von Tunesien über Ägypten, Syrien bis in die Türkei.

„Illustrationen gehen so viel weiter, weil sie auch Analphabeten erreichen, kulturelle, klassenbezogene und Generationenunterschiede überwinden“, schreibt Jonathan Guyer, der seit Jahren auf seinem Blog Oum die arabische und türkische Comicwelt beobachtet. Sie mögen zwar nur Schöpfungen der Fantasie sein – aber die Bilder, die würden direkt ins Schwarze treffen.

So wie die Karikatur des Syrers Akram Raslan. Sie zeigt den langjährigen syrischen Staatschef Baschar al-Assad –  er steht in Flammen und hält ein Schild hoch: „Wähle Assad – oder wir werden das Land niederbrennen“ steht darauf. Kurz danach wurde Raslan verhaftet. Man warf ihm vor, das „Prestige des Staates beleidigt“ zu haben. Seit mehr als zwei Jahren fehlt nun jede Spur von ihm. Menschenrechtsorganisationen wie „Cartoonists Rights Network International“ befürchten, dass er tot ist.

Der syrische Karikaturist Ali Ferzat hingegen hat es wie sein Kollege Juan Zero geschafft, rechtzeitig aus dem Land zu fliehen. Im August 2011 wurde Ferzat, wie er erzählt, von Assads Sicherheitskräften entführt und verprügelt, beide Hände sind ihm für seine Arbeit gebrochen worden. Vom kuwaitischen Exil aus hört er dennoch nicht auf, die Gewalttaten im Syrienkrieg zu zeichnen. „Ein Karikaturist muss einen Überblick über die Welt haben, zwischen den Zeilen lesen, verstehen, was passiert – manchmal aus der Logik eines Journalisten, manchmal aus der Logik eines Autors, eines Poeten, eines Malers“, sagt Ali Ferzat im Magazin „Foreign Policy“. Auf alle Fälle dürfe er sich nicht einschüchtern lassen, die Freiheit könne man nur verteidigen, indem man weiterzeichne.

Von der Sprengkraft der Karikaturen erzählen aber nicht nur solche Geschichten wie jene von Raslan oder Ferzat , sondern auch die heftigen Reaktionen auf das Cover der ersten Ausgabe von „Charlie Hebdo“ nach den Anschlägen. In vielen islamisch geprägten Ländern gingen Tausende Muslime gegen die Darstellung des weinenden Propheten auf die Straße. Karikaturen, die die religiösen Gefühle von Muslimen verletzen könnten, sind selbst bei vielen Zeichnern im arabischen Raum nicht besonders beliebt. Der ägyptische Karikaturist Ahmed Makhlouf, der sich mit den Kollegen in Paris solidarisierte, sagte dazu: „Ich bin Zeichner, Ägypter und Muslim. Ich zeichne gegen den Extremismus und gegen Terror, aber ich greife nicht die Religion als solche ohne Grund an.“

Auch Metin Üstündağ, der Mitgründer des türkischen Satiremagazins „Penguen“, sprach in einem Interview über das „ungeschriebene Gesetz“ des Blatts: „Wir veröffentlichen keine persönlichen Details und machen uns nicht über Religiöses lustig.“ Dennoch ist der Umgang in der Türkei mit den Mohammed-Karikaturen ein anderer als in vielen arabischen Ländern. Einige Zeitungen übernahmen Charlie-Hebdo-Karikaturen, und die Tageszeitungen „Sözcü“ und „Yurt“ druckten sogar das Cover in ihren Ausgaben ab. Die islamisch-konservative Regierung fand das so gar nicht lustig: Eine Provokation sei das Cover. „Indem es in die Freiräume von anderen eindringt, verursacht es Terror. Wir sollten uns bewusst sein, dass es keine grenzenlose Freiheit gibt“, sagte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan bei einem Treffen mit Geschäftsmännern in Ankara vergangene Woche. Dass Erdoğan die Grenzen gerne enger zieht, zeigen die Entwicklungen der Pressefreiheit. Landesweite Razzien in den Medienhäusern, Verhaftungen und Einschüchterungsversuche hat es in den vergangenen Jahren gegeben –  und nun Anzeigen wegen „religiöser Beleidigung“ gegen zwei Autoren, die in der Tageszeitung „Cumhuriyet“ das Cover von „Charlie Hebdo“ in ihre Kolumnen eingefügt hatten.

Fast zehn Jahre Gefängnis drohten auch dem Karikaturisten Musa Kart, der seit Jahren nur allzu gern den heutigen Präsidenten karikiert. Eine seiner Zeichnungen zeigt Erdoğan, wie er in einer Dönerbude das Fleisch vom Spieß schneidet – und dabei quasi die „Demokratie“ beschneidet. In einer anderen, kürzlich veröffentlichten Zeichnung sitzt Erdoğan vor dem Fernseher. Auf dem Schirm läuft die Attacke auf „Charlie Hebdo“ – mit zwölf Todesopfern. Erdoğan sagt dazu: „Ich verurteile den Anschlag. Zehn Jahre für die Karikaturisten hätten gereicht.“ Erst im Oktober 2014 wurde Kart freigesprochen, aber die Warnungen sind mehr als deutlich.

„Satire“, schreibt die Politikwissenschaftlerin Lisa Wedeen in einem Essay über Humor in Syrien, „wirft immer auch Fragen auf, wie wir über unser Zusammenleben sprechen und vor allem, wer das ist, der den Diskurs bestimmt.“ Dem vorgegebenen Diskurs wollen sich viele Karikaturisten aber nicht anschließen. Egal was es sie kosten mag.

Marion Bacher volontiert bei der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) im Fachbereich Multimedia.