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(Foto: Constanze Roch, Berlin)

Wer in Stuttgart von Zuffenhausen nach Bad Cannstadt möchte oder den Stadtbus der Linie 51 benutzt, kann an der Straße "Roter Strich" plötzlich vor verschlossenen Toren stehen. Die städtische Straße, welche die beiden Ortsteile der baden-württembergischen Hauptstadt verbindet, führt mitten durch die US-amerikanische Robinson-Kaserne. An beiden Enden der Verkehrsverbindung sind schwere Stahltore angebracht, mobile Betonsperren stehen daneben; und wenn nötig, wird einfach dicht gemacht. Zuletzt war das vor sieben Jahren nach den Anschlägen von New York und Washington der Fall.

Auch sonst sind die militärischen Gäste sehr auf ihre Sicherheit bedacht. Große Poller und Panzersperren blockieren den Weg zum Haupttor der Liegenschaft. Die Einlasskontrollen – durchgeführt von bewaffneten Uniformträgern – sind streng. Autos werden aus Angst vor Sprengsätzen mit Spiegeln untersucht. Fotografieren ist hier strengstens verboten.

Um so beschaulicher wirkt die Anlage dagegen von innen. Auf dem Hügel über Stuttgart stehen in loser Reihung Mehrfamilienhäuser aus den vierziger und fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Die Grünanlagen sind gepflegt, die zahlreichen Kinderspielplätze gut in Schuss. Vor den Hauseingängen stehen Fahrräder und Tretautos aufgereiht, an der Hauswand große Kugelgrills in Reih' und Glied. Fast fühlt man sich wie in einer typischen deutschen Vorstadt. Wären da nicht die Zäune, der Stacheldraht und die amerikanische Militärpolizei, die argwöhnisch ihre Runden dreht.

Dollar, Fast-Food, Gottedienste – Uncle Sam sorgt für alles

"Wir versuchen den Soldaten alles zu bieten, was sie von zu Hause auch kennen", erklärt Larry Reilly, Pressesprecher der Garnisionsverwaltung Stuttgart, "wenn sie den Kopf von kleinen Problemen frei haben, können sich die Truppen besser auf ihren Dienst konzentrieren." Wenn man sich anschaut, was in solchen Kasernen für die Angehörigen des US-Militärs auf- und vor allem angefahren wird, versteht man, warum die Soldaten häufig von ihrem "kleinen Amerika" in Deutschland sprechen.

Zahlungsmittel in den Liegenschaften ist grundsätzlich der US-Dollar. Ein eigenes Geldinstitut stellt die Versorgung mit den kleinen grünen Scheinen sicher. Die Fernsehunterhaltung ist nicht nur auf die Satellitenprogramme aus der Heimat beschränkt. Die Streitkräfte produzieren ständig eigenes Radio- und Fernsehprogramm. Gleiches gilt für Zeitungen, Zeitschriften und Internetmedien. Ein Kreiskrankenhaus mit Zahnklinik gehört genauso zum Angebot wie Sportplätze, Fitnessräume, Loungen, Bildungseinrichtungen, Freizeitbüros und eine Volkshochschule.

Auch um das geistliche Wohl sorgen sich die Vorgesetzten. Die Militärgeistlichen im Offiziersrang bieten Andachten und Gottesdienste an. Viele christliche und die jüdische Glaubensrichtung sind vertreten. Die Gotteshäuser stehen selbstverständlich auch mitten in der Kaserne. Genauso beliebt ist das Bowling-Zentrum mit Fast-Food-Lokal. Nichts erinnert hier daran, dass vierhundert Meter entfernt ein Land namens Deutschland liegt. Selbst das Desinfektionsmittel auf den Aborten ist eingeflogen.

Das kaserneneigene Einkaufszentrum ist mit allen Marken und Waren gefüllt, die auch in den USA verkauft werden. Es wird in Unzen und Pfund gewogen, die Getränke in Gallonen gemessen. Dazwischen immer wieder Souvenirläden, wie wir sie höchstens vom Weihnachtsmarkt kennen. Staubfänger aller Arten gibt es dort käuflich zu erstehen. Besonders beliebt sind Kuckucksuhren, Weihnachtsschmuck und steinerne Bierkrüge. Die Motive auf diesen "Steins" können gar nicht kitschig genug sein. Hängen sie doch gleich neben bayerischen Trachten, Lebkuchen und Lederhosen.

Home away from Home

Selbstverständlich gibt es auf den Bases auch Schulen. Allein in Stuttgart kümmern sich vier Einrichtungen verschiedener Schultypen um die Bildung der Kinder des US-Personals. Sie ermöglichen einen Schulbesuch vom Kindergarten bis zum Abschluss der Oberschule. Die Lehrkräfte kommen ebenfalls aus den Staaten. "Wir haben dabei einen Standard, der dem US-amerikanischen gleicht", betont Reilly, "schließlich erwarten die Eltern, dass am Ende eines Schuljahres das Klassenziel erreicht wird und sie ihre Kinder jederzeit in den Staaten wieder auf eine zivile Schule schicken können."

Alles solle auf den deutschen US-Stützpunkten genauso ablaufen wie in den USA und eine starke Gemeinschaft sei dabei enorm wichtig und das erklärte Ziel. "Your Home away from Home" – dein Zuhause fernab der Heimat – ist das selbst gewählte Credo.

"Die Gemeinschaft hier auf dem Stützpunkt ist unschätzbar wertvoll für mich", berichtet Courtney Mowrer; sie lebt als Ehefrau eines Mechanikers auf dem Stützpunkt Hohenfels bei Nürnberg, "es gibt mir Halt und das Gefühl jemanden zu haben, der sich genau mit den gleichen Problemen und Lebenswelten wie ich identifizieren kann." Das Ehepaar kam vor zweieinhalb Jahren aus dem Bundesstaat Arizona nach Deutschland. Ihr Sohn ist hier geboren, besitzt aber nur den US-amerikanischen Pass. Der kleine Kenny ist der ganze Stolz seiner Eltern. Mutter Courtney kümmert sich vollzeit um den Kleinen. "Außerdem haben wir bei uns in der Kompanie zurzeit sieben schwangere Ehefrauen", erzählt sie über ihren Alltag, "um die kümmere ich mich auch ein bisschen."

Der militärische Dienst bestimmt den Tagesablauf in der kleinen Familie. Ehemann Kenneth, der in der Gefechtsschadeninstandsetzung des Truppenübungsplatzes arbeitet, muss jeden Morgen um halb sieben zum Frühsport antreten. Zum Frühstück kommt er wieder nach Hause, genau wie zum Mittagessen. Von seinem Dienstort zur Wohnung in den Blocks mit dem malerischen Namen "Keltenwall" sind es nur wenige Minuten mit dem Auto. Die Flachbauten am Rande der Kaserne in der Oberpfalz sind funktional und erinnern an Time-Sharing-Wohnungen auf spanischen Ferieninseln. Alle Mieter/innen nennen einen kleinen Vorgarten von etwa 30 Quadratmeter ihr Eigen. Im Handtuchgarten der Mowrers tollt ein deutscher Schäferhund.

Kleines Glück

Die junge Familie schaut gern von Zeit zu Zeit über den Rand des Stacheldrahtzaunes hinaus. Ausflüge in die nächsten größeren Städte gehören an den Wochenenden genauso dazu wie die Grillfeten, die sie in der kleinen soldatischen Gemeinschaft gern veranstalten. Kenneths großes Hobby ist Paintball mit seinen Kameraden von den "Blacksheep", den schwarzen Schafen, wie seine Einheit sich nennt. Während Courtney eher noch einige Burgen und Schlösser in "Old Germany" sehen und fotografieren will, sagt ihr Mann Kenneth: "Bevor ich Deutschland wieder verlasse, möchte ich einmal nach Dachau. Wir alle lernen über die Konztrationslager in der Schule. Aber wer kann schon behaupten, je dagewesen zu sein?" Im kommenden Februar wird Specialist Mowrer versetzt werden. Wahrscheinlich wieder zurück in den Süden der USA.

Andere Soldaten wollen deutlich länger bleiben und vielleicht sogar sesshaft werden. "Die überwiegende Mehrheit unserer Uniformträger wohnt außerhalb des Stützpunktes", sagt Larry Riley. Die meisten mieteten sich dabei normal auf dem zivilen Wohnungsmarkt ein. Auch hierfür bieten die Streitkräfte Unterstützung an. "Nachdem ich über die Wohnungsvermittlung der Armee nichts gefunden hatte, bin ich einfach auf eigene Faust los", erzählt Mourice Williams. Der Computerspezialist aus Sacramento in Kalifornien ist seit rund drei Monaten mit seiner Familie in Stuttgart. Zuerst sei es ziemlich schwierig gewesen in den Zeitungen und den Immobilien-Webseiten etwas zu finden. Aber nach und nach habe er sich Vokabular wie "Altbau", "Dielen" und "Zentralheizung" angeeignet und schließlich etwas Passendes gefunden. In dem Zwanziger-Jahre-Altbau im Stadtteil Stuttgart West erwartet man eher eine Studenten-WG als einen US-Stabsoffizier mit Familie. Der Oberstleutnant und seine Frau Patty schwärmen über die Gegend und die Stadt.

In Kalifornien waren wir ja lange genug

Besonders gefalle ihnen der Kontakt zu den deutschen Nachbarn und das Gefühl in einem funktionierenden, gewachsenen Stadtviertel zu wohnen. Ihre siebenjährige Tochter besucht seit diesem Jahr eine deutsche Schule. "Wir merken gerade Tag für Tag", sagt Patty Williams, "wie uns unsere Kleine im Deutschsprechen überholt." Was sie hier lerne, bringe sie zweifelsohne weiter und wiege schwerer als die Dinge, welche sie fern der Heimat vermisse. Eines steht für das Ehepaar fest: "Wir wollen so lange es geht in Deutschland bleiben. In Kalifornien waren wir ja lange genug", sagt Mourice Williams.

Während vor allem in den neunziger Jahren und nochmals nach dem Beginn des dritten Irakkrieges viele US-Soldaten/innen aus Deutschland abgezogen wurden, werden es jetzt wieder einige mehr. In Stuttgart steht seit Neuestem auch das Afrika-Kommando der US-Streitkräfte. Selbstverständlich mit hoher Sicherheitsstufe, hinter Kasernenmauern und Sicherungsanlagen verborgen.

Patrick von Krienke, 23, studiert und arbeitet als Korrespondent und Fachjournalist.

Fotos: ©Constanze Roch, Berlin