Spanien


 

Am Weltfrauentag sind in Spanien mehr als fünf Millionen Menschen auf die Straße gegangen. Die Kundgebung war der Höhepunkt eines landesweiten 24-stündigen Frauen-Generalstreiks. Ich war in Madrid mit spanischen Kolleginnen unterwegs. Als der Demonstrationszug auf der Einkaufsmeile Gran Vía an einer gespenstisch leeren Primark-Filiale vorbeikam, hatten wir eine Gänsehaut.

Direkt daneben: die Redaktionsräume meiner Freundinnen, die für einen großen Radiosender arbeiten. Das Tagesprogramm stemmten ihre männlichen Kollegen alleine – mit der Einwilligung der Chefredaktion. Wegen des öffentlichen Drucks unterstützten viele Arbeitgeber den Streik, dem sich die Gewerkschaften angeschlossen hatten.

Die Bewegung hatte seit der MeToo-Aktion Aufschwung erfahren: Hunderttausende Frauen teilten ihre Erfahrungen in den sozialen Medien, die in Spanien mehr als in Deutschland genutzt werden. Viele klagten bereits seit Jahren unter dem Hashtag #Micromachismo über Alltagsdiskriminierung.

In den Medien ist das Problem der Gewalt gegen Frauen omnipräsent. Ich vermutete zunächst, das liege am berüchtigten, besonders hartnäckigen Machismo. Tatsächlich stimmt das Gegenteil: Einer EU-weiten Umfrage aus dem Jahr 2014 zufolge wurden 22 Prozent der über 15-jährigen Spanierinnen Opfer von Gewalt, im Vergleich zum EU-weiten Durchschnitt von 33 Prozent (Deutschland: 35 Prozent). Allerdings wird die sogenannte geschlechtsspezifische Gewalt als nationale Tragödie verstanden – und als Staatsauftrag. 2017 wurde ein parteiübergreifender Staatspakt mit einem Katalog politischer Maßnahmen verabschiedet. Und irgendwo steht immer die nächste Großdemo an.

Von Katarina Lukač


 

Israel

Eigentlich hat #MeToo in Israel schon 2016 angefangen. 14 Frauen beschuldigten Immobilienhai und Nightlife-Mogul Alon Kastiel sexueller Übergriffe bis hin zur Vergewaltigung. Eine Welle der Empörung schwappte über das Land und riss weitere große Namen mit sich. Die Frauenbewegung machte mobil: Die Vereinigung „Laila Tov“ (Gute Nacht) hat seitdem ein Auge auf die langen Finger betrunkener Männer im Nachtleben Tel Avivs; die Aktivistinnen von „Haredi Feminism“ ermutigen Frauen aus orthodoxen Gemeinschaften, ihre Stimme gegen Belästigung und Sexismus zu erheben. Auch die Männer Israels haben sich zu Wort gemeldet. Der Fernsehmoderator Assaf Harel hat die Herren des Landes dazu aufgerufen, unter dem Hashtag #MenToo von ihren Erfahrungen in der Opferrolle zu berichten. Aber im kleinen Land im Nahen Osten, wo mediterrane Hitze und biblisches Patriarchatsdenken aufeinandertreffen, gibt es noch viel zu tun: Eyal Golan, unangefochtener Pop-König, der gemeinsam mit seinem Vater Sexpartys mit Minderjährigen gefeiert haben soll, ist so beliebt wie eh und je. Sein Vater wurde Anfang März wegen Zuhälterei an Minderjährigen verurteilt.

Von Franziska Knupper

Russland

Ich brauchte in Moskau einen neuen Schreibtischstuhl. Die Verkäuferin empfing mich an der Tür: „Rechts haben wir Chefsessel, ab 80 Kilo Körpergewicht; links Bürostühle für Angestellte.“ Sie bat mich nach links. Ich war Studioleiterin. Chefs, „Natschalniki“, sind in Russland per se männlich. Auf meine Visitenkarte schrieb ich „Korrespondentka“. Wiederholt erklärten mir männliche Interviewpartner, dieses Wort gäbe es gar nicht. Es heiße „Korrespondent“, ohne die weibliche Endung -ka. Russland ist konservativ. In Bezug auf die Sprache, besonders aber in Bezug auf die Geschlechter.

Kein Wunder also, dass die #MeToo-Debatte in Russland verspätet ankam. Parlamentsjournalistinnen beschwerten sich über sexuelle Belästigung durch den Abgeordneten Leonid Sluzkij. Der stritt zunächst alles ab und erfuhr Solidarität auch von Frauen. Die Vorsitzende des Ausschusses für Familie, Frauen und Kinder riet den Journalistinnen, sich züchtiger zu kleiden. Als dann aber eine BBC-Reporterin den Mitschnitt eines Interviews veröffentlichte, in dem Sluzkij übergriffig wurde, entschuldigte dieser sich für sein Verhalten. Weitere Folgen blieben aus.

Sexismus ist in der Duma, dem russischen Unterhaus, nichts Neues. Vor Jahren schrie der Abgeordnete Wladimir Schirinowski eine schwangere Reporterin an und forderte seine Bodyguards auf, sie zu vergewaltigen. Auch er kam mit einer Entschuldigung davon.

Von Gesine Dornblüth


 

Japan

„Auf einen stinkenden Eimer gehört ein Deckel“, lautet eine japanische Redewendung. Was peinlich ist, wird also versteckt. Das gilt auch für Belästigungen und Vergewaltigungen von Frauen. Diese Schamkultur ist der Grund, dass es in Japan in der offiziellen Statistik neunmal weniger Vergewaltigungen pro 100.000 Einwohner gibt als in Deutschland: Die meisten Japanerinnen gehen nicht zur Polizei, wenn Männer ihnen Gewalt angetan haben. Eine Ausnahme sind Anzeigen gegen das Begrapschen in Japans supervollen Zügen. Der globale Schlachtruf #MeToo findet daher in Japan kaum ein Echo. Aber eine kleine Gruppe von Aktivistinnen hält dagegen. „Lasst uns alle zusammenkommen und die Gesellschaft verändern“, fordert Miwa Kato, Leiterin von UN Women Asia. Die Gruppe hat Anfang März die Bewegung #WeToo ins Leben gerufen. Das Motto berücksichtigt Japans Schweigekultur: Frauen sollen Männer nicht einzeln, sondern gemeinsam anklagen. Ihre Solidarität soll die Scham besiegen.

Von Martin Fritz

Polen


 

Die #MeToo-Bewegung wurde, wie viele andere Themen in den vergangenen Jahren in Polen, zu einem Spielball des polnischen Nationalkonflikts zwischen Unterstützern der Regierungspartei PiS (Recht und Gerechtigkeit) und ihren Gegnern. Besonders nach Ansicht des regierungstreuen Teils der Öffentlichkeit wurde die #MeToo-Bewegung von „den Westen liebenden Feministinnen“ erfunden. Diese Leute wollten Männern, so die Behauptung, das Flirten verbieten und ihnen das Recht nehmen, den ersten Schritt auf eine Frau zuzugehen. „Derjenige, der es noch nie ausgenutzt hat, wenn ein Mädchen betrunken war, möge den ersten Stein werfen“, sagte in dem Zusammenhang ein bekannter rechter Publizist. Glücklicherweise – so zynisch das klingen mag – hat sich herausgestellt, dass es auch in der „linken Blase“ mehr als genug Täter sexueller Gewalt gibt, sodass wir nicht ausschließlich auf die rechte Seite schauen müssen. Das könnte der Debatte helfen.

Von Kaja Puto

Illustration: Raúl Soria